DIE VÖGEL
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Wiener Volksoper
7.3.2004

Musikalische Leitung: Alfred Eschwé

Inszenierung: Claes Fellbom
Bühnenbild: Werner Hutterli
Kostüme: Ingrid Erb
Choreographie: Chiang Ching

Hoffegut - Thomas Piffka
Ratefreund - Lars Woldt
Nachtigall - Edith Lienbacher
Wiedehopf - Klaus Kuttler
Zaunschlüpfer - Heidi Wolf
Prometheus/Stimme des Zeus - Wicus Slabbert
Adler - Yuri Batukov
Rabe - Markus Raab
Drossel - Maren Engelhardt


„Nachtigall und Wiedehopf“
(Dominik Troger)

„Die Vögel" haben wieder von der Volksoper Besitz ergriffen. Die durchaus erfolgreiche Produktion des ersten Mentha-Jahres wurde unter größtenteils neuer Besetzung wiederaufgenommen – die zweite Vorstellung der neuen Aufführungsserie wird hier rezensiert.

(1) Walter Braunfels hat seine „Vögel" nach der antiken Vorlage des Aristophanes in großen Teilen noch vor dem ersten Weltkrieg komponiert. Die Uraufführung erfolgte allerdings erst 1920. Dass man in ihm schon nach wenigen Takten den Zeitgenossen von Richard Strauss erkennt, wog damals sicher viel leichter als heute. Wer einmal mit dem gängigen deutschen Repertoire sozialisiert worden ist – und das sieht für jene Epoche des frühen 20. Jahrhunderts eben Richard Strauss an erster Stelle – der wird sich schwer damit tun, in Braunfels Schaffen die deutlichen Merkmale jener künstlerischen Identität auszumachen, die es offenbar braucht, um aus heutiger Sicht auch wahrgenommen und akzeptiert zu werden. Insofern teilt Braunfels das Schicksal vieler anderer Komponisten, die es nicht geschafft haben, ihren Stil so weit zu profilieren, dass sie selbst zum Synonym einer Epoche geworden wären. Die Rezeptionsgeschichte ist – in der historischen Perspektive betrachtet – in diesem Punkt meistens ziemlich unbestechlich und grausam.

(2) Sie ist in diesem Falle doppelt grausam, weil Braunfels – eben noch erfolgreicher Komponist – wegen seiner kritischen Haltung zum Nationalsozialismus jeglicher öffentlichen Wirksamkeit beraubt worden ist. So kann ein Komponist, der schon 1920 nicht als „Avantgardist“ bezeichnet werden konnte, heute unter den von den Nationalsozialisten gebrandmarkten „Entarteten Künstlern" kursieren, und trotzdem schon in den 50er Jahren einem kollektiven Vergessen angeheimfallen sein, weil er in seinem künstlerischen Wollen als viel zu „konservativ" eingeschätzt wurde. Deshalb fand er auch nach 1945 keine Lobby und keinen Anschluss mehr. (Interessant ist in diesem Zusammenhang der Grund für die Brandmarkung durch den NS-Staat. Braunfels Sohn berichtet, sein Vater habe sich dem Auftrag verwehrt, für das Regime als Hymnen-Komponist tätig zu werden – und dabei ziemlich deutlich seine Meinung gesagt.)

(3) „Die Vögel“ spiegeln in gewisser Weise die musikalische Entwicklung der Jahre 1909 bis 1919 wider, sie spannen den Bogen – ausgehend vom „Übervater" Richard Wagner – von der „Elektra" bis zur „Frau ohne Schatten", obwohl sie in wesentlichen Teilen anscheinend schon bis zum Beginn des I. Weltkrieges beziehungsweise dem Einrücken Braunfels (1915) fertiggestellt waren. Es liegt hier offenbar eine zeitliche Parallelität zwischen Strauss und Braunfels vor, die frappiert, und die man sich einmal genau vergegenwärtigen müsste, um zu erkennen, wie eigenständig Braunfels hinwiederum mit vorhandenen musikalischen Strömungen umgegangen ist. Heutigen Ohren sind diese, sich innerhalb weniger Jahre abspielenden „Gleichzeitigkeiten" aber schwer zu vermitteln – und so hört man vieles in den „Vögeln", von dem man meint, Richard Strauss als sehr direkte Quelle angeben zu können. Das beginnt nicht nur bei der Partie der „Nachtigall", die stellenweise wie eine in die Vogelwelt versetzte „Zerbinetta" flötet, sondern lässt sich auch beim Klangbild und bei der kompositorischen Behandlung der einzelnen Instrumentengruppen über weite Strecken nachvollziehen. Manches wird von Braunfels auch als bewusst gesetztes, gerade diese Komponisten-Zeitgenossenschaft ironisierendes Zitat eingeflochten worden sein. Doch diese Subtilitäten sind noch schwerer zu fassen.

(4) Ein Punkt verdient noch Beachtung: Braunfels hat die boshafte Story des Aristophanes „metaphysiert", vor allem in der Darstellung der tragischen Liebe zwischen Mensch und Nachtigall, eine romantische Metapher über die Unerfüllbarkeit der menschlichen Sehnsucht nach Geborgenheit und Glück. Ein Liebesduett, das den ersten Teil des zweiten Aktes prägt, tönt in inniger Melancholie und zählt zu den beeidruckendsten, gehaltvollsten Stellen des Werkes. Umrahmt wird diese fast schon „tristanhaft“ zu nennende Miniatur von der Fabel der großmannsüchtigen Vögel, die durch die Menschen aufgestachelt eine Stadt erbauen, um beiden, Menschen und Göttern, den „Vogel" zu zeigen. Zeus lässt das nicht zu und pustet mit Gewittersturm die Vogelstadt um. Braunfels hat dazu eine Musik komponiert, wie ein übersteigertes, überdimensionales Götterdämmerungsfinale. Die Nachtigall aber hat das erste und das letzte „Wort".

