LA REPPRESENTATIONE DI ANIMA ET DI CORPO
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Theater a.d. Wien
19. September 2021
Premiere

Musikalische Leitung: Giovanni Antonini

Inszenierung: Robert Carsen
Bühne: Robert Carsen & Luis F. Carvalho
Kostüme: Luis F. Carvalho
Choreographie: Lorena Randi
Licht: Robert Carsen

Il Giardino Armonico
Arnold Schönberg Chor

Anima - Anett Fritsch
Corpo - Daniel Schmutzhard
Intelletto - Cyril Auvity
Consiglio - Florian Boesch
Tempo / Mondo - Georg Nigl
Piacere - Margherita Maria Sala
Compagnie di Piacere - Matúš Šimko, Michal Marhold
Angelo Custode - Carlo Vistoli
Vita Mondana / Anima Beata - Giuseppina Bridelli



„Philosophischer Saisonstart im Theater an der Wien“
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien bietet zur Saisoneröffnung einen philosophisch-allegorischen Ausflug zu den Anfängen der Oper. Emilio de' Cavalieris „Rappresentatione di Anima et di Corpo“ befasst sich mit der Frage, wie man durch ein tugendhaftes und gottgefälliges Leben den Weg zur Glückseligkeit beschreiten kann.

Im Jahr 1600 in Rom, dem Aufführungsjahr und dem Aufführungsort der „Rappresentatione“, wurde dieser Lebensweg natürlich stark durch die katholische Kirche geprägt. Emilio de' Cavalieri und das Libretto von Agostino Manni stehen ganz in dieser Tradition, zielen – wie es Ulrich Schreiber im ersten Band seines Opernführers für Fortgeschrittene“ (5. Auflage, 2010) zusammenfasst – auf „die Einbindung der Menschheit in die Heilslehre“.

Der eigentlichen „Rappresentatione“ ist ein Prolog vorangestellt, in dem zwei Jünglinge (die „Einsicht“ und die „Umsicht“) dialogisch über das sterbliche menschliche Leben verhandeln und wie man es denn leben müsse, um am Ende nicht von falschen Hoffnungen betrogen worden zu sein. Der Dialog leitet zum Auftritt der Zeit (Tempo) über, mit dem die eigentliche Handlung beginnt. Die Zeit ist schließlich der bestimmende Faktor des Lebens an sich, deren unerbittlicher Verlauf es in jene unentrinnbare Vergänglichkeit stürzt, die über Jahrtausende den Religionen so reichlich Argumente für jenseitige Beglückungen geliefert hat.

Das klingt jetzt nicht so spannend, aber in den drei Akten werden auch theatralisch dankbare Effekte bedient, die – so gut gemacht – das Publikum auch heute noch in ihren Bann zu ziehen vermögen: etwa die Entlarvung der vordergründig in Reichtum und Schönheit prangenden Welt als inwendig verderbt und hässlich oder der Gegensatz von Himmel und Hölle, der ewige Feuertod der Seelen in den Flammen der Unterwelt oder ihre unendliche Glückseligkeit im Schoß der himmlischen Heerscharen. Aber wie bringt man das im Jahr 2021 auf die Bühne eines säkularen Theaterraums?

An dieser Frage dürfte Robert Carsen eine Zeitlang „genagt“ haben, liest man zwischen den Zeilen eines Interviews heraus, das im Programmheft zur Aufführung dem Publikum zur Kenntnis gebracht wird. Dieses „Nagen“ ist auch der Inszenierung anzumerken – vor allem dem Beginn. Carsen hat den Prolog stark gekürzt und verändert, er wurde auf viele Figuren aufgedröselt. Eine aus Solisten und Choristen zusammengesetzte und mit Rollköfferchen ausgestattete „Reisegruppe“ rätselt in einer nachgestellten Probensituation auf der leergeräumten Bühne und bei voll beleuchtetem Auditorium über den Sinn des Lebens. Ein seichter Start in diese christliche „Mysterienoper“, an dem sich ablesen lässt, wie sehr Carsen darum gerungen hat, einen heutigen Zeiten adäquaten Einstieg in die Geschichte zu finden.

Zum Glück siegte bei aller Skepsis gegenüber der dogmatischen Glaubensverkündigung des Jahres 1600 rasch der Theaterpraktiker über den „Philosophen“. Carsen gilt nicht umsonst als einer der wenigen Regisseure, die es sehr oft schaffen, einem Stück seinen Charakter zu belassen und es ohne entwürdigende Banalisierung behutsam in die Gegenwart zu transferieren – ein in diesem Fall besonders heikler Balanceakt. Der Regisseur hat die Allegorien des Körpers und der Seele, um die sich das Stück dreht, zu „Jedermann“ und einer „Jederfrau“ vermenschlicht. Die Allegorien gewinnen Eigenleben, beweisen im Rahmen einer festgezurrten „Lehrmeinung“ einige Selbstständigkeit. Carsen hinterfragt den in Verse gegossenen und mit Musik unterlegten dogmatischen Wahrheitsanspruch aber mit einer angenehmen Zurückhaltung und betrügt den theatralischen Spürsinn Cavalieris nicht um seine Wirkung.

