MÉDÉE
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Theater an der Wien
6.3.2008
Premiere

Dirigent: Fabio Luisi

Inszenierung: Torsten Fischer
Bühne: Herbert Schäfer
Kostüme: Andreas Janczyk
Licht: Hartmut Litzinger

Wiener Symphoniker
Arnold Schönberg Chor

Médée - Iano Tamar
Créon - Philippe Rouillon
Dircé - Henriette Bonde-Hansen
Jason - Zoran Todorovich
Néris - Stella Grigorian
Erste Begleiterin - Petra Simková
Zweite Begleiterin - Alain Rodin


Blutrausch
(Dominik Troger)

In Tagen wie diesen weiß man es als Wiener Opernfreund zu schätzen, dass das Theater an der Wien unter „eigener Flagge“ segelt: Luigo Cherubinis „Médée“ präsentierte sich als anspruchsvolles und packendes Musiktheater.

Cherubinis „Médée“ ist in Wien seit vielen Jahren nicht mehr zu hören gewesen. Die letzte szenische Produktion gab es Anfang der 90er-Jahre durch die Neue Oper Wien. Die letzten Aufführungen an der Staatsoper gehen auf die 70er-Jahre zurück, damals mit Leonie Rysanek als Médée und Lucia Popp als Dircé – das Bühnenbild stammte vom Maler Arik Brauer.

Cherubini, der bei seinen Komponistenkollegen unter hohem Ansehen stand (und wie viel Beethoven von ihm „gelernt“ hat, kann man schon in der Ouvertüre deutlich heraushören), hat eine spannende Musik zu einem spannenden Stoff komponiert. Médée und Jasons Beziehungskrise, die nicht nur deren beiden Söhnen, sondern auch Jasons neuer „Flamme“ zum tödlichen Verhängnis wird, bietet besten Anlass zum Ausspielen aller Varianten von Liebe, Eifersucht bis zum wahnsinnlodernden Hass – und Cherubini hat das mit einer musikalischen „Architektur“ überhöht, die man auch aus heutiger Sicht nur bewundern kann.

Das Hauptaugenmerk jeder Aufführung der Médée richtet sich natürlich auf die Sängerin der Titelpartie. Iano Tamar bot hier eine sehr konzentrierte, mitreißende, aber nicht bis in die letzte Verästelung des Wahnsinns aufsteigende Interpretation. Sie hatte sich die Partie sehr gut zurecht gelegt und trachtete danach, die Expressivität und ein mögliches „Heorinentum“ in Gesang (vor allem in der Höhe) und Ausdruck nicht zu überspannen. Das gab ihrer Médée einen realen unpathetischen Zug, der vielleicht auch durch die gegebene französische Fassung gestützt wurde, die prinzipiell mehr Contenance einfordert. Tamars mehr dunkles Timbre passt sehr gut zu dieser Rolle, die ja etwas „Schwarzes, Magisches“ an sich hat – auch wenn sie von Cherubini schon ziemlich verbürgerlicht wurde. Immerhin stellt Cherubini Médée am Schluss noch Rachegöttinen zur Seite, damit jener Schrecken verbreitet werde, der das Volk in die Flucht schlägt. Der Schluss ist eigentlich nur aus diesem religiös-mythischen Kontext erklärbar – und wenn man die Handlung zu stark ins gesellschaftspolitische verschiebt, wird es für die Darstellerin der Médée doppelt schwer plausibel zu wirken. Denn was sollte das Volk daran hindern, an der Kindsmörderin blutige Rache zu nehmen?

Der Jason von Zoran Todorovich hatte ein bisschen zuviel Verismo in der Stimme, was manchmal den guten Eindruck trübte, doch die Szenen zwischen ihm und Médée wurden intensiv gesungen und gespielt. Dircé, Henriette Bonde-Hansen, bot zur „dunklen“ Médée einen passenden Kontrast, der die Aufführung um eine helle, zartere Komponente bereicherte. An zwei kurzfristigen Einspringern gab es nichts zu klagen: Philippe Rouillon (anstelle von Olfa Bär) gab einen markanten Créon, und Stella Grigorian (anstelle von Birgit Remmert) nutzte die Partie der Néris, um sich beim Wiener Publikum wieder einmal in beste in Erinnerung zu rufen. Sie war bekanntlich durch viele Jahre an der Staatsoper und an der Volksoper aufgetreten.

Fabio Luisi sorgte für eine packende, sehr auf die Dramatik der Handlung und der Musik ausgelegte Umsetzung. Schon bei der Ouvertüre brachte er Cherubinis musikalisch-aufwühlende Dramaturgie zu zündender Wirkung. Da war viel Feuer drin, verbunden mit einem sicheren Gefühl für das Ansteuern der Höhepunkte. Der Klang schien mir etwas rauher als sonst von Luisi gepflegt, womöglich eine Konzenssion an die blutrünstige Handlung oder/und an eine historische Aufführungspraxis. Einige Unsauberkeiten im Spiel der Symphoniker gingen vielleicht auf Konto dieser zupackenden Dramatik.

Die Inszenierung hat die drei Akte in zwei Teile zusammengefasst, die gesprochenen Dialoge fast zur Gänze eliminiert und dadurch die Handlung gestrafft - mit positiven Auswirkungen auf den Spannungsgehalt des Abends. Die Schlussszenen wurden mir allerdings schon zu stark verschmolzen, und zeigten in dem Versuch, den Kindermord der korinthischen Gesellschaft „anzuhängen“, das schon weiter oben angesprochene Motivationsdefizit.

Regisseur Torsten Fischer ging von einem Gegensatz: undemokratisches System - fremdländische, anarchische Médée aus, hat aber dankenswerter Weise dem individuellen Schicksal Médées genug Raum gelassen – und die plakativen Drohgebärden des uniformierten Volkes (Uniformen im 30-Jahr-Look) fielen nicht so stark ins Gewicht. Die Bühne wurde von einer halbrunden, sich von rechts vorne nach links hinten ziehenden Abdeckung begrenzt, die auch geöffnet werden konnte. Der Brand am Schluss wurde durch oranges Licht bis zur Bedeutungslosigkeit abstrahiert. An Requisiten wurde gespart – und die Sessel hatten diesmal sogar einen praktischen Zweck. Torsten Fischer hat im Programmheft angemerkt, dass ihn Médée an Woyzeck erinnere: „In Büchners Drama macht eine Welt einfach einen Mörder.“ Ob sich die Pathologie des Individuums wirklich so einfach erklären lässt?!

Das Publikum spendete am Schluss rund zehn Minuten lang Beifall, allen voran natürlich für Iano Tamar. Auch das Regieteam durfte sich an ungeteiltem, positivem Applaus erfreuen.