LA PHILOSOPHIE DANS LE LABYRINTHE
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Museumsquartier Halle E
16.3.2007

Dirigent: Lucas Vis

Libretto: Edoardo Sanguineti
Inszenierung: Michael Scheidl
Bühne & Kostüme: Nora Scheidl
Choreographie: Takako Suzuki
TänzerInnen: Nicola Mascia, Yeal Schnell, Matan Zamir
Animation: Laurent Okroglic

Klangforum Wien

Koproduktion Münchener Biennale,
netzzeit/Wien

Minotauro - Michael Leibundgut
Giovane Ragazza - Alda Caiello
Giovane Ragazzo, Dedalo - Charles Maxwell
Minosse - Mark Hamman

Pasifae - Katia Guedes

 


Philosophie in der Sackgasse?
(Dominik Troger)

Die Philosophie im Labyrinth? Eine Kammeroper von Aureliano Cattaneo (Libretto Edoardo Sanguineti) machte für drei Aufführungen im Museumsquartier halt. Folgende Notizen basieren auf der zweiten Aufführung am Freitag, 16.3.

Die Alten pflegten solche Geschichten griffiger zu erzählen: die List der Ariadne und Theseus aufklärerische Tat haben dem blutigen Treiben des Minotaurus ein begrüßenswertes Ende gesetzt. Tributzahlungen in Form von Menschenopfern wurden abgeschafft, ein kretischer König wurde seines Unterdrückungsinstruments beraubt. Ich denke, solch eine Geschichte hätte man, modern gekleidet, riskieren können. Doch hier geht es um „die Geschichte von Minotaurus, der in einem Spiegellabyrinth eingeschlossen ist.“ - und dieses Wühlen in den Eingeweiden der Opfer und des blutgierigen Minotaurus-Stiers passt besser in die surrealistisch überhauchten Kunstkonzepte der Zwischenkriegszeit oder in den Symbolismus um 1900.

Denn in diesem Fall kommt ein Ästhetizismus zum Tragen, der mit der Auflösung des Bürgertums seinem eigenen Untergang entgegendämmert. Die Philosophie im Labyrinth wird zum Rückzugsgebiet einer künstlerischen Avantgarde, zur bedrohten ökologischen Nische, die das Mitgefühl mit dem Schicksal des Minotaurus als Akt des Selbstmitleids über die verlorene politisch-künstlerische Perspektive pflegt. „La philosophie dans le labyrinthe“ ist ein Abschiedsgesang, eine Totenmesse, in der dem Minotaurus die Rolle zukommt, von Basstiefen bis ins Falsett, noch einmal die einzelnen Stationen seiner beklagenswerten (?!) gescheiterten Existenz zu durchschreiten – ehe mit Theseus das neue Zeitalter beginnt. („In den drei Lagen, in denen er [Minotaurus] singt – extrem tief, sonore Mitte, hohes Falsett – spiegeln sich die Kräfte seiner Existenz: Tier, Mensch, Gott als unartikulierter Laut, Sprachfähigkeit, Entrückung.“ Zitat Programmheft Seite 21). Es verwundert nicht, dass in diesem Kontext die Tat des Theseus als „verwerfliche“ Tat erscheinen muss, zumindest als eine, die den Zuseher mit Mitleid erfüllt.

Diese Deutung gibt meinen Eindruck der rund 75 Minuten dauernden Aufführung wieder: ein zunehmendes Desinteresse und das Gefühl einer ausgelaugten, konstruierten Moderne, die in langatmiger Selbstbespiegelung verharrt. Da gibt es kaum mehr einen Impuls, der ins Dramatische zielt: am ehesten noch in den Szenen, wo Opfer und Minotaurus von Tänzern „gespiegelt“, in der Gestik das zu finden hoffen, was ihnen die Worte und Töne längst versagen – einen natürlichen, selbstwahren Ausdruck der eigenen Seelenregungen. Moderne Spieltechniken und die Kunstgriffe des Librettos treten auf der Stelle, sie finden kein Ziel mehr, auf das hin oder gegen das sie sich richten können. Dabei ist alles höchst kunstvoll verstrickt, vom Klavier bis zu den Flöten und dem Akkordeon, das Minotaurus seinen „Atem leiht“ – voll freigewordener Morpheme zerfällt die Partitur in mikroskopische Partikel, denen die Gesangsstimmen eine gewisse Konsistenz entgegensetzen. Aber das alles findet zu keiner narrativen Struktur, sondern bleibt „beschaulich“...

Leider hat sich auch das Inszenierungsteam um Michael Scheidl modernen Analogien des Labyrinthgedankes versagt: Minotaurus natürlich mit Stiermaske, fast nackt, das Bühnenbild angedeutete Steinmauern, Knossos 2000 Jahre vor Christi Geburt? Hätte nicht der an sich gut gemachte Zeichentrickfilm, der das Schicksal des Minotaurus als flimmernden Schwarz-Weiß-Cartoon „vergegenständlichte“, die Chance geboten, den Wirkungskreis dieser Symbolik zu erweitern? Unsere jetzige Zivilisation speist sich aus den siliziumgefertigten Mikrolabyrinthen moderner Computerchips (siehe dazu das Programmheft zur Aufführung S. 76): Wo sitzt Minotaurus heute, an welchem Knoten im dichtgesponnenen Netz globaler Informationslogistik, und wo hört man sein wütendes Schnauben? Ist das Wissen selbst zum Labyrinth geworden und die Unwissenden sind die Opfertiere auf dem Altar der globalisierten Marktwirtschaft? Wird ein neuer Theseus kommen... ?

Die Umsetzung durch das Klangforum Wien wirkte gediegen, das sind die Spezialisten für solche Musik. Michael Leibundgut bot als Minotaurus einen überzeugenden Seelen-Striptease. Die Halle E des Museumsquartiers war relativ gut besucht, der Schlussapplaus gegenüber den Mitwirkenden dankbar – auch wenn ratloses Kopfschütteln bei manchen Besuchern nicht zu übersehen war.