LA WALLY

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Volksoper
25. März 2017
Premiere

Dirigent: Marc Piollet

Regie: Aron Stiehl
Bühnenbild: Frak Philipp Schlößmann
Kostüme: Franziska Jacobsen
Choreinstudierung: Thomas Böttcher

Wally - Kari Postma
Stromminger, ihr Vater - Kurt Rydl
Giuseppe Hagenbach - Vincent Schirrmacher
Vincenzo Gellner - Bernd Valentin
Afra - Annely Peebo
Walther - Elisabeth Schwarz
Infanterist - Daniel Ohlenschläger


Liebestod statt Lawinennot
(Dominik Troger)

Die Wiener Volksoper hat Alfredo Catalanis „La Wally“ auf den Spielplan gesetzt. Die Premiere am Samstagabend war zugleich die Erstaufführung im Haus am Währinger Gürtel.

Die 1892 uraufgeführte Oper wurde in Wien zuletzt 2005 konzertant im Wiener Konzerthaus gegeben. Oftmals ist freilich das bekannteste Stück aus der Oper, die Sopranarie „Ebben, ne andrò lontana“, in den Kinos erklungen – etwa im Film „Diva“ des französischen Regisseurs Jean-Jacques Beineix. Einem opernaffineren Publikum ist „La Wally“ auch wegen des Finales bekannt: wenn eine Lawine den Tenor hinwegrafft – und der Sopran ihm nachspringt wie einige Jahre später die Tosca von der Engelsburg.

Nun ist dieses Finale nicht nur effektvoll – sondern es wird schon im ersten Akt „vorangekündigt“: Walter besingt in seinem Lied vom Edelweiß das Schicksal eines Mädchens, das von einer Lawine mitgerissen wird und das im Schnee als Blume weiterlebt. Librettist Luigi Illica hat mit diesem Lied in sein doch sehr naturalistisch angelegtes Drama rund um das Tiroler Bergvolk aus dem Ötztal einen mythologisch angehauchten Schicksalsfaden verwoben, der das durch Naturkräfte gewalttätig herbeigeführte Finale nicht nur einer reißerischen Zufälligkeit anheimstellt.

Natürlich ist nicht abzustreiten, dass ein Lawinenabgang auf offener Bühne einen innovativen Regiepraktiker erfordert, der sich der Schwierigkeit eines solchen Unterfangens bewusst ist. An der Volksoper war sich das Regieteam um Aron Stiehl zwar der Schwierigkeit bewusst (wie im Programmheft zur Aufführung nachgelesen werden kann), aber man hat erst gar nicht den Versuch unternommen, sich darauf einzulassen. Wally wird im vierten Akt ins Delirium versetzt, um sich ihren Giuseppe und einen Liebestod herbei zu phantasieren. (Wenn man denn „zufälliger Weise“ einen Ulrich Schreiber zu Hause stehen hat, dann ist diese Idee nicht einmal neu: Schreiber verweist in Band 3/I seines Opernführers für Fortgeschrittene (4. Auflage 2010) auf eine Inszenierung im Jahr 1985 von Werner Schroeter in Bremen, in der Wally am Ende ihren Verstand verloren hat und den Liebestod „träumt“.) Außerdem hat man laut Programmheft die Uraufführungsversion gewählt, die ohne den spektakulären Todessprung Wallys endet.

Dieser Lawinenverzicht wirkte im Rahmen der Aufführung umso überraschender, weil die stilisierende in Weiß und Schwarz und grauen Zwischentönen gehaltene und drehbühnenbewegte Kulissenlandschaft durchaus Berge erkennen ließ, weil auch manchmal Bühnenschnee vom Schnürboden flatterte und weil sich mit einem kleinen Bühnentrick die Lawine durchaus in das optische Gesamtambiente hätte einfügen lassen. Auch sonst hat sich Aron Stiehl, etwa bei der aufwendigen Tenorrettung im dritten Akt, nicht gescheut, realitätsnahe zu zeigen, was Sache ist. Die Kostüme (etwa der Jäger) wirkten zum Teil wie alten Fotografien um 1900 entnommen, und die Jäger wurden beispielsweise auch so gruppiert. Das Spannungsfeld von historischem Detail versus abstrahierter Landschaft verhinderte eine folkloristische Vereinnahmung und schärfte den Blick für die expressiven Emotionen der Hauptfiguren.

Die Personenregie griff allerdings einige Male zu Überzeichnungen – etwa die angedeutete Vergewaltigung Wallys durch Gellner am Schluss des zweiten Aktes. Etwas seltsam benahm sich die Figur des Infanteristen (laut Libretto „il pedone“), mit der Wally im Finale eine Art von geistigem Ringkampf zu führen hat, und der auch sonst immer wieder über die Bühne marschiert und wie ein mephistophelisch angehauchter Kerl (gut gelöst von Daniel Ohlenschläger) sogar eine betende Choristin per Handzeichen ins Jenseits befördert. Aber in Summe handelte es sich (abgesehen von der Schlussverweigerung) um eine einigermaßen brauchbare Inszenierung, die nicht ohne Geschick durch die expressive, in den Motiven und ihrer psychologischen Begründung oft stark verknappenden Handlung führte.

An der Volksoper hat man nicht nur in deutscher Sprache gesungen, sondern besetzungsbedingt aus der „Wally“ gleichsam eine „deutsche Oper“ gemacht – und auch das Orchester unter Marc Piollet klang auf meinem Galerieplatz sehr kompakt, mit zuviel Schwergewicht auf den Bläsern (aber die Akustik der Volksoper ist schwierig). Vor allem gelang es Piollet zu wenig, durchgehende Spannung zu erzeugen, der zweite Akt war ein großer Durchhänger (was bis zu einem gewissen Grad aber auch dem Werk geschuldet ist). Das Schillern dieser Partitur, die in ihren visionären Momenten filmmusikreife Gebirgspanoramen beschwört, hätte stärker sein können.

Die Sängerinnen und Sänger konnten aus den paar Gustostückerln wenig herausholen. Bei Kari Postma störte mich ein starkes Vibrato, für ihre lyrische Sopranstimme ist die „Wally“ wohl noch eine Nummer zu groß. Kurt Rydl polterte sich als Stromminger durch den ersten Akt. Er gab der Figur zumindest Gewicht und füllte die Volksoper mit einer derben Rohheit, die dem unguten Charakter dieses engstirnigen Vaters angemessen war. Bernd Valetin (in der Premiere für Martin Winkler eingesprungen) sang den Gellner mit einem rauhen, aber kräftigen Bariton, dem es für die ariose Liebeserklärung im ersten Akt aber an Geschmeidigkeit fehlte. Vincent Schirrmacher (als Zweitbesetzung in der Premiere für Endrik Wottrich eingesprungen) führte seinen Tenor sehr engagiert ins Treffen, nicht ohne da und dort zu forcieren. Annely Peebo wirkte als Afra blass, und Elisabeth Schwarz sang den Walter mit lyrischem, beweglichen Sopran. Der Chor rundete gut dieses alpenländische Ambiente ab, das einen zweieinhalb, eher unergiebige Opernstunden lang, in der Volksoper festhielt. Den Publikumsreaktionen nach waren aber viele Besucher anderer Meinung.