IL POSTINO
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Theater an der Wien
9.12.2010
Europäische Erstaufführung

Basierend auf der Novelle von Antonio Skármeta und dem Film von Michael Radford


Musikalische Leitung: Jesús López-Cobos
Inszenierung: Ron Daniels
Ausstattung: Riccardo Hernández
Licht: Jennifer Tipton
Projektion: Philip Bussmann
Choreographie: David Bridel

Wiener Symphoniker
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Koproduktion des Theaters an der Wien mit der Los Angeles Opera und dem Théâtre du Châtelet

Pablo Neruda - Plácido Domingo
Matilde Neruda - Cristina Gallardo-Domás
Mario Ruoppolo - Israel Lozano
Beatrice - Amanda Squitieri
Giorgio - Federico Gallar
Dona Rosa - Géraldine Chauvet
Di Cosimo - Gregorio González
Marios Vater - Gabriel Lautaro Osuna
Priester - Alexander Kaimbacher


„Eine Huldigung für Placido Domingo“
(Dominik Troger)

Keine drei Monate nach der Uraufführung in Los Angeles schon im Theater an der Wien: „Il postino“, die dreiaktige Oper von Daniel Catán, besingt eine nett erdachte Episode aus dem Leben des Arbeiterdichters Pablo Neruda.

„Featuring Placido Domingo“ – das würde als Inhaltsangabe eigentlich ausreichen, aber halten wir uns an die Details: Die Handlung spielt Anfang der 50er Jahre. Der aus Chile vertriebene Schriftsteller Pablo Neruda lebt auf der italienischen Insel Calla di Sotto im Exil. Dort kümmert er sich väterlich um den jungen Briefträger Mario Ruoppolo, dem er beibringt, wie man dichtet, und der im Laufe der Oper seine große Liebe Beatrice findet und heiratet. Während Neruda nach Chile zurückkehrt, hält ihm Mario die Treue. Er steigt in die Fußstapfen Nerudas als politisch engagierter Dichter und wird bei einer kommunistischen Kundgebung erschossen, als er eines seiner ersten, Pablo Neruda gewidmeten Gedichte vortragen möchte. Das Ehepaar Neruda stattet wenige Jahre später der Insel einen Besuch ab. Beatrice berichtet ihnen vom traurigen Schicksal Marios.

Daniel Catán hat zu dieser ziemlich einfach gestrickten Handlung eine nicht unpassend schmachtvolle musikalische Kulisse beigesteuert. Dass diese sehr stark nach Puccini klingt (plus ein paar impressionistischen Tupfern) und sich von Britten das musikalische Auf- und Abschwellen des Meeres ausgeborgt hat, verfehlte seinen Zweck beim schlussendlich doch noch gerührten Publikum nicht.

Der Weg zum traurigen, ganz im Stile Puccinis gehaltenen Finale, war aber doch nicht ganz glatt (und ein bisserl lang) – vor allem die erste halbe Stunde musste man einmal „verdauen“, mit einer eher peinlich anmutenden Szene, in der Pablo Neruda mit pathetischen Versen die Nacktheit seiner Gemahlin besingt. Dafür lässt Cristina Gallardo-Domás sogar den oberen Teil ihres Kleides „fallen“ (aber so gewendet, dass man im Publikum nur den Rücken sieht). Das Publikum überging die anschließende kurze Orchesterpause, in der offenbar Domingo gehuldigt werden sollte. Mag sein, dass da nicht nur ich, sondern viele andere Besucher noch schwer damit beschäftigt waren, die kulturelle Brücke zu Catáns Musik und der U.S.-amerikanischen Emotionalität zu schlagen, die sich da und dort mit so richtig blitzsauberer Kitschfassade manifestierte, von puritanischer, ehevertragsgesegneter Erotik geschwängert.

Aber eigentlich braucht man sich mit Details zu „Il postino“ erst gar nicht zu befassen: Placido Domingo heißt das Losungswort auf alle Fragen, ist die Partie des Pablo Neruda doch vom Komponisten extra für ihn designt worden – und ursprünglich hätte sogar Rolando Villanzon den dichtenden Postboten geben sollen, woraus aus bekannten Gründen aber nichts wurde. Catán hat nach dem „Zweck“ die „Mittel“ gestaltet und geheiligt und dafür gesorgt, dass die Erwartungshaltungen an die Sänger perfekt erfüllt werden. Wer als Zuschauer hier „mehr“ als ein „Märchen“ erwartet, wer eventuell nach realhistorischen Bezügen sucht und meint, hier würde man die aus heutiger Sicht durchaus hinterfragenswerte literarisch-politische Tätigkeit Pablo Nerudas wie eine kitschige Madonna oder ein mit rotem Band geschmücktes Mao-Bildchen in die Auslage stellen, dem müsste man glatt Bösartigkeit vorwerfen.

