GRISELDA

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Theater an der Wien
13.5.2025
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Benjamin Bayl

Wroclaw Baroque Orchestra

Griselda - Sonja Runje
Gualtiero - Max Emanuel Cencic
Ernesto - Dennis Orellana
Almirena - Shira Patchornik
Rambaldo - Tomás Král


„Barocker Tugendwahn

(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat den Barockopernliebhabern nach Francesco Gasparinis „Ambleto“ einen weiteren Ausflug ins „opernverrückte“ London des 18. Jahrhunderts ermöglicht: Giovanni Bononcinis Oper „Griseldsa“ ist 1722 im King’s Theatre uraufgeführt worden.

Giovanni Bononcini wirkte ab 1720 einige Jahre neben Georg Friedrich Händel in der Stadt an der Themse. Seine „Griselda“ war immerhin ein so großer Erfolg, dass man Ouvertüre und Arien auch gedruckt hat: allerdings in einer instrumental entschlackten Variante für die „Hausmusik“ und ohne Rezitative. Der Musikwissenschaftler Dragan Karolic hat daraus – und unter Berücksichtigung weiterer Quellen – die Oper rekonstruiert. (Im Programmheft zur Aufführung findet sich ein kurzer Arbeitsbericht aus seiner Feder.)

Initiator dieses Unterfanges war einmal mehr Max Emanuel Cencic, der damit wieder einer barocken Opernrarität zu neuem Bühnenleben verholfen hat. Die wiedergeborene „Griselda“ ist dem Publikum 2022 erstmals präsentiert worden. Die rekonsturierten Secco- und Accompagnato-Rezitative erfüllten ihren Zweck übrigens sehr gut, setzten die Handlung verankernde Akzente, machten aus dem Ganzen eine Oper und keine Ansammlung von Arien.

Die Handlung basiert auf der einhundertsten Erzählung aus Giovanni Boccaccios „Il Decamerone“. Die Bauerntochter Griselda heiratet einen Fürsten. Dieser Fürst stellt sie dann grausam auf die Probe. Er entzieht ihr Tochter und Sohn, trennt sich anscheinend von ihr, schickt sie in ihr Dorf zurück etc. Am Schluss erklärt er die ganzen „Prüfungen“ für beendet, und lässt Griselda, die alles duldsam ertragen hat, wieder als Gemahlin an seine Seite treten. Die Vorgangsweise des Fürsten wird dabei durchaus kritisiert: „Was lernen wir aus dieser Begebenheit? Daß vom Himmel eben sowohl göttliche Gesinnungen in die niedrigsten Hütten herabsteigen, als es in den königlichen Palästen Menschen giebt, welche vielmehr verdienen, Schweine zu hüten, als über Länder und Leute zu herrschen.“ (1)

Aus diesem Stoff hat Apostolo Zeno eines seiner vielen, oftmals vertonten Opernlibretti gebaut. Bei Zeno wird die Haltung des Fürsten politisch motiviert: Seine ungleiche Ehe mit einem Bauernmädchen habe das Volk aufrührerisch gemacht und die Proben seien ein Mittel, um dem Volk zu beweisen, wie Tugendhaft und standesgemäß Griselda sei. Bononcinis Oper basiert auf Zeno, wurde aber von Paolo Antonio Rolli bearbeitet. Doch auch bei Bononcini läuft alles auf den Lobpreis von Griseldas Tugend hinaus – und als Zuseher wundert man sich vor allem darüber, warum Griselda alles mit sich so demutsvoll geschehen lässt.

Im London jener Jahre hatten sowohl Händel als auch Bononcini ihre Fans. Aus heutiger Sicht ist Bononcinis Musik zwar reizvoll und unterhaltsam, aber er fasst die Seelenqualen Griseldas doch ein wenig „naiv“ auf. Aber das ist nicht abwertend gemeint: Es ist auch eine Kunst, gehobene Trivialliteratur zu schreiben, und diese „Griselda“ hat ein bisschen etwas davon.

Eine der Arien hat es sogar zur Berühmtheit gebracht, Ernestos „Per la gloria d’adorarvi“ haben sich als Konzertstück u. a. auch Joan Sutherland und Luciano Pavarotti angenommen. Dennis Orellana, der Ernesto dieser konzertanten Aufführung, brauchte allerdings keinen Vergleich zu scheuen, weil er mit seiner klaren, kräftig-keuschen Sopranstimme in dieser ursprünglich für Kastraten konzipierten Partie nicht nur technisch ausgezeichnet reüssierte, sondern auch viel authentischer wirkte.

Denn Max Emmanuel Cencic, der selbst den prüfungsneurotischen Fürsten gab, hatte wieder eine sehr gut ausgewählte Sängerschar um sich versammelt. Im sängerischen Vergleich mit der szenischen „Ambleto“-Produktion des Theaters an der Wien, die sich derzeit einer Hamlet-Oper von Francesco Gasparini widmet (zehn Jahre vor „Griselda“ in London aufgeführt) schnitt diese konzertante „Griselda“ viel besser ab. Klare, nahezu virbratolose Stimmen, die scheinbar mühelos ihre mit barockem Zierrat ausgestatteten Arien zum Besten geben. Cencic allein ist schon ein Phänomen für sich, auch wenn er inzwischen nicht mehr die jungen Liebhaber singt, sondern die Fürsten. Aber seine Stimme ist elastisch wie eh und je, mit bronzenem Timbre, ein bisschen gesetzter als früher, und passt bestens für die ihm gewählten Bühnencharaktere.

Sonja Runje widmete sich der Alt-Partie der Griselda mit einer sehr ausgewogenen, bedacht geführten Stimme, dem Rollencharakter gemäß ganz dem duldsamen Leid verschrieben, das ihr Bononcini verordnet hat. Sie machte Griselda zum Zentrum der Aufführung, ein Ruhepol, in der Gemütsbewegung unexaltiert und gefasst, mit auch in der Tiefe geschmackvoll rundendem Gesang und fast schon oratorienhaft zu nennendem Ausdruck.

Shira Patchornik gab die in Ernesto verliebte Almirena mit Humor, ein lyrischer Sopran, der sich mit Mozartscher Kokettheit auf Bononcinis bukolisches Tändeln einließ. Tomás Král gab rollengerecht den „bösen Bass“ Rambaldo, der Griselda nachstellt, und der in der ganzen Geschichte eine etwas undurchsichtige Rolle spielt. Schließlich will er sich sogar erdolchen, wovon ihn aber Ernesto abhält. Das Wroclaw Baroque Orchestra unter Benjamin Bayl sorgte für eine ansprechende, mir im Streicherklang etwas trocken anmutende Begleitung. Die Arien ergänzte immer wieder das erfrischende Spiel der Oboen und Flöten. Als Zugabe wurde für das dankbar beifallspendende Publikum der Schlusschor wiederholt.

(1) Zitiert nach der zwar nicht mehr ganz taufrischen, dafür gemeinfreien Übersetzung von Dietrich Wilhelm Soltau aus dem 19. Jahrhundert.