LA WALLY

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Theater an der Wien
12. November 2021
Premiere

Dirigent: Andrés Orozco-Estrada

Inszenierung: Barbora Horáková Joly
Bühhne und Kostüme: Eva-Maria Van Acker
Licht: Michael Bauer
Video: Tabea Rotfuchs

Wally - Izabelka Matula
Stromminger, ihr Vater - Alastair Miles
Giuseppe Hagenbach -
Leonardo Capalbo
Vincenzo Gellner -
Jacques Imbrailo
Afra - Sofia Vinnik
Walter - Ilona Revolskaya
Il Pedone - Zoltán Nagy


Alpenländische Milieustudie
(Dominik Troger)

Vor vier Jahren hat sich die Volksoper an Alfredo Catalinis „La Wally“ versucht, jetzt hat das Theater an der Wien die 1892 uraufgeführte Oper „ausgegraben“. Das Werk in dem sich Hochgebirgspanoramen mit sprunghaften Emotionen paaren, ist schwer zu inszenieren. Auch die vom Theater an der Wien angebotene Lösung wirkte wenig überzeugend.

„La Wally“ wird selten gespielt, außer der genannten Produktion in der Volksoper gab es in Wien im neuen Jahrtausend nur eine konzertante Aufführung im Konzerthaus. In Erinnerung ist vielleicht eine Produktion der Bregenzer Festspiele aus dem Jahr 1990 mit Mara Zampieri in der Titelpartie und Pinchas Steinberg am Pult der Wiener Symphoniker. 2012 gab es eine Produktion am Tiroler Landestheater. Wer noch weiter in die Vergangenheit zurückreisen möchte, dem sei vor allem ein Mitschnitt mit Renata Tebaldi und Mario del Monaco aus dem Jahr 1953 ans Herz gelegt.

Die eigentliche Herausforderung der Oper ist der vierte Akt: das Liebesduett in Schnee und Eis, der Lawinentod des Geliebten und Wallys Selbstmord. Es ist so praktisch, wenn man diesen vierten Akt zur „Vision“ Wallys erklärt. Man kann sich dann um die ganze erhabene Gebirgslandschaft herumschummeln, die die Szenenanweisung am Beginn des vierten Aktes beschreibt. Dass hier die Natur gleichsam Wallys Gemütsverfassung widerspiegelt, dass in diesem vierten Akt eine extreme Gefühlssituation herrscht, die alles andere als eine Vision ist, wurde schon in der Volksopeninszenierung (und nicht nur dort) geleugnet.

Um sich die Sache noch zu vereinfachen, hat das Regieteam um Barbora Horáková Joly den Hagenbach schon im dritten Akt sterben lassen. Wally glaubt (!) nur mehr, dass Hagenbach den von ihr initiierten Mordanschlag überlebt hat (siehe die auf die Inszenierung abgestimmte Inhaltsangabe im Programmheft zur Aufführung). Damit wird aber zugleich die Figur der Wally selbst „beschädigt“, die am Schluss des dritten Aktes auf Hagenbach, der den Sturz in die Schlucht eigentlich überlebt, verzichtet. Denn Wallys Gang in die Einsamkeit ist Ausdruck eines ganz bewussten Verzichts – und es macht für die Handlungsmotivation einen erheblichen Unterschied, ob solcher Verzicht Ausdruck des Wahnsinns ist oder ein Ausdruck von selbst eingestandener Schuld und Reue.

Natürlich wird man argumentieren können, dass es höchst unglaubwürdig sei, dass Hagenbach den Mordanschlag überlebt hat und noch unglaubwürdiger, dass er im Winter zu Wally ins Gebirge pilgert. Aber er liebt sie eben. Und wird dadurch nicht die ganze unerbittliche Macht dieses Gefühls von Catalani beschworen, das die beiden Menschen erbarmungslos dazu zwingt, sich zueinander zu bekennen? Ein Liebesduett in Schnee und Eis, das Hochgebirge als stummen Zeugen und ein bedrohlicher Wetterumschwung noch dazu, in dem die Gefühle der beiden Liebenden symbolisch kulminieren: eine mit bedrohlichen Naturphänomenen unterlegte orgiastische Liebesbezeugung – und das soll eine Vision sein, mit dem Geliebten als alpinem Wiedergänger, als auferstandener „Gletscherleiche“, als wirrer Phantasmagorie mit blutigem Cut auf der Stirn?

Aber bevor man sich zu solchen emotionalen Höhenflügen hinreißen lässt, wird lieber die Sozialkritik gesucht. Regisseurin Barbora Horáková Joly rekonstruiert das gewalttätige Milieu, dem Wally entspringt. Sie fundiert das patriarchale Gesellschaftssystem, das Wally in Form des alten Strommingers ihren Willen aufzwingen möchte. Dazu dient ihr der erste Akt, in dem Stromminger seinen 70er feiert und das geknechtete Landvolk sich im kollektiven Erdäpfelschälen übt. Der Alkohol fließt in Strömen. Neckisch pinkelt ein besoffener Tiroler in eine wassergefüllte Grube. Walter wird gehänselt und Hagenbachs Kollegen sind mehr Paramilitärs als Jagdgenossen.

