ONKEL PRÄSIDENT
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Volksoper
11. Oktober 2014
Österreichische Erstaufführung

Dirigent: Alfred Eschwé


Regie: Josef Ernst Köpplinger
Bühnenbild: Johannes Leiacker
Kostüme: Marie-Luise Walek

Der Komponist - Walter Fink
Der Präsident - Renatus Mészár
Melody Moneymaker - Julia Koci
Josef Powolny, Fahrradbote - David Sitka
Fräulein Flink, Sekretärin - Martina Dorak
Fräulein Flott, Sekretärin - Elvira Soukop
Fräulein Flugs, Sekretärin - Renate Pitscheider
Dr. Fleiß, Leiter des Sekreteriats - Stefan Cerny
Dr. Gefällig, Generaldirektor - Marco Di Sapia
Dr. Pillerl, Betriebsarzt - Marco Di Sapia
Deodatus Graf Schrullenhuf-Wullersdurff - Thomas Sigwald
Didi Kvaca, Reporter vom "Skandal" - Jeffrey Treganza
Zwirn, Zuschneider - Christian Drescher
Monsignore Campanile - Andreas Mitschke
Mummy Moneymaker - Sulie Girardi
Daddy Moneymaker - Petar Naydenov
Dr. Weh - Christian Drescher
Dr. Weh - Gernot Kranner
Dr. Weh - Roman Martin
Dr. Weh - Andreas Mitschke
Dr. Weh - Petar Naydenov


„Der Onkel wird's
schon richten“

(Dominik Troger)

Die erste Saisonpremiere an der Wiener Volksoper galt Friedrich Cerhas „Onkel Präsident“ – 2013 in München uraufgeführt erlebte die „musikalische Farce in einem Vorspiel, einem Akt und Epilog“ ihre österreichische Erstaufführung.

Friedrich Cerha wollte nach dem „Riesen vom Steinfeld“ (2002 uraufgeführt) keine Oper mehr schreiben, aber wie schon nach dem „Rattenfänger“ (uraufgeführt 1987) hat er sich zu einem weiteren Werk für die Bühne „verführen“ lassen. Von den abstrakten „Spiegeln“ ausgehend (in den frühen 1960er-Jahren konzipiert), über das „Netzwerk“ (uraufgeführt 1981), bis zum handfest-expressionistischen „Baal“ (ebenfalls uraufgeführt 1981) zeigte sich bereits in früheren Schaffensphasen eine Tendenz zur „Entavantgardisierung“, einer „Vereinfachung“ der Ausdrucksmittel, die nach dem historischen Drama des „Rattenfänger“ und dem volksstücknahen „Riesen vom Steinfeld“ jetzt in einer Komödie einen (vielleicht nur vorläufigen) Abschluss gefunden hat.

Neue gute Komödien im deutschen Sprachraum sind rar – auf dem Sprechtheater und noch viel mehr auf der Opernbühne. Die Komödie setzt eine unbedingte Verständlichkeit voraus, soll sie beim Publikum ihre Wirkung nicht verfehlen. Wie Cerha in einem Beitrag im Programmheft zur Aufführung anklingen lässt, würden sich avantgardistische „Idiome“ wenig dazu eignen, diese Verständlichkeit zu befördern. Mit „Onkel Präsident“ hat Cerha also dem „gewöhnlichen“ Wort den Vortritt gelassen und in Kooperation mit Peter Wolf ein Libretto erarbeitet, das einem virtuosen Komödienschreiber, Ferenz Molnár, seine Referenz erweist – obwohl von Molnárs Bühnenstück „Eins, zwei drei“ im wesentlichen nur der Plot übrig geblieben ist. Schon enger haben Cerha/Wolf an dem Film „angedockt“, den Billy Wilder 1961 in Berlin auf Basis von „Eins, zwei, drei“ gedreht hat – zukünftige Dissertanten werden hier inhalts- und textanalytisch allerhand zu erforschen haben.

Musikfreunde, bei denen der Name Cerha „Bedenken“ auslösen sollte, müssen sich also nicht „fürchten“: Auf der Volksopernbühne wird ein unbedarfter Fahrradbote innerhalb von einer Stunde – also quasi in „Echtzeit“ – vom Präsidenten eines Stahlkonzerns durch den reichlichen Einsatz von Geldmitteln und Beziehungen in einen adeligen Senator und Generaldirektor verwandelt. Der Präsident macht damit seinem Unternehmen und Melody Moneymaker einen großen Gefallen. Melody weilt beim Stahlkonzern-Boss und Geschäftspartner von Mama und Papa Moneymaker, um Deutsch zu lernen, aber sie ist bei ihrem Aufenthalt in der Fremde einem Fahrradboten schon so nahe gekommen, dass sie von diesem ein Kind erwartet. Als ihre schwerreichen, aus Amerika anreisenden Eltern eine Woche früher als erwartet eintreffen, ist Feuer am Dach. Der Fahrradbote wird innerhalb von einer Stunde „turbokapitalisiert“ und zum passenden Ehemann gemacht. Wenn er sich auch zuerst widerwillig in sein Schicksal fügt, die Liebe und der plötzliche Geldsegen heilen alle Wunden.

Gerahmt haben Cerha/Wolf die Komödie mit einem Vorspiel und einem Epilog, in dem der auf Urlaub weilende „Präsident“ den Komponisten zum Verfassen einer komischen Oper überreden möchte. Als mögliche Handlung erzählt der Konzernschef dem Komponisten einfach, was sich an seinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub im Büro zugetragen hat. Es ist natürlich die Geschichte vom Fahrradboten. Der Komponist ist zuerst skeptisch, interessiert sich dann aber zunehmend dafür. Außerdem ermöglicht der Dialog den beiden eine kleine Richard-Strauss’sche-„Capriccio“-Plauderei über die Oper als eine Kunstgattung, die offenbar nicht umzubringen ist. In diesem Dialog wird auch Verdis „Falstaff“ als unerreichbares Vorbild für das abschließende Alterswerk eines Opernkomponisten postuliert.

