MACBETH
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Theater a.d. Wien
15.7.2003
Klangbogen Wien in Kooperation mit Oper Frankfurt

Musikalische Leitung: Shao-Chia Lü

Inszenierung: Keith Warner
Ausstattung: Es Devlin
Licht: Wolfgang Göbbel

Orchester: Radio Symphonieorchester Wien
Festival-Chor Klangbogen Wien
Choreinstudierung: Janko Kastelic

Macbeth - Donnie Ray Albert
Lady Macbeth - Susan Bullock

Banqo - Andreas Scheibner
Macduff
- Mel Ulrich
Lady Macduff - Sabina Cvilak
First Witch - Erla Kollaku
Second Witch- Christa Ratzenböck
Third Witch - Nadia Krasteva

Duncan - Wolfgang Müller-Lorenz
Malcolm - Stephen Chaundy
Lennox - Anthony Marber
A Servant - Erik Arman

An Old Man- Malcolm Rivers
A Murderer - Alfred Werner
u.a.


Oper oder Drama?
(Dominik Troger)

Das Klangbogen-Festival begrünt die sommerlich ausgedörrten Wiener Opernhaine wieder mit einer Handvoll an Aufführungen. Den Beginn machte der 1910 in Paris uraufgeführte „Macbeth“ des Schweizers Ernest Bloch (1880-1959). Wenn man hier von einer Rarität spricht, dann trifft das voll ins Schwarze: das Programmheft listet seit 1910 weltweit gerade 14 Produktionen (einige davon konzertant). Und Produktion Nummer 15 hatte am 15. Juli im Theater an der Wien Premiere.

Dabei muss man zuallererst ein mögliches Missverständnis aus dem Weg räumen, weil uns heutigen Opernliebhabern „Macbeth“ als frühes Verdi'sches Meisterwerk so gegenwärtig ist, dass es geradezu unausweichlich scheint, das Werk von Bloch (seine einzige Oper) unter diesem Blickwinkel zu betrachten. Die frühen Opern Verdis waren aber seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weitestgehend von den Opernbühnen verschwunden. Bloch konnte also ziemlich unbefangen an die Sache herangehen, der Blick auf den Stoff war weder bei ihm noch beim Publikum durch Verdis Werk verstellt. (Dass man diesen Vergleich trotz allem ziehen wird, liegt aber auch auf der Hand. )

Was die Sache noch ein wenig verkompliziert, ist die Werk-Geschichte: Die Uraufführung in Paris beruhte auf einem französischen Libretto von Edmond Fleg, die in Wien gezeigte englische Fassung, die über diese französische Fassung wieder den „alten“ Shakespeare hineinkonstruiert, wurde von Alex Cohen in Kooperation mit Bloch in den 1930er-Jahren entwickelt. Bei der Aufführung im Theater an Wien handelt es sich um die erste professionelle Umsetzung dieser Fassung. Frühere spärliche Aufführungen waren amerikanische Hochschul-Produktionen gewesen. Durch seinen frühen Tod hatte Cohen aber keine Möglichkeit, die Bühnenwirksamkeit seiner englischen Fassung anhand einer Aufführung zu überprüfen. Auch Bloch war zwei Jahre nach einer ersten konzertanten Aufführung dieser Fassung verstorben. Wie Dramaturg Tom Sutcliffe im Programmheft ausführt, habe man deshalb auch für die Wiener Produktion „einige weitere vorsichtige Annäherungsversuche an Shakespeare gemacht“.

Blochs „Macbeth“ hält sich nun wirklich stark an Shakespeare, viel zu stark. Das ist zumindest mein Eindruck. Die musikdramatische Zuspitzung erfährt dadurch immer eine Art Verschleppung. Die Shakespear‘sche Bühnenrhetorik birgt in der gesanglichen Umsetzung viel Potential für überlange Szenen. Dem Ganzen fehlt ein wenig der Blick für die richtige Proportion. Da lässt Bloch Duncan noch lange Reden halten oder vertont auch die Szene am Mord von Lady Macduff, nicht ohne sie noch lange mit ihrem Sohn konversieren zu lassen. Eine Stelle, die leider auch musikalisch zum Seichtesten gehört, was dieses Werk zu bieten hat. (Bei Verdi fehlt dieses „Gemetzel“ zB. ganz, man erfährt davon nur in der Arie des Macduff, zu Beginn des vierten Aktes. Der Vorteil ist eine Konzentration des dramatischen Effekts.) Interessant, dass man sich hier auch von der Dramaturgie nicht entschlossen hat, straffend einzugreifen.

Aber auch musikalisch steht ein mehr gefühlsbetonter Impressionismus (zB. in der Charakterisierung der „guten“ Duncan-Welt) einem spröden, brutaleren Psychologismus der Macbeth-Welt gegenüber. Vor allem im ersten Akt hebt diese musikalische Schwarz-Weiß-Zeichnung nicht unbedingt die Spannung des Zuhörers. Man hat den Eindruck einer etwas plakativ aus Surrogaten zusammengemischten Partitur (auch Wagner lässt grüßen), die kein Eigenleben zu gewinnen scheint. Zwar meint man manchmal schon fast „elektrahaftes“ rhythmisches Aufstampfen zu vernehmen, aber das sind nur kurze Augenblicke, wo die mythische Gewalttätigkeit des Stoffes sich die Bahn bricht. Bloch bremst sich da schnell selbst wieder aus. Sogar dem gewaltig-aufbrausenden Schluss am Ende des ersten Aktes weiß er noch durch die abschließenden Grübeleien eines alten Mannes den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Insgesamt scheint es, dass Bloch die Sache kompositorisch zu sehr aus den Figuren heraus entwickelt und zu wenig „schicksalshaft“ begreift. Denn interessanter Weise bieten gerade die Hexenszenen, der lauernd fragende Beginn als Prolog sowie die erste Szene des dritten Aktes, jene musikalischen Momente, wo man auch die Individualität des Komponisten zu greifen vermeint, wo das Surrogat endlich verdampft und so etwas wie ein auskristallisierter „Bloch“ als Bodensatz zurückbleibt. Während dieses Versprechen, das der Prolog abgibt, dann leider lange nicht eingelöst wird, gelingt es Bloch im dritten Akt seine konträren musikalischen Anknüpfungspunkte endlich zu verschmelzen. Da war dann die Spannung greifbar, die man vorher eineinhalb Stunden lang umsonst gesucht hat.

