MEROPE

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Theater an der Wien
21.10.2019
Konzertante Aufführung

Dirigent: Alessandro De Marchi

Innsbrucker Festivalorchester

Merope - Anna Bonitatibus
Epitide - David Hansen
Polifonte - Carlo Allemano
Argia - Arianna Vendittelli
Trasimede - Vivica Genaux
Anassandro - Filippo Mineccia
Licisco - Hagen Matzeit


Gut Ding braucht Weile

(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat sich für die zweite konzertante Opernaufführung der Saison von den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik Riccardo Broschis „Merope“ ins Haus an der Linken Wienzeile geholt. Die Aufführung dauerte über viereinhalb (!) Stunden.

Wer sich an diesem Abend ins Theater an der Wien begeben hat, musste viel Sitzfleisch oder großen Enthusiasmus mitbringen. Die zweite Pause war erst um halb Elf zu Ende, der dritte „Meropen“-Akt währte fast bis dreiviertel Zwölf. Die Reihen im Auditorium hatten sich schon nach der ersten Pause merklich, nach der zweiten stark gelichtet: Aber der Kern der unerschrockenen Liebhaber verzierten Ziergesanges harrte mit Enthusiasmus aus, um die Rettung des antiken Messeniens durch Epitide, Meropens Sohn, aus der Hand des bösen Usurpators Polifonte mitzuerleben.

Nach Zeitungsberichten hat die szenische Aufführung bei den Innsbrucker Festwochen 2019 fünfeinhalb Stunden gedauert, für die konzertante Wiener Aufführung hat man also doch ein wenig gestrichen – offenbar vor allem Ballettmusik. Man hätte mit „Tinte, Feder, Rotstift“ aber ruhig verschwenderischer umgehen können. Wie schon in Zeitungskritiken zur szenischen Festivalproduktion angedeutet, ist es fraglich, ob Broschis Musik wirklich drei Akte lang trägt. Die langen Rezitative, die zum Teil recht einförmigen Arien und die etwas holprige Auflösung der Handlung im dritten Akt machen das Stück nur bedingt interessant.

Man hat in den letzten Jahren im Theater an der Wien bereits Bekanntschaft mit anderen Werken von Komponisten aus der neapolitanischen Opernschule machen können: Nicola Porpora und Leonardo Vinci. Broschi kann nach dem Eindruck dieses Abends mit den beiden genannten nicht ganz mithalten, auch wenn er die Titelpartie seinem Bruder Farinelli in Kehle gelegt hat. Die verwandtschaftliche Beziehung zu einem der berühmtesten Sänger der Musikgeschichte ist allerdings ein spannender Aspekt und anhand der Arien, die er für seinen Bruder komponiert hat, kann man erahnen, dass Farinelli – im wahrsten Sinne des Wortes – über einen endlosen Atem verfügt haben muss, über einen riesigen Tonumfang, über höchste technische Fertigkeit im Ziergesang und über eine tonmalerische Klangsüße, die man noch ein wenig in den langsamen Passagen herauszuhören vermeint, die ihm sein Bruder auf den Leib geschneidert hat.

Die Einrichtung dieser wiederbelebten Opernrarität hat Alessandro De Marchi, der musikalische Leiter des Abends, vorgenommen. Er hat, wie im Programmheft nachzulesen ist, bei der Orchestrierung viel arrangieren müssen, und die Partie des Trasimene wurde nicht wie bei der Uraufführung mit einem Soprankastraten, sondern mit einem Mezzo besetzt. Anassandro und Licisco, bei der Uraufführung von Mezzosopranistinnen gesungen, wurden in dieser Produktion von Countertenören übernommen. Ob diese Veränderungen in historischem Sinn stichhaltig sind, müssten Spezialisten hinterfragen.

Prunkstücke des Abends waren die langsamen Arien des Epitide im ersten und zweiten Akt. Die schwierige Aufgabe der Farinelli-Nachfolge hat David Hansen übernommen, der in der aktuellen „La clemenza di Tito“-Produktion des Theaters an der Wien als Sesto zu hören ist. Hansens Countertenor war stellenweise der Respekt vor der Partie deutlich anzumerken, und so überzeugte er vor allem als verdienstvoller Arbeiter im reichgeschmückten Garten barocken Operngesangs, dessen Virtuosität nicht so richtig befeuernd wirkte. Das hatte er mit dem von De Marchi geleiteten Innsbrucker Festwochenorchester gemein, das Broschis Musik mit möglicherweise zu dezenter Begeisterung wiedergab. Den „musealen“ Staub haben De Marchi und das Orchester nur phasenweise „wegpusten“ können.

Die Titelpartie wurde von Anna Bonitatibus verkörpert. Die Königin, die den Usurpator heiraten soll, ergeht sich im ersten Akt in deftigen Rachegelüsten und ihre Arie „Barbaro traditor“ zählte zu den Höhepunkten der Vorstellung. Im vorangehenden Rezitativ wünscht sie ihrem zukünftigen Ehemann alles, was eine Gemahlin ihrem Zukünftigen sonst nicht wünscht: nämlich, dass sie ihn baldigst enthauptet und ausgeblutet sehen möge. Die Partie ist mehr dramatisch als virtuos angelegt, bevorzugte den gereiften, tiefen Mezzo der Sängerin und installierte Merope als starke, leidgeprüfte Frau.

Filippo Mineccia sang den Anassandro und hinterließ von den Countertenören stimmlich den „gerundetsten“ Eindruck, auch wenn Broschi die Partie nicht mit solchen Herausforderungen gespickt hat wie jene des Etipide. Hagen Matzeit wertete die Nebenrolle des Licisco auf. Vivica Genaux sang einen bewährten Trasimene (Genaux hat übrigens schon vor Jahren ein Farinelli-Album eingespielt). Arianna Vendittelli steuerte die Sopranpartie der Argia bei: ein wendiger, fester Sopran, dem für meinen Geschmack ein wenig die „Süße“ abging, um so richtig ins „Schalmeien“ zu kommen. Polifonte ist ein mehr nach der Schablone gefertigter Bösewicht, der auch musikalisch etwas blass bleibt: Carlo Allemano vermittelte mit gesetzter Stimme den Machtanspruch des Herrschers und seine etwas „hemdsärmelige" Perfidie.

Ein Publikum, das von 19:00 bis 23.45 Uhr durchhält, weiß natürlich auch zu jubeln. Es bedankte sich mit viel Applaus für die Aufführung. (Die Bühne war diesmal abgetrennt. An der Rampe standen Notenpulte. Es wurde nicht wie zuletzt im Bühnenbild der jeweils aktuellen szenischen Produktion des Theaters an der Wien „semikonzertant“ agiert.)