THE BLIND
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Kammeroper
17.1.2015

Österreichische Erstaufführung

Musikalische Leitung: Erwin Ortner



Sängerinnen und Sänger
des Arnold Schönberg Chores


Hauptstimmen

Blinde Frau I Sopran - Birgit Völker
Blinde Frau II Mezzo - Generose Sehr
Blinde Frau II Alt - Johanna Krokovay
Blinder Mann I Tenor - Daniel Arvai
Blinder Mann II Bariton - Marcell Attila Krokovay
Blinder Mann III Bass - Stefan Dolinar

Begleitender Chor

Blinde Frau IV Sopran - Daliborka Miteva
Blinde Frau V Mezzo - Elena Mitrevska
Blinde Frau VI Alt - Anne Alt
Blinder Mann IV Tenor - Patrick Maria Kühn
Blinder Mann V Bariton - Jörg Espenkott
Blinder Mann VI Bass - Akos Banlaky


„Viel Kürze, wenig Würze“
(Dominik Troger)

In der Kammeroper erlebte Lera Auerbachs „The Blind“ – eine symbolistisch angehauchte „Kurzoper“ – ihre österreichische Erstaufführung. Der Eindruck, den der Abend hinterließ, war mäßig, die Kammeroper möglicherweise kein idealer Aufführungsort, um dieses Stück zur Geltung zu bringen.

2011 kam im Theater an der Wien Lera Auerbachs abendfüllende „Gogol“-Oper zur Uraufführung. Jetzt folgte die österreichische Erstaufführung von „The Blind“ (Uraufführung ebenfalls 2011, aber in Berlin). Als Vorlage für „The Blind“ diente ein symbolistisches Theaterstück von Maurice Maeterlinck („Les Aveugles“ aus dem Jahr 1890).

Der Inhalt: „Die Blinden“ befinden sich auf einer Insel. Ein Priester hat die Gruppe an einem sonnigen Tag vor dem nahenden Winter noch einmal zu einem längeren Spaziergang ausgeführt. Aber der Priester stirbt und die Blinden bleiben in einer für sie unbekannten Umgebung alleine zurück. Sie finden den Körper des Toten und beten in ihrer Verzweiflung den 130. Psalm. Es beginnt zu schneien. Ein Kind beginnt leise zu weinen. Der Schnee fällt weiter, legt sich schweigend über die Welt. Es wird ganz dunkel.

Auerbach hat bei der Umsetzung auf Instrumente verzichtet. Sechs Sängerinnen und sechs Sänger stellen die Blinden dar, wobei die Stimmen in sechs Hauptstimmen mit kleinen solistischen Aufgaben und einen begleitenden Chor geteilt sind. Musikalisch positioniert sich Auerbach mit „The Blind“ in einer zeitlosen, weichgespülten Moderne. Während die Komponistin oft eng an die russische Musik des 20. Jahrhunderts andockt, fühlte ich mich bei „The Blind“ am ehesten an eine Abmischung von Britten und lateinischen Messgesängen erinnert. Die Komponistin hat das Stück auf Grund der formalen Ausfertigung als „A capella-Oper“ bezeichnet.

Bei „The Blind“ handelt es sich um ein kurzes Werk. Die Länge des Stücks wird auf der Homepage von Lera Auerbach zwar mit 55 Minuten angegeben, aber nach 55 Minuten drängte sich das Publikum dieser österreichischen Erstaufführung schon wieder in der Garderobe. Eingeleitet wurde die Oper mit einer zugespielten Instrumentalnummer (Titel: „After the End of Time“), deren sehr einfach gestrickter „Retro-Charme“ an elektronische Musik aus den 1970er-Jahren erinnerte. (Begonnen hat der Abend mit einigen Worten, die an das Publikum gerichtet waren, in denen der Gebrauch der beim Einlass verteilten Augenbinden erklärt wurde, und warum es reizvoll sein könnte, diese auch aufzusetzen.)

Der Begiff „Oper“ lässt einen eine gewisse „musiktheatralische“ Aktion erwarten – sei sie jetzt „a capella“ oder „klassisch“ ausinstrumentriert. Aber diese Erwartungshaltung wird von Auerbach nicht wirklich bestätigt. Zwar setzt das Libretto von „The Blind“ (dankenswerter Weise im Programmheft abgedruckt) durchaus dramatische Impulse, aber die Musik vermittelt wenig davon, bleibt in ihrer Ausdrucksfähigkeit ziemlich „flach", und die bereits angesprochene Kürze bietet dem Bühnenkollektiv zudem kaum Entwicklungsmöglichkeiten. Die Anlage ähnelt mehr einem „lebenden Bild“, einem Tablaeu vivant, wie man sie im 19. Jahrhundert in Gesellschaften gerne nachgestellt hat, und nicht einem prozesshaften, dem Theater angemessenen Geschehen.

Außerdem schafft Auerbachs Komposition wenig Atmosphäre, sei es nun zur Ausmalung emotionaler Zustände oder zur akustischen Beschreibung der Umgebung, in der sich die Blinden aufhalten. Schließlich hören sie laut Libretto das Meer rauschen, Wind kommt auf, Blätter rascheln. Diesbezüglich hätte ich mir erwartet, dass der Chor in viel stärkerem Maße die Rolle eines begleitenden und vielleicht auch „kommentierenden Orchesters“ übernimmt. Etwas Spannung kam erst im Finale auf, als die allgemeine Verwirrung ihren Höhepunkt erreicht („Don’t you hear steps around us?“). Aber die Hoffnungsversprechungen des 130. Psalms bügeln das rasch wieder aus, und das zarte Weinen eines Kindes verhallt leise und seltsam unbestimmt. Das eigentliche Charakteristikum von „The Blind“ dürfte ein liturgisch angehauchter, mystischer „Eklektizismus“ sein. Der Terminus „Oper“ fällt da eher unter „Marketing“.

Sehr speziell war die Aufführungssituation in der Kammeroper. Beim Eintritt wurden dem Publikum Augenbinden überreicht, damit ihnen die Option offenstünde, sozusagen als „Blinde“ dieser Aufführung beizuwohnen. Es gab in New York 2013 eine Aufführung von „The Blind“, die nach einem ähnlichen Konzept das Publikum der Oper als „Blinde“ zuführte. Dort waren aber die räumlichen Möglichkeiten andere, während in der Kammeroper die engen Guckkasten-Raumverhältnisse keinen raffinierten Stellungswechsel der Protagonisten zuließen und keine Tiefenwirkung des Klanges, um das Hörerlebnis zu steigern. Nur einmal umkreiste ein Sänger die Sitzreihen, um für einen „Sourround-Effekt“ zu sorgen.

Wer die Maske nicht aufsetzte, bekam nur die Schemen der in die Noten schauenden Choristen zu sehen, die sich in einem bis auf die Notbeleuchtung abgedunkelten Saal auf einer abgedunkelten Bühne aufstellten und dort eine karge „Choreographie“ an Stellungswechseln vollzogen. Trotz der prächtig disponierten Mitwirkenden des Arnold Schönberg-Chors blieb deshalb der künstlerische Gesamteindruck enttäuschend. Möglicherweise eignet sich ein größerer (Sakral-)Raum für eine Aufführung dieses Werkes besser?

Die Kammeroper war für eine Premiere schlecht besucht und vielleicht zu zwei Dritteln gefüllt – und das Publikum spendete den üblichen mit Bravorufen angereicherten Premierenapplaus.