Der Lohn für diese Zurückhaltung sind einige starke Szenen: die Demaskierung der in Gold gekleideten Welt, ihren vermoderten Leib freigelegt und bloßgestellt – sowie die zwischen Himmel und Hölle, zwischen Schnürboden und rauchdampfender geöffneter Unterbühne schwebenden „Seelen“: ein „Ballett“ schwerelos wirkender, halbnackter, erlöster oder höllegequälter Menschen. Ein Bild, das mit der eindringlichen Musik zu einem packenden Musiktheatermoment verschmilzt. Im Finale siegen dann Freude und Feststimmung: bei voll erhelltem Theaterraum schmücken weiß gekleidete Protagonisten und die Zuschauer die Gegenwart mit der lächelnden Glückseligkeit des Paradieses. Das schwungvolle Finale animierte zu viel Beifall und Bravorufen.

Die Kostüme (Luis F. Carvalho) sind von einer deutlichen Farbsymbolik geprägt: der in schlichtes Schwarz gekleidete betende und kniende Chor im zweiten Akt; die leuchtend roten Kostüme von Piacere (Vergnügen) und ihren Begleitern; die in Gold gekleidete Welt (Mondo) samt ihren Anhängern; der weißgewandete Schutzengel (der über den Zuschauerraum auftritt), dessen Weiß schließlich auch das Finale bestimmen wird. Im dritten Akt treten ganz in Schwarz gewandete Bischöfe auf (Intelletto und Consiglio), offenbar die starre Haltung des Dogmas symbolisierend. Seele und Körper tragen Jeans, werden diese später aber ablegen und wie alle anderen Mitwirkenden in das reine Weiß der Glückseligkeit gekleidet sein. Mit der klaren Farbsymbolik korrespondierte ein sparsamer Bühnenbau: im Wesentlichen zwei große Bauelemente, jeweils ein Rundbogen, von einem Tor verschlossen, von denen einer auch an die Rampe vorfährt, dem Publikum näher rückt, während der andere im Hintergrund verbleibt.

Musikalisches Herzstück der Aufführung war das Orchester von Il Giardino Armonico unter der Leitung von Giovanni Antonini. Ganz besonders in den Intermezzi konnte das Orchester mit seinem vorwärtsdrängen Spiel und angenehmen Klang begeistern (Intermezzi, die hier nicht szenisch aufbereitet wurden). Für sie wurden von Antonini weitere Musikstücke aus jener Zeit adaptiert (im Programmheft genannt werden u.a. Giovanni de Macque, Giovanni Gabrieli, Giovan Pietro del Buono). Aber auch der Gesang, der sich in rezitativischem Rahmen bewegt, ist abwechslungsreich genug und mit interessanten Effekten versehen, wenn etwa das Echo als „Stimme des Himmels“ auf die Fragen der Anima antwortet oder wenn verstörend die Höllenqualen beschworen werden. Dabei galt es es – und gilt es – den Grundsatz absoluter Textverständlichkeit einzuhalten.

Es überrascht nicht, dass auch im Ensemble die Spezialisten den stilistisch nachdrücklichsten Eindruck hinterließen: etwa Cyril Auvity (Intelletto) mit seinem klaren Haute-Contre-Tenor oder der Countertenor von Carlo Vistoli als Angelo Custode. Margherita Maria Sala, Preisträgerin des Cesti-Gesangswettbewerbs 2020, hatte mit schlankem Alt für das Vergnügen zu sorgen. Anett Fritsch und Daniel Schmutzhard sangen die vermenschlichten Allegorien der Anima beziehungsweise des Corpo. Daniel Schmutzhard lieh der Figur jugendliche Unbekümmertheit mit virilem Bariton, Anette Fritsch beschwor mit ihrem Sopran eine bewegte und bewegende Seele. Florian Bösch war – wie bereits so oft im Theater an der Wien – seinen Bühnenfiguren ein kräftiger, aber wie immer stark textbezogener Anwalt, so wie es sich für einen „guten Rat“ geziemt. Georg Nigl durfte anfangs als Tempo (Zeit) einen betrunkenen Clochard ins Feld führen – als eine Figur die außerhalb der Gesellschaft und ihrer „Zeit“ steht. Später trat er noch einmal als Mondo auf. Der Arnold Schönberg Chor bot wieder eine gediegene Leistung.

Das Publikum war von den rund eineinhalb pausenlosen Stunden sehr angetan, aber zumindest auf dem II. und III. Rang gab es einige freie Plätze. Es sollte noch kein Problem sein, für die Folgevorstellungen Karten zu bekommen (aber die Kritiken werden wahrscheinlich recht gut ausfallen und das Interesse mehren).

Was sonst noch aufgefallen ist? Dass das Programmheft des Theaters an der Wien plötzlich ganz zeitgeistige „Gendersternderl“ setzt: die Sänger*innen, die Instrumentalist*innen, die Künstler*innen ...