ALICE IN WONDERLAND

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Theater an der Wien
17.11.2025
Österreichische Erstaufführung

Musikalische Leitung: Stephan Zilias

Inszenierung: Elisabeth Stöppler
Bühne: Valentin Köhler
Kostüm: Su Sigmund
Licht: Elana Siberski

ORF Radio-Symphonieorchester
Arnold Schönberg Chor,
Gumpoldskirchner Spatzen

In Kooperation mit Wien Modern

Alice - Álfheidur Erla Gudmundsdóttir
White Rabbit u.a. - Andrew Watts
Mouse u.a - Marcel Beekman
Duchess u.a. - Helena Rasker
Cheshire Cat u.a. - Juliane Zars
Queen of Hearts - Mandy Fredrich
Mad Hatter u.a. - Ben McAteer
Old Man I u.a. - Henry Neill
Old Man II u.a. - Levente Pàll
Executioner u.a. - Damien Pass
Caterpillar - Teresa Doblinger
Alice als junges Mädchen - Carmen Diego / Pauline Well
Alice im Fall - Esther Schneider


„Wunderloses Wunderland

(Dominik Troger)

Viele Gänseblümchen pflückt diese Alice nicht: Bei der Österreichischen Erstaufführung im Theater an der Wien entpuppte sich Unsuk Chins „Alice in Wonderland“ als emotional karges, wenig mitreißendes Musiktheater.

Romandramatisierungen sind beliebt, aber oft gelingt es auf der Bühne nicht, die Luftlöcher zu stopfen, die durch die fehlende Prosa entstehen. Die Oper „Alice in Wonderland“ von Unsuk Chin ist dafür ein gutes Beispiel. Das Werk wurde 2007 in München in der Regie von Achim Freyer uraufgeführt. Am Theater an der Wien gibt man eine reduzierte Orchesterfassung, die 2012 in Saint Louis Premiere hatte und in Zusammenarbeit mit der Komponistin Lloyd Moore erstellt wurde.

Unsuk Chin hat sich zwar im Wesentlichen an die Romanvorlage von Lewis Caroll gehalten, unterwirft durch einen anderen Beginn und ein anderes Finale die Geschichte aber einer substantiellen Veränderung: Während in der Romanvorlage von Lewis Carroll Alice die Geschichte träumt und das Wunderland deutlich von deren Lebensrealität abgegrenzt ist, versetzt die Komponistin Alice von Beginn an in einen Traumzustand – oder Albtraumzustand. Der subversiv-absurde Charme des Romans weicht einer episodenhaften Ich-Findung der Hauptfigur, die Geschichte von Alice wird weitergedacht, wird in Alice selbst verlegt, bekommt eine existentialistische Deutung – und wirkt dabei doch mehr verkrampft als dramaturgisch schlüssig umgesetzt.

Zweidreiviertel Stunden lang sucht diese Alice sich selbst (eine Pause ist eingerechnet). Die Inszenierung von Elisabeth Stöppler, die im Theater an der Wien zu sehen ist, hat diese Ich-Suche der Hauptfigur plakativ verdeutlicht: „I AM WHO?“ steht in großen schwarzen Buchstaben auf dem weißen Kleid in dem Alice ihre ersten Abenteuer im Wunderland erlebt. Mit dieser Plakativität hat die Regie den Kern von Unsuk Chins Bearbeitung des berühmten Romans allerdings gut getroffen: Denn „I am who“ scheint sich auch die glissandifreudige Partitur zu fragen.