Placido Domingo wusste jedenfalls einmal mehr zu begeistern. Seine Stimme ist nach wie vor intakt, mit charakteristischem Timbre, kraftvoll und emotional. Die in der Bühnenerscheinung leicht abgeklärte Wirkung passte vorzüglich zum Gehabe der Bühnenfigur, die leidenschaftlich, aber doch über den Dingen stehend, ihre Welt in Metaphern kleidet und „verpoetisiert“. Freilich, die Rolle ist so fugenlos und ideal angemessen, dass sich das weiter oben zitierte Madonnen- und/oder Mao-Bildchen auch fraglos mit dem des Tenors tauschen ließe. Aber war frau/man nicht gerade deshalb in der Vorstellung?

Israel Lozano sang den Briefträger. Er passte vom Typ sehr gut in diese Rolle, brachte den nötigen Schwung und die nötige Leidenschaft mit. Sein etwas schmaler lyrischer Tenor verkraftete die veristischen Ausbrüche, das Timbre zeigte sich hell und wenig charakteristisch. Die Beatrice der Amanda Squitieri war vom Rollentyp ebenfalls sehr gut besetzt. Ein aufgeweckter lyrischer Sopran, quirlig, aber mit etwas scharfer Höhe. Sie war auch schauspielerisch überzeugend: ein hübsches italienisches Mädchen, und im Finale eine vom Schicksal geprüfte, glaubwürdig gezeichnete junge Witwe. Cristina Gallardo-Domás steuerte Pablo Nerudas Gemahlin bei. Ihre Stimme machte auf mich an diesem Abend keinen sehr frischen Eindruck. Die Rolle kam ihr sicher entgegen und sie harmonierte sehr gut mit Domingo.

Géraldine Chauvet gab eine resolute Dona Rosa. Von der übrigen Besetzung sei – nicht nur aus Lokalpatriotismus – Alexander Kaimbacher erwähnt, der einen Priester mimte, und dieser kleinen Nebenfigur eine sympathisch-witzige Charakterstudie abgewann. Die Wiener Symphoniker unter Jesús López-Cobos haben sich schon heikleren Aufgaben stellen müssen. Dirigent und Orchester sorgten für eine passende musikalische Begleitung.

Das Bühnenbild entsprach der Handlungszeit und lebte von rasch wechselnden Schauplätzen, alles realistisch gebaut, wobei der Fußboden, mit großflächigem Fließenmuster in unterschiedlichen Blautönen sehr attraktiv die Meernähe herausstrich. Hiesige Bühnenbildner konnten auch lernen, wie mit Projektionen geschickt ein aufgewühltes Meer dargestellt werden kann. In Los Angeles weiß man noch, was die Bühnenoptik dem Publikum schuldet, auch wenn die Farbtöne für hiesige Begriffe ein bisschen nach Werbefernsehen aussahen.

Es liegt auf der Hand, dass sich die Regie von Ron Daniels daran hielt, die Figuren zu arrangieren. Auflockernd war das verkomponierte Tischfussballspiel (Beatrice 3:0 Mario). Auch der Auftritt des Akkordeonspielers hatte seinen Reiz oder die psalmodierende Ansprache von Marios Vater am Hochzeitstisch.

Das Publikum applaudierte am Schluss eine Viertelstunde lang. Das hatte weniger mit dem Werk zu tun, als mit dem unermüdlichen Bemühen, Placido Domingo zu einem Solovorhang zu verlocken. Dieser gab sich aber spröde, erschien nur mit Ensemble oder mit Israel Lozano an seiner Seite. Aus dem Publikum wurde einige kleingebundene Buketts über den Orchestergraben auf die Bühne geworfen. Eine sentimentale Dankbarkeit hing in der Luft, die nur einen Namen kannte: Placido Domingo. Dass der Komponist, der zugegen war, sogar einen Buhruf einfing, sei nur der Chronik halber erwähnt. Die Aufführung dauerte, inklusive einer längeren Pause, knapp zwei Stunden und vierzig Minuten.