VANESSA
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Konzerthaus
6.5.2011
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Cornelius Meister

Radio-Symphonieorchester Wien
Wiener Singakademie

Vanessa - Charlotta Larsson
Erika - Katharine Goeldner
Anathol - Ryan MacPherson
Old Baroness - Joyce Castle
Doctor - Johannes Mannov
Major-Domo / Footman - Simon Pauly


„Liebe und Lügen
(Dominik Troger)

Das Konzerthaus lud Freitagabend zu einer konzertanten Aufführung von Samuel Barbers „Vanessa“. Es war meine Erstbegegnung mit dieser Dame, die mädchenhaft und doch schon mittleren Alters, die Physiognomie eines Groschenromans nicht ganz verleugnen konnte.

Das Werk spielt in einem „nordischen Land“ um 1905. Die Handlung umfasst ein paar Monate vom Frühwinter über Silvester bis Ende Jänner. Vanessa hat 20 Jahre auf ihren Liebhaber gewartet, einen verheirateten Mann, der sich wegen ihr nicht scheiden lassen wollte. An einem Abend erwartet sie zusammen mit ihrer Nichte Erika und ihrer Mutter, der alten Baronin, den Auserwählten. Es kommt aber nicht Anatol, sondern sein Sohn, der boshafter Weise denselben Vornamen wie sein Vater trägt. Gleich in der ersten Nacht zeugt selbiger mit Erika ein Kind – aber Erika will ihn nicht heiraten. Dafür verliebt sich Vanessa in Anatol und heiratetet ihn. Erika hat unter dramatischen Umständen eine Fehlgeburt und bleibt schließlich mit der Baronin allein zurück. Vanessa geht mit Anatol nach Paris.

Barber hat den drei Damen ein musikalisches Make-up aufgelegt, das aus europäischer Sicht ein bisschen amerikanisch und eklektizistisch klingend auf große Gefühle setzt. Aus amerikanischer Sicht wiederum klingt es zu europäisch. Zumindest scheint die Wirkungsgeschichte zu solchen Verallgemeinerungen anzuregen. Gespielt wurde die dreiaktige Fassung von 1964.

Doch „Vanessa“, das als Werk ein wenig die romantische Opernhistorie seit Bellinis und Donizettis „Wahnsinnigen“ subsummiert, ist kein Rührstück – auch wenn man sich als Zuhörer nicht dagegen wehren sollte, von Vanessas und Erikas Schicksal gerührt zu sein. Der Groschenroman hat seine Abgründe, und bezieht seine Spannung aus dem Gegensatz idealisierter Liebesansprüche und realer Verhältnisse, in denen die Wahrheit oft durch Lügen kaschiert wird. Trotzdem haben sich Barber und sein Librettist Gian Carlo Menotti mehr an die Oberfläche gehalten – und die ist, weil in diesem Stück immer nur „Winter“ herrscht, von einer dicken, sentimentalen Schneeschicht eingehüllt.

Mehr von dieser flockigen Sentimentalität hätte ich mir bei der Wiedergabe gewünscht. Man braucht für dieses Stück wohl erstklassige „Primadonnen“ und ein „zuckrigeres“ Orchesterspiel als es das RSO Wien unter Cornelius Meister hören ließ. Die Partitur wurde mehr analytisch „ausgeleuchtet“, das Stück aber möglicherweise zuwenig auf seine sinnliche Ebene gehievt. Ein bisschen Kitsch schadet in solchen Fällen nie. Außerdem drückte das üppig besetzte Orchester auf die Singstimmen, die nicht ganz so üppig ausfielen.

Herausfordernd war für das Konzerthaus die Besetzung der Vanessa. Krankheitsbedingt gab es zwei Umbesetzungen: Die schwedische Sopranistin Charlotta Larsson musste so kurzfristig Einspringen, dass für das Abendprogramm nur mehr ein Einlagezettel reichte. Ihr Sopran klang für mich ein bisschen schmal, und wenn sie die Stimme zurücknahm, dann hatte das Orchester schnell die Oberhand. In den leidenschaftlichen Passagen war ihre Vanessa deutlich präsenter – und insgesamt war das Publikum, dem Applaus nach zu schließen, mit ihrem „Einspringen“ recht zufrieden.

Katharine Goeldners Erika bot für mich die „kompletteste“ Leistung des Abends mit ihrem leicht angedunkelten Mezzo. Die alte Baronesse, Joyce Castle, hatte Format. Sie feiert diese Saison ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum. Einerseits ist das nicht zu überhören, andererseits verlieh gerade diese Erfahrung gepaart mit ihrer charakteristischen Altstimme Vanessas Mutter eine starke Autorität. Ryan MacPherson hätte dem Anatol einen etwas schwelgerischen Tenor leihen können. Der alte Doktor von Johannes Mannov war viel zu jung, aber in der Festszene recht amüsant, als er den Betrunkenen mimen musste. Abgerundet wurde der Abend von Simon Pauly, der den Majordomus beisteuerte, sowie durch die Wiener Singakademie.

Das Publikum spendete dankbaren Schlussapplaus.