(5) Aufführungen der „Vögel" sind selten. Neuinszenierungen in den letzten Jahren gab es in Köln 1998, im Herbst 1999 in der Volksoper, im Jänner 2004 in Genf. Die Volksoper brachte es seither auf immerhin 18 Aufführungen, zu denen sich bis Anfang April noch weitere gesellen werden. Über den Status einer „Rarität" werden die „Vögel" wohl trotzdem nicht hinauskommen, wobei der jeweilige Erfolg auch stark von der Inszenierung abhängen wird. Die bühnengemäße Umsetzung in der Volksoper war die schlechteste nicht, aber ein phantasievollerer und spielerischer Umgang mit Bühnenmaschinerie und Kostümen hätte auch nicht schaden können. Bei der musikalischen Wiedergabe müsste man wahrscheinlich die Unterschiede zu Braunfels Zeitgenossen stärker betonen, und jene Bereiche in den Vordergrund stellen, die nicht so sehr das Klangarrangement eines Richard Strauss zur Entfaltung bringen. Wahrscheinlich gäbe es hier im Detail noch einiges zu entdecken.

(6) Nachdem ich die Premiere 1999 nicht gesehen habe, kann ich keine Vergleiche anstellen. Die Wiederaufnahme in der Volksoper hinterließ musikalisch jedenfalls einen guten Eindruck. Allen voran wird man Edith Lienbacher in Erinnerung behalten, die der Nachtigall ihre Koloraturen lieh (mit perfektem vogelhaften Spiel) – und damit reüssierte. Sie war eines der wenigen „Überbleibsel" von der Premiere und ein wichtiger Erfolgsgarant. Ihr menschlicher Liebhaber, der Hoffegut (Thomas Piffka) machte in Summe ebenfalls eine gute Figur, aber die Partie ist stellenweise ein bisschen exponiert – und kann Anklänge an „Bacchus" und „Kaiser" nicht ganz verleugnen. Dem jungen Sänger wurde hier eine Talentprobe abverlangt, die er (manchmal zu stärkerem Forcieren genötigt) durchaus bestanden hat. Sehr gelungen fand ich den Wiedehopf, dargestellt von Klaus Kuttler, auch im mimischen Ausdruck des „Vogelhaften“; ebenso überzeugend Heidi Wolf als „Zaunschlüpfer“. Dazu kam noch der eindrucksvolle „Prometheus“ von Wicus Slabbert. Mit dem „Ratefreund“ stellte sich Lars Woldt dem Volksopernpublikum vor. Der zweite „Mensch" auf der Bühne machte ein überzeugendes Debüt und legte in die Partie auch die notwendige Autorität – schließlich bringt er die Vögel „vom rechten Weg" ab. Das Orchester leistete sich hin und wieder Unsicherheiten (u.a. Hörner), verstand sich aber durchaus auf klangvolleres, differenzierteres Musizieren. Ein Verdienst, das man wohl auch Alfred Eschwé zugutehalten muss, der insgesamt für eine flüssige Umsetzung sorgte. Ohne Chor geht in dieser Oper wenig, und der Volksopernchor konnte sich hier von seiner besten Seite zeigen.

(7) Die Inszenierung verlässt sich nur teilweise auf Braunfels „naive" Vogel-Sängerei und bringt die mythischen antiken Bezüge mit ins Spiel: die blutige Story von der Verwandlung der Prokne und Philomene in Vögel aus Ovids „Metamorphosen“. Auch die Pantomime, die den Einzug der Vögel in ihre neue Stadt mit einer Taubenhochzeit feiern soll, wird von der Regie in die Richtung einer mythischen Blutschuld umgedeutet. Die Darstellung eines Kindsmordes samt lukullischer Zubereitung desselben, um es aus Rache König Tereus vorzusetzen, illustriert immerhin, dass das Regieteam über die mythologischen Querbezüge Bescheid wusste. Bei der Zerstörung der Vogelstadt, die durch eine Richtung Schnürboden strebende Balkenkonstruktion dargestellt wird, gibt es dafür echtes Feuer auf der Bühne, und zwar drei wahre Flammenstöße, dass einem als Zuseher Angst und Bange wird. Das Feuer darf dann auch eine ganze Zeitlang an Balken hochlecken und in der Volksoper verteilt sich dabei ein leichter Brandgeruch. Was die Pyromanie betrifft, könnte diese Inszenierung jeden Brünnhildenstein effektvoll in Flammen setzen. Die Kostüme, einfach und doch gut dazu geeignet, die Vorstellung von Vögeln zu wecken, sorgten für die eigentliche Belebung der auf zwei Ebenen bemessenen, kargen Szene.

(8) Publikumsrenner war diese Sonntagnachmittagsvorstellung keine. Aber der Applaus war lange, und die Bravorufe einzelner Fans dokumentierten die Zufriedenheit des Publikums mit einer gelungenen Aufführung ohne wirkliche Schwachpunkte.