RADEK
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Museumsquartier Halle E
25. Jänner 2007
Premiere

Libretto: Thomas Höft

Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Inszenierung: Gil Mehmert
Ausstattung: Steffi Bruhn
Licht: Norbert Chmel

Wiener Concert-Verein


Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen
Uraufführung 12.8.2006 in Bregenz

Karl Radek - Georg Nigl
Frau I - Rebecca Nelsen
Frau II - Anna Clare Hauf
Mann I - Bernhard Landauer
Mann II - Manfred Equiluz
Mann III - Stefan Cerny


„Die Geschichte eines kalten Herzens“
(Dominik Troger)

Die Neue Oper Wien bringt Zeitgeschichte in die Halle E des Museumsquartiers: Karl Radek steht im Mittelpunkt dieser 2006 bei den Bregenzer Festspielen mit Erfolg uraufgeführten Kammeroper von Richard Dünser. Sie zeigt den Lebensweg Radeks vom galizischen Stettl bis in die kommunistische Schaltzentrale in Moskau.

Karl Radek, 1885 in Lemberg geboren, gehörte zu den schillerndsten Persönlichkeiten des an politischen Köpfen und Agitatoren reichen 20. Jahrhunderts. Er stand zwar zeitlebens im Schatten der großen „Schwarzmagier“ der „Weltgeschichte“, aber als geschickter kommunistischer Demagoge und Drahtzieher setzte er alles daran, den statischen Papierkram der Politbüros in eine sich bewegende, agile Masse zu transformieren. Er folgte Lenin vom Schweizer Exil nach Russland, nahm am kommunistischen Putschversuch 1923 in Deutschland teil und verstrickte sich bald in den Machtkampf zwischen Stalin und Trotzki. Zuerst auf Trotzkis Seite wurde er nach einer „läuternden“ Verbannung zum Stalinverehrer und schrieb in den 30er-Jahren außenpolitische Kommentare für Moskauer Zeitungen – ehe auch ihn die stalinistischen Säuberungen erreichten. Radek wurde der Prozess gemacht. Er zog offenbar infolge undurchsichtiger Absprachen mit dem Regime, die andere Funktionäre schwer belasteten, seinen Kopf aus der Todesurteilsschlinge und wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Vermutlich wurde er 1939 in einem Gefangenenlager ermordet. Jedenfalls verliert sich seine Spur im Südural.

Dieses bewegte Leben in einer Kammeroper von etwa Fünfviertelstunden unterzubringen, war sicher keine leichte Aufgabe. Dünser und sein Librettist Thomas Höft konzipierten ein Stationendrama, ausgehend von Radeks Lagerhaft. Radek durchläuft in der Erinnerung markante Höhepunkte seines Lebens. Der rasche Wechsel der Szenen erhält dadurch einen festen Rahmen. Höfts Konzeption kann man dankenswerter Weise im Programmheft nachlesen. Er betont, dass die Grundsituation verschieden gedeutet werden kann, vom Fiebertraum bis zu einer „Groteske“ der Mitgefangenen, die Radek seine Verbrechen vorspielen. Außerdem wird versucht, Radeks Verhalten aus seiner Kindheit zu deuten, traumatische Erlebnisse hätten aus ihm einen kalten, gefühllosen Menschen gemacht – das Ergebnis wäre: „Die Geschichte eines kalten Herzens.“

Höft hat außerdem viel Text aus Originalquellen collagenartig eingearbeitet, etwa aus Prozessakten, Briefen, Reden, die den zeitgeschichtlichen Bezug stärken. Mit musikalischen Originalzitaten (Internationale, Wacht am Rhein...) vermehrt Dünser diese historische Perspektive – und verzerrt sie zugleich. Seine Grenze erreicht diese Technik dann, wenn Radek als Enfant terrible sogar beide, Faschismus und Kommunismus, am Gängelband führt wie ein Schausteller seine Tanzbären. Er singt mit Hitler und Stalin ein jiddisches Lied: „Lomir ale lusstik sajn – und das kippt schon beinahe ins fahrlässige Kombinieren zeitgeschichtlich relevanter „Morpheme“.