Im zweiten Akt wird der „Arbeiterlook“ gegen Tracht getauscht, ein Maibaum wird aufgestellt, Perchten kommen zum Einsatz – die rüde Gangart des ersten Aktes wird etwas abgeschwächt (schließlich gehen die Probanden dieser Milieustudie sogar in die Kirche). Der zweite Akt ist der beste dieser Produktion, dessen positiver Eindruck im dritten Akt durch die oben erläuterte Ummodelung der Handlung rasch zerstört wird. Im dritten Akt zeigt sich immerhin anhand einer Steinlawine, welche Möglichkeiten die Bühnentechnik böte, einen szenisch spannenden vierten Akt mit Lawine zu „bauen“. Aber in dieser Inszenierung kommt die Lawine um einen Akt zu früh. Das seltsame Metallgerüst im Hintergrund, das den dritten und vierten Akt beherrscht, war allerdings ziemlich unansehnlich. Ganz am Beginn wurde ein „moderner“ Jodler der Gruppe Stimmhorn eingespielt, der die große schwarz-weiß Projektion einer alpinen Winterlandschaft akustisch untermalte. Videoprojektionen gab es den ganzen Abend lang – meist Nahaufnahmen, bei denen der Inhalt nicht ganz klar war: Zerteilen eines Hasen? Wurstmachen? Ein Geierkopf?

Nicht nur szenisch, auch musikalisch war noch „Luft“ nach oben. Die Wiener Symphoniker unter Andrés Orozco-Estrada spielten laut, spröd im Klang und mit wenig „sängerischem Atem“. Die Sängerriege wurde von Izabela Matula angeführt. Ein Sopran für Häuser mittlerer Größe, der vor allem auf ein leuchtkräftiges „Dauerforte“ abstellte, weil in ruhigeren Passagen die Stimme unstet wurde und in der Tiefe merklich an Volumen einbüßte. Die Sängerin spielte die Figur mit viel Einsatz und Selbstbewusstein: eine Frau, die Ärmel aufkrempelt, um ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und dabei scheitert. Den Hagenbach sang Leonardo Capalbo, ein mir zu ungeschliffener Tenor, der sich im vierten Akt ein wenig plagte und dessen Stimme sich leider nicht mit eben solcher Leuchtkraft Wally zur Seite stellen konnte. Jacque Imbrailo hinterließ mit seinem hohen Bariton als Gellner einen günstigeren Eindruck. Er hätte von einer psychologischeren Personenführung und einer feinfühligeren musikalischen Einstudierung noch profitieren können, aber dafür hat diese, in Summe doch etwas klotzige Milieustudie zu wenig Raum gelassen.

Der Walter der Ilona Revolskaya hatte das Pech, gleich am Beginn das Edelweißlied darbieten zu müssen, das in dem szenische Arrangement – der die Milieustudie wichtiger war als der Gesang – ziemlich unterging. Die hübsche Afra der Sofia Vinnik wurde im Finale des dritten Aktes von der Regie zu einem übertrieben ausgespielten Nervenzusammenbruch mit spastischem Muskelzittern gedrängt – weil Hagenbach ja angeblich tot ist. Der Stromminger brachte ein Wiedersehen mit Alastair Miles: der jüngste nicht mehr, aber mit trockenem Bass nach wie vor stimmlich für etwas reschere Kerle gut gerüstet.

Das Publikum wirkte beim Schlussapplaus ein wenig unentschlossen. Meistens fällt der Premierenjubel im Theater an der Wien stärker aus. Das Regieteam erhielt mäßigen Zuspruch und kam ohne Missfallensbezeugungen davon. Dass Wally den stärksten Applaus für sich gewann, wird niemanden überraschen.

PS: Am Beginn wurde gebeten, wegen der zugespitzten pandemischen Sachlage, die FFP-2-Masken die ganze Vorstellung über zu tragen. Für diese Bitte gab es Applaus und ein Großteil des Publikums kam ihr gerne nach. Aber in Wien wird schon damit gedroht, bei Kulturveranstaltungen aus dem 2G ein 2G+ zu machen – also auch PCR-Tests für vollständig Geimpfte bei einer Gültigkeit von 48 Stunden.

Für eifrige Kulturrezipienten wird die Sache dann allerdings mühsam. Soll man sich jeden zweiten Tag testen lassen, damit man in die Oper oder ins Konzert oder ins Theater gehen kann? Steht dieser Aufwand dann noch dafür? Sind die Testkapazitäten überhaupt ausreichend? (In einigen Bundesländern, so hört man, soll sich die Auswertung der Tests bereits deutlich verzögern.) Solchen Fragen wird man sich stellen müssen, falls in den nächsten Tagen eine solche Verordnung erlassen werden sollte. Es wäre jedenfalls kundenfreundlich, wenn unter diesen verschärften Maßnahmen eine Rückerstattung bereits gekaufter Eintrittskarten gewährt wird.