Die Musik schaukelt zwischen den Stilen und sucht eine illustrative Verbindlichkeit, die aber daran scheitert, dem Publikum Alice als mitfühlendes Wesen nahezubringen. Die „anarcho-philosophischen“ Scherze und Scherzchen aus dem zur Oper verwursteten Roman schwirren einem wie ein Surrogat aus Dialogfetzen um die Ohren und nur selten schält sich so etwas wie eine „individuelle“ Idee aus dieser spröden Komposition – wie in der Raupenszene mit der Solo-Bassklarinette oder in ein paar kurzen ariosen Momenten, in denen abseits dieses artifiziellen kompositorischen „Designs“ dann doch noch ein bisschen etwas von Alices Seele aufblitzt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf Kritiken der Uraufführung: Der „New Yorker“ (30. Juli 2007) meinte, die Figuren würden wie „extensions of a cooly fabulous musical machine“ erscheinen und bemängelt vorsichtig ihre mangelnde Individualität in der dramatischen Charakterisierung. Dem „Tagesspiegel“ (2.7.2007) konnte man entnehmen, dass es schwer fiele, sich an „Alices Abenteuern beteiligt zu fühlen“. Für den „Münchner Merkur“ (1.7.2007) erschöpfte sich die Oper „im naturalistischen Klangmalen“, weil der Partitur „eine substanzielle Kraft, ein absurder bis gebrochener Humor“ fehle, der dem Roman „etwas entgegensetzen würde". In der „Presse“ (3.7.2007) war zu lesen, dass der Komponistin „der kompositorische Atem“ fehle, um „dieses immerhin über zweistündige musikalische Crossover zu einem wenigstens teilweise spannenden Ganzen zu verknüpfen“.

Umso wichtiger wär es gewesen, dass die Inszenierung dem Publikum die emotionelle Anteilnahme erleichtert. Aber die Inszenierung scheiterte schon daran, das Libretto verständlich auf der Drehbühne zu verorten, die immerhin eine grüne Rasenlandschaft vortäuschend, sich zu dem einen und anderen Kaninchenbau aufwarf. Und wenn man den Tieren im Wunderland buchstäblich auf den Rücken schreibt, was sie zu sein haben, egal ob „PIG“ oder „OWL“, dann ist man als Besucher ohnehin wieder ganz der dekonstruktiven Masche eines gegenwärtigen Theaters ausgeliefert, das nicht einmal eine „Grinsekatze“ auf der Bühne mit staunenerregender Phantasie zu visualisieren vermag.

Die junge isländische Sängerin Álfheidur Erla Gudmundsdóttir durfte sich als Alice dem Wiener Publikum vorstellen, musste im Finale minutenlang angegurtet vom Schnürboden baumeln und dabei auch noch ein paar extreme Sopranhöhen beisteuern. Sie wirkte darstellerisch etwas unausgegoren und hätte von einer überzeugenderen Personenführung profitiert. Ihren (sehr) leichten lyrischen Sopran umwehte noch eine zarte Schüchternheit, die in diesem Inszenierungsrahmen wenig zur Ausformung des Bühnencharakters beitrug.

Vom großen Ensemble, in dem viele Mitwirkende mehrere Rollen verkörperten, blieben etwa Marcel Beekmann als „Mouse“ im blauroten Superman-Kostüm oder Andrew Watts als weiß beanzugtes weißes Kaninchen in guter Erinnerung – wie auch die Queen von Mandy Fredrich, die die Komponistin musikalisch ein bisschen nach Puccinis Turandot geschneidert hat, oder die Grinsekatze von Juliana Zara, die als Domina aufzutreten muss, oder die Herzogin von Helena Rasker und den Hutmacher von Ben McAteer. Ein besonderes Schmankerl war die klarinettierende Raupe von Teresa Doblinger.

Aber die Sängerinnen und Sänger waren wieder mit Mikroports versehen. Die Stimmen im Theater an der Wien werden seit dem Einbau einer neuen Tonanlage natürlich nicht „verstärkt“, sondern nur „geliftet“, um dem Publikum ein „immersives Audioerlebnis“ zu ermöglichen. Das Resultat war auch an diesem Premierenabend wieder ein unauthentischer, kühler, dynamisch wenig abgestufter Klang.

Stephan Zilias leitete das ORF Radio Symphonie Orchester Wien. Trotz der reduzierten Fassung waren die Holzbläser in zwei einander gegenüberliegenden Proszeniumlogen verstaut worden. Nach meinem Eindruck hätte der musikalische Part insgesamt von stärkeren Konturen profitiert, etwa im deutlicheren Herausarbeiten der stilistischen Querbezüge.

Am Schluss gab es widerspruchslosen Schlussapplaus und den erwartbaren Premierenjubel. Noch zur Pause hatte sich der „Enthusiasmus“ des Publikums nur mit kurzem Anstandsapplaus kundgetan.