Die Rezeptionsgeschichte hat, so das Programmheft, im Zusammenhang mit diesem „Macbeth“ oft von einem „Jugendwerk“ gesprochen. Ich finde diese Bezeichnung sehr adäquat. Schade, dass es im Zuge der englischen Übersetzung nicht auch zu einer tiefgreifenderen musikalischen Neufassung gekommen ist.

Die Inszenierung machte insgesamt einen sehr guten Eindruck, und das Bühnenbild machte von der Drehbühne des Theaters an der Wien reichlich Gebrauch. Dort hatte man eine dreiteilige, flachquadröse Räumlichkeit hingestellt, die so etwas wie ein kleinen Kinosaal oder das schmucklose Gehäuse eines alten Photoapparates assoziierte. Nachdem Macbeth auch so ein altertümliches Photogestell mit sich herumbewegt, das ihn von Anfang bis Ende ins „Auge“ nimmt, eine naheliegende Assoziation. Mir ist zwar nicht wirklich klar geworden, warum er das tut, aber es hat auch nicht gestört. Nun, es gab da schon einen massenmedialen Bezug. Die drei Hexen lesen gerne Zeitung (die dann Überschriften haben wie "Murder" o.ä.) und erscheinen als so etwas wie personifizierte Massenmedien, in denen sich Macbeth’s Schicksal zumindest wiederfindet – wenn es nicht gar als solches auftritt? Schon zu Beginn weckte so ein Schaubild, das über die Drehbühne huschte, ein Leichenfeld mit Soldaten, Assoziationen zu den mit zerschossenen Körpern übersähten Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs.

Keith Warners Inszenierung scheint zeitlich an diesem Übergang zu spielen, wo das 19. Jahrhundert sich in der Materialschlacht des ersten Weltkriegs gleichsam selbst vernichtet. In Macbeth, mal Gewehr oder Pistole in der Hand, am Schluss eifrig ein Schwert bemühend, wütet vielleicht der Machtanspruch eines neuen grausamen 20. Jahrhunderts, wo im Wald von Birnam am Schluss getarnte Panzer zu erkennen sind. So genau erfährt man das nicht, Warner bleibt in diesem Punkt zum Glück sehr assoziativ. Besonders gut gelang ihm die zweite Hexenszene mit einer Projektionswand zwischen Hexen im Vordergrund und Macbeth im Hintergrund, über die, musikalisch exzellent getimet, gezeichnete Geisterschatten huschten. Danach findet sich Macbeth zwischen zwei Spiegelwänden wieder, die spitz im Hintergrund zusammentreffen, zwei Spiegelwände in denen später illusionistisch der Wald von Birnam auftaucht. Die Wände bewegen sich dann aufeinander zu, der Raum für Macbeth wird immer enger. Schließlich taucht er, getötet, in die Versenkung, von aufgeregtem Volk verdeckt. Warner hat überhaupt für Spiegel etwas übrig, setzt sie auch geschickt als "Multiplikatoren" ein. Da ist Macbeth'ens Tischgesellschaft im zweiten Aufzug gleich doppelt so groß. Für die Geistererscheinung Banqos benützt Warner zwei gleichartig gebaute Zimmer, die sich dann dank Drehbühne schnell weg- bzw.herbeiholen lassen. In einem findet das Bankett statt, das andere ist leer, bis auf die Macbeth quälende Erscheinung Banqos.

Die musikalische Umsetzung wird man in Anbetracht dessen, dass man von diesem Werk vorher keine Note gekannt hat, nur vorsichtig bewerten können. Das RSO Wien unter Shao-Chia Lü wirkte manchmal ein wenig laut, nicht unbedingt sehr süffig, etwas spröde und grell (was aber auch der musikalische Stil Blochs ein wenig an sich zu haben scheint).

Die SängerInnen der beiden Titelpartien, den Bariton Donnie Ray Albert und den Sopran von Susan Bullock, einte eine gewisse stimmliche Härte, schmelzlos, und für die physischen und psychologischen Brutalitäten des Macbeth und der Lady gut geeignet. Gleich zu Beginn konnte man im Zwiegesang mit Banqo (Andreas Scheibner) allerdings heraushören, was der Stimme von Albert an formbarer Plastizität abgeht. Man meinte auch hier beim Macbeth ein wenig jene Sprödigkeit zu entdecken, die das ganze Werk wie einen roten Faden durchzieht. Durchaus passend also. Auch die Lady agierte überzeugend, im stimmlichen Ausdruck flexibler als Albert. Herausheben muss man auch die drei Hexen, die ihre beiden Szenen überraschend gut zur Geltung brachten. Insgesamt war aber ein durchwegs ansprechender Ensembleeindruck, ohne herausragende Einzelleistungen, der vorherrschende.

Das Publikum reagierte anfänglich ziemlich verhalten, sehr wenig Applaus zur Pause. Am Schluss gab es reichlich Beifall für alle Beteiligten. Ob sich das Unterfangen aber künstlerisch wirklich gelohnt hat, das wage ich mal zu bezweifeln.