Cerha treibt die ironische Distanz aber noch ein Stückchen weiter, wenn er beispielsweise eine Figur plötzlich aus der Bühnenhandlung kippen und sich darüber beschweren lässt, dass sie keine Arie singen darf. Derart wird – an Vorbilder der frühen deutschen Romantik anschließend – das Theater ironisiert und selbst zum Thema. Diese Querverweise machen deutlich, dass Cerha letztlich auf einen Bildungshorizont rechnet, der heutzutage nicht mehr so einfach vorausgesetzt werden darf. Der Ludwig Tieck’sche „Gestiefelte Kater“, den Cerha in einem Interview zum „Onkel Präsidenten“ erwähnt hat, ist heutzutage wahrscheinlich nicht einmal mehr Germanistikabsolventen ein Begriff. Konsequenter Weise ist in Cerhas neuester Oper nicht nur Kritik an den herrschenden sozioökonomischen Verhältnissen, sondern auch am aktuellen Bildungssystem verpackt, für die sogar der Wirtschaftskapitän einsteht.

Diese „bildungsbürgerliche“ Zurückschau wird in Cerhas Musik fortgeführt, die nach wie vor ihre Streicherflächen pflegt – vor allem in den zwei Zwischenspielen, die Vorspiel und Epilog vom eigentlichen Stück abgrenzen – und ansonsten sehr illustrierend dem Text folgt, garniert mit vielen und meist eher versteckt angebrachten musikalischen Zitaten, bis zum zweimaligen Vorüberfliegen eines Hubschraubers. Ein stark rezitativer Gebrauch der Sprache hilft dem Wortsinn auf die Beine – und einige ariose „Anwandlungen“ riskieren Ausflüge ins eigentlich „Opernhafte“. Natürlich bekommt Melody ihre „Liebesarie“, die Cerha durchaus virtuos angelegt hat und die eher hoch liegt – und in ihrer Charakteristik ein bisschen an die „kleine Frau“ aus dem „Riesen“ erinnert.

So schuf der Komponist immer wieder musikalische Zentren, in denen das Lustspiel ein wenig „versinnlicht“ oder der Parodie unterworfen wird. Das Quintett der Aufsichtsräte (die bezeichnender Weise alle den Namen Dr. Weh führen) erzielte einen Lacherfolg – ebenso wie der Betriebsarzt Dr. Pillerl, der musikalisch für seine Vorsorgeuntersuchung warb. In gewisser Weise leben hier Typen wieder auf, der Jurist, der Arzt, die schon die Opera buffa durch den Kakao gezogen hat und die mit sprechenden Namen versehen wurden. Die Sekretärinnen heißen zum Beispiel Fräulein Flink, Fräulein Flott, Fräulein Flugs (moderne „drei Damen“ oder gar „Rheintöchter“ – und ein weiterer operngeschichtlicher Querverweis).

Cerha blieb sich dabei selbst treu – und die schon angesprochenen Streicherflächen, die ihren Mahler-Berg’schen-Gestus nicht verleugnen konnten, schufen einen musikalischen „Erinnerungsraum“, in dem der Komponist gewissermaßen als „letzter Ritter der Tafelrunde“ seinem Handwerk nachging. Es war berührend zu hören – und auch dem eleganten wienerischen Musizierverständnis von Alfred Eschwé am Pult und dem sehr guten Volksopernorchester geschuldet – wie dieses „schwere“ Erbe hier einen leichteren Tonfall annahm, wie eine fast beschwingt zu nennende Sublimierung all dieser „Tradition“ gelang, wie der Komponist (Jahrgang 1926!) selbstironisch und akribisch sich seinen eigenen, mehr augenzwinkernd lächelnden als befreit auflachenden „Falstaff“ schuf.

Josef Ernst Köpplinger hat den „Onkel“ inszeniert, in einem praktikablen Bühnenbild-Büro von Johannes Leiacker. Köpplinger weiß, wie man Komödie umsetzt. Seinen Hang, die Bühne für allerhand handlungserweiterndes Geschehen zu nützen, hat er auch in dieser Produktion ausgelebt. Da passiert einiges an Slapstick-Humor so nebenbei, bis zum „Bürokrieg“ zwischen Sekretariatsleiter Dr. Fleiss und einem seiner emsigen Fräulein, wobei sich Fleiss als Aquariumliebhaber auch Attacken auf seine Fischlein gefallen lassen muss.

Renatus Mészár gab bei seinem Hausdebüt den Präsidenten, als eloquenten und scheinbar umgänglichen Mann mit starker Persönlichkeit, der beinhart ist, wenn es darauf ankommt. Gesanglich wurde der Präsident nicht so gefordert wie Melody Moneymaker (Julia Koci) oder der Fahrradbote Josef Powolny, gesungen von David Sitka. In beiden Fällen hätte ich mir etwas durchschlagskräftigere und markantere Stimmen gewünscht. Walter Fink sang einen geerdeten Komponisten. Die Produktion war sehr gut einstudiert, auch die vielen weiteren Mitwirkenden haben ihre Rollen mit Schwung und Witz präsentiert. Der pausenlose, kurzweilige, knappe eindreiviertel Stunden lange Opernabend wurde vom Publikum rund zehn Minuten lang stark und mit Bravorufen, ganz besonders für den Komponisten, beklatscht.