FÜRST IGOR

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Volksoper
19. März 2016

Dirigentin: Alfred Eschwé

Regie & Bühnenbild: Thomas Schulte-Michels
Kostüme: Renate Schmitzer

Choreographie: Teresa Rotemberg

Fürst Igor - Sebastian Holecek
Jaroslawna, seine Frau - Melba Ramos
Wladimir, Igors Sohn - Vincent Schirrmacher
Fürst Galitzky, Jaroslawnas Bruder - Martin Winkler
Kontschak, Khan der Polowetzer - Sorin Coliban
Kontschakowna, seine Tochter - Annely Peebo
Owlur, ein getaufter Polowetzer - Karl-Michael Ebner
Skula - Stefan Cerny
Eroschka - Christian Drescher
Ein Bojar - Levente Szöke


Parodie oder Heldenepos?

(Dominik Troger)

Freitagabend im alten Rom, Samstagabend im alten Russland: Nach dem Theater an der Wien gab es an diesem Wochenende auch an der Volksoper eine Opernpremiere: Alexander Borodins „Fürst Igor“.

„Fürst Igor“ kann auf keine üppige Wiener Aufführungstradition verweisen: Das Programmheft zur Volksopernpremiere listet dankenswerter Weise die bisherigen Produktionen. Die ersten Aufführungen gab es im Haus am Ring im Frühjahr1941, die letzten 1960. 1979 und 1989 erfolgten Aufführungen in Form von Gastspielen der Sofioter Oper bzw. der Nationaloper Warschau. Der Premierenabend brachte die Erstaufführung des Werkes an der Volksoper und war – so der Beitrag im Programmheft – erst die 45. Vorstellung des „Fürst Igor“ in Wien. Bei der Aufstellung wurde allerdings eine konzertante Aufführung im Wiener Konzerthaus im April 1993 nicht berücksichtigt.

Die Entstehungsgeschichte der Oper ist komplex, Borodin hat fast zwei Jahrzehnte an ihr gearbeitet und sie unvollendet hinterlassen. Nikolai Rimsky-Korsakov und Alexander Glasunov haben das Werk vollendet. Die Aufführungsgeschichte ist aber nach wie vor im Fluss, erst 2014 wurde an der New Yorker Met eine „Neufassung“ aus der Taufe gehoben. An der Volksoper hat man sich als Ausgangsbasis für die Fassung von Rimsky-Korsakov und Glasunov entschieden.

Alfred Eschwé hat die Aufführung musikalisch eingerichtet. In einem Interview mit dem STANDARD (16. März 2016) hat Eschwé dazu einige Anmerkungen gemacht. Die Ouvertüre wurde von ihm laut seinen Aussagen auf dreieinhalb Minuten zusammengestrichen, insgesamt wurde die Oper um rund eine dreiviertel Stunde gekürzt. Nach dem Prolog wird zuerst der zweite Akt gespielt, das Publikum wird mit den Polowetzer Tänzen in die Pause entlassen. Der dritte Akt wurde stark gekürzt. Die Oper schließt in der Volksopern-Fassung mit der Rückkehr Igors und dem Jubel des von den beiden Gudok-Spielern zusammengerufenen Volks.

„Fürst Igor“ schwächelt in der Dramaturgie, kann aber mit einigen zugkräftigen Nummern punkten, darunter einige Chöre, aber vor allem Igors Arie im zweiten Akt und dem unumstrittenen „Hit“, den Polowetzer Tänzen. An der Volksoper wird in deutscher Sprache gesungen. Die Direktion wird dafür ihre Gründe haben. Offenbar wurde die Produktion nicht als Chance begriffen, mit ihr eine künstlerische Leuchtboje abzusetzen, die über den Währinger Gürtel hinausstrahlen soll.

Der Premierenabend entwickelte sich nicht nur wegen der bereits genannten Einwände träge, sondern auch wegen der Inszenierung, die für diesen russischen Geschichtsunterricht keine klare Linie fand. Dazu kamen Missgriffe in der Ausstattung: 2014 wurde der „Fürst Igor“ an der New Yorker Met in ein rotes Mohnblütenfeld gepackt, an der Volksoper antwortete man mit riesigen Sonnenblumenblüten. Mag sein, dass Sonnenblumen zu den Polowetzer Tänzen einen netten Hintergrund abgeben, aber wenn die Polowetzer den gefangenen Igor-Sohn in einer Sonnenblüte gepackt vor den Khan schleppen, dann wird's geradezu lächerlich.