Trotzdem – und das hatte wohl mit dem engen Rahmen zu tun, der einer Kammeroper gegeben ist – entstand keine „Psychologie des Verhängnisses“, das Radek schließlich doch noch einholt. Neben Prolog und Epilog reihen sich 12 Szenen aneinander, die über mehrere Jahrzehnte springen. Die einzelne Szene verliert dadurch leichter an Gewicht, wirkt eventuell zu pointenhaft und verkürzend in ihrer Aussage. Das empfand ich vor allem bei der Schilderung privater Beziehungen, die Höft als „Liebesangebot“ seinem Radek angedeihen lässt, um ihn durch deren Zurückweisung noch schärfer zu charakterisieren. Viel prägnanter gelangen die Bilder, in denen man Radeks bedingungslosen Kampfwillen spürt und den gewitzten, über Leichen gehenden Politiker. Denn da wird deutlich, wie die Revolution ihre Kinder frisst, und es öffnet sich jener historische Rahmen, der vom Einzelschicksal auf das Schicksal von Millionen verweist.

Außerdem könnte man als störend empfinden, dass von Anfang an eine Nuance von eschatologischer Metaphorik mitschwingt (Prolog: „Der neunte Kreis der Hölle“) und eine existentielle Grundhaltung in der Radek mit seinen „Sünden“ konfrontiert wird. Da schwindelt sich das Werk ein wenig über seine moralische Verantwortung hinweg, die man beim Aufgreifen einer solchen Thematik schwer vernachlässigen kann. Hat Radek gebüßt, sei es im Straflager oder in der Hölle? Die Geschichte kennt wohl keine „höhere Gerechtigkeit“, mit der sich über diejenigen urteilen ließe, die für sie verantwortlich waren. Viel zu viele Diktatoren haben einen gesunden Lebensabend verbracht.

Die musikalische Grundstimmung des Werkes hinterlässt vor allem eine Erinnerung an Streicherflächen, durchbrochen von Clustern, die Dünser (ebenfalls im Programmheft nachzulesen) für die „Darstellung des totalitären Grauens“ einsetzt. Dazu kommen viele geschickt eingestreute Zitate, die sich des öfteren sehr beherrschend und bis ins Groteske gesteigert in den Vordergrund drängen. Dünser hat die Mittel der Moderne stark unter dem Aspekt des „Theaters“ gezügelt – das Ergebnis wirkt nicht „neu“, aber sehr praktikabel. Die Singstimmen folgen mehr einem Sprechgesang, der sich stark am Wort orientiert. Das Textverständnis und der dramatische Aufbau werden dadurch positiv beeinflusst. Aufgrund der für die SängerInnen klugen, aber eben doch nicht idealen Position des Orchesters hinter der Bühne (auf derselben Ebene wie die Spielfläche) ergab sich in den hinteren Reihen des Zuschauerraumes ein eher schwammiges, nicht mehr durchhörbares Klangbild.

In der Praxis hängt der Erfolg dieser Oper vom Darsteller der Titelfigur ab. Auf ihn ist alles zugeschnitten. Die weiteren fünf Mitwirkenden haben eine Fülle unterschiedlicher Personen darzustellen – eine Aufgabe die anspruchsvoll gelöst wurde – sie aber deshalb nicht so in den Mittelpunkt rückt. Radek hingegen steht vom Anfang bis zum Ende auf der Bühne, ist das Zentrum jeder einzelnen Szene. Der Bariton Georg Nigl erweckte die Titelfigur zu beklemmendem Leben, mit großer Verwandlungsfähigkeit. Dabei blieb die Kantabilität der Stimme durchwegs erhalten, verbunden mit deutlicher Aussprache. Gestützt durch eine schlüssige Personenregie überzeugte auch das darstellerische Moment. Er hatte am Erfolg des Abends – das Publikum applaudierte lange und animiert – bedeutenden Anteil.

Der Erfolg gehörte auch der Inszenierung. Sparsam, aber mit guten Ideen, werden Radek und seine wechselnden Begleiter zu den kurzen dramatischen Höhepunkten geführt. Dass man dabei einen mit Steinen beschotterten Bühnenboden verwendet, verleiht dem Abend einen besonderen Reiz. Jeder Schritt bringt die Steine in Bewegung, das Geräusch ist deutlich zu hören. So bleibt die Anfangsszene – dieser Lager- oder Höllenkreis – stets akustisch präsent und mischt sich wie ein „memento mori“ in die Partitur. Und am Schluss wird die „Stein-Aleatorik“ zu einem kleinen Bergsturz genützt, der sinnbildlich alles unter sich begräbt.

Berührungsängste in Sachen zeitgenössischer Oper werden von „Radek“ nicht gefördert – und Georg Nigl macht es einem leicht, an dieses Werk zu glauben. Weitere Vorstellungen am 27., 28. und 29. Jänner, Museumsquartier Wien, Halle E. Beginn jeweils 20.00 Uhr.