Wie von dieser Sonnenblumentruppe überhaupt eine Gefahr für den gut gerüsteten Fürsten Igor ausgehen konnte, bleibt mir rätselhaft, zumal sich deren Mannen zum Kriegerchor so tölpelhaft bewegten, dass man an eine Parodie glauben musste. Seltsam choreographiert waren auch die Polowetzer Tänze, die von Break-Tänzern aufgemischt wurden. Das mag effektvoll sein, ist aber aus meiner Sicht im Rahmen dieser über weite Strecken richtig „altbacken“ anmutenden Produktion ein stilistischer Missgriff. Das operettig-blumige „Märchenland“ der Polowetzer kontrastierte mit Galitzky, der mit nacktem Oberkörper wie Mephisto in der Walpurgisnacht ganz auf eine pseudonaturalistische Orgiastik getrimmt war, die er vor einer Spiegelwand (!) mit seinen Kumpanen saufend auslebte.

Der schon outrierend wirkenden Personenregie in dieser Szene standen Abschnitte gegenüber, die viel weniger durchgearbeitet waren: etwa das „Date“ zwischen Khan-Tochter und Igor-Sohn, wenn die beiden zwischen riesigen Sonnenblumenblüten wandeln und sich unvermuteter Weise trotzdem finden. Sehr seltsam auch, wenn im dritten Akt plötzlich schwarze Würfel in das Sonnenblumenfeld geworfen werden, um ganz abstrakt offenbar das zerstörte Putiwl anzudeuten.

Das händeringende Wiedersehen zwischen Igor-Frau und Igor-Fürst war auch so ein Bühnenmoment nicht abgegebener inszenatorischer Willenserklärung. Am Schluss symbolisierte Igor mit Schwert und orthodoxem Kreuz in je einer Hand die Macht und den Glauben Russlands – und ich hätte nicht zu sagen vermocht, ob das jetzt als Parodie gemeint war oder als heroische Geste im Sinne der Oper und dem ihr zugrunde liegenden Igor-Lied.

Eine weitere Schwäche des Premierenabends lag in der teils fachuntypischen Besetzung und in der unoptimalen Tagesverfassung einzelner Protagonisten. Unumschränkter Star war Sebastian Holecek als Fürst Igor. Sein kräftiger Bariton blieb auch im Forte wohlklingend und in seiner großen Arie zauberte er für wenige Minuten große Oper auf die Volksopernbühne – und dann würde ich schon den Volksopernchor nennen, der sich bei dieser Oper mächtig ins Zeug legen muss, sowie das Ballett.

Annely Peebo als Khan-Tochter hatte keinen guten Tag, ihr Mezzo lag sehr unruhig, und ich hätte mir für Kontschakownas-Liebesschwüre ohnehin eine saftigere, breite Tiefe gewünscht. Vincent Schirrmacher klang in der Mittellage etwas „unrund“ und angespannt und in der Höhe forcierte er sehr stark. Melba Ramos mühte sich als Igor-Gemahlin, vor allem einige Spitzentöne klangen hart erarbeitet, und sie fand auch in das russische Melos nicht wirklich hinein, um das Leiden dieser Frau deutlich machen. Verdichtet sich in Jaroslawas Arien nicht die ganze Schwermut und Standhaftigkeit des russischen Volkes?

Martin Winkler gab einen geifernden Galitzky, der mit charakterbetonendem Bariton den Fürsten ziemlich fratzenhaft zeichnete. Sorin Coliban war ein für meinen Geschmack sich zu gemütlich gebender Khan Kontschak, dem es in der Tiefe etwas an Volumen mangelte, und der vor allem viel zu wenig Gefährlichkeit ausstrahlte. Bewährt die Nebenrollen: Stefan Cerny und (sehr markant) Christian Drescher als Wendehälse, sowie der Owlur des Karl-Michael Ebner.

Das Volksopernorchester unter Alfred Eschwé spielte mit schönem Streicherklang und etwas engem, knalligem Blech (wobei die Akustik in der Volksoper stark platzabhängig ist). Die Nutzung der ersten Logenreihe für Bläser nach der Pause war wohl auch nicht der akustische Meistergriff. Die vielen farblichen Facetten der Partitur kamen kaum heraus. Der Gesamteindruck blieb überraschend eindimensional und phasenweise ziemlich langatmig.

Der Premieren-Schlussjubel wurde diesmal von sehr deutlichen Buhrufen für das Regieteam kontrastiert. Sebastian Holecek wurde schon nach der bekannten Arie mit einigen Bravorufen und kurzem, aber starkem Applaus gedankt – er bekam auch beim Schlussvorhang den meisten Beifall.