POWDER HER FACE

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Volksoper im Kasino Schwarzenbergplatz
17. April 2019

Premiere am 13.4.19

Dirigent: Wolfram-Maria Märtig

Regie: Martin G. Berger
Bühnenbild: Sarah-Katharina Karl
Kostüme: Alexander Djurkov Hotter
Video: Anna Hirschmann
Choreographie: Florian Hurler

Duchess - Ursula Pfitzner
Zimmermädchen, Vertraute, Kellnerin, Geliebte,
Gafferin, Gesellschaftsjournalistin - Morgana Heyse
Elektriker, Dalonlöwe, Kelnner, Gaffer,
Lieferjunger - David Sitka
Hotelmanager, Herzog, Richter - Bart Driessen

Adès-Portal


„Sex-Revue
(Dominik Troger)

Thomas Adès Kammeroper „Powder Her Face“ wurde 1995 uraufgeführt. Die Oper ist eines der erfolgreicheren zeitgenössischen Musiktheaterstücke und wird bis Ende April von der Volksoper im Kasino am Schwarzenbergplatz gegeben.

Adès und sein Librettist Philip Hensher haben sich das skandalumwitterte Leben von Margaret Campbell, Herzogin von Argyll, zum Vorbild genommen, die über Jahrzehnte der britischen Klatschpresse reichlich Stoff geliefert hat. Ausgehend vom Jahr 1990 werden in einer Rückblende Lebensstationen der Herzogin auf die Bühne gebracht. Die Oper sollte aber nicht als „biographisch“ missverstanden werden, sondern der unausgesprochene, aber intendierte Verweis auf Margaret Campbell gehört zum Konzept dieses mit und von „Skandalen“ und „Gerüchten“ spielenden Musiktheaterstücks. Der Figurenkatalog enthält dementsprechend keine Namen, sondern „Rollen“. Neben der „Duchess“ wird das übrige reichhaltige Personal von drei Darstellern (Tenor, Bass, hoher Sopran) gegeben, die nach Berufsbezeichnungen „kategorisiert“ sind: Hotel Manager, Waitor, Elictrician, Waitress, Society Journalist u.a.m.

„Powder Her Face“ ist in zwei Akte gegliedert, besitzt insgesamt acht Szenen und einen Epilog. Beginn und Ende sind nicht nur musikalisch (ein Tango), sondern auch szenisch verbunden: Ein Stubenmädchen und der Elektriker des Hotels machen sich in der ersten Szene über die Herzogin lustig, im Epilog zerstören sie das von der Herzogin geräumte Zimmer. Die Demütigung durch das Personal ist der Anlass für die Herzogin, ihr Leben Revue passieren zu lassen. Das Publikum bekommt die Herzogin als Debütantin präsentiert, als Braut des Herzogs, als Beschuldigte in einem Aufsehen erregenden Scheidungsprozess. Doch schnell blättert der bizarre „Glamour“ ab, die Herzogin wird sich zwischen Paparazzijournalismus und Hotelrechnungen ihrer Einsamkeit bewusst, zu guter Letzt versagen beim Hotelmanager, der sie wegen ihrer Schulden aus dem Hotel weist, sogar ihre Verführungskünste.

Wenn der Herzogin die Erkenntnis dämmert, dass sie alle Menschen, die ihr etwas „Gutes“ getan haben, dafür bezahlt hat, nähert sie sich dem „Nullpunkt“ ihrer Existenz und gewinnt – was man als Zuseher eigentlich nicht mehr für möglich gehalten hätte – tragische Größe. Diese achte Szene bietet die Chance für große Oper und bringt Tiefenschärfe in eine bis dahin mehr „burleske“ und mit sexuellen Anspielungen aufgeladene Handlung – einschließlich der Verführung eines Zimmerkellners in Szene vier, die dem Werk den Beinamen „Blowjob-Opera“ eingetragen hat.

Abgesehen von den genannten „Oberflächlichkeiten“ steht das schräge „queere“ Leben der Herzogin in einem steten Spannungsfeld mit der Gesellschaft: als Provokation, als genussvoll ausgeschlachtete „künstliche“, mediale Aufregung, als Grenzmarkierung für ein die Normen hinter sich lassendes, weibliches (!) Verhalten, an dem zugleich auch die Bruchlinien dieser Normen sichtbar werden. Das Auftreten der Herzogin legt Dynamit an die vorgeblichen moralischen Ansprüche der „Upperclass“. Dieses Spannungsfeld und die Einsamkeit der Herzogin sind viel interessanter, als die sexuellen Eskapaden, die Adès und Hensher mit lustvoller Übertreibung in Musik und Wort gefasst haben. Sie verleihen dem Stück zu guter Letzt eine Ernsthaftigkeit, die mehr aus ihm macht, als eine Aneinanderreihung von „anzüglichen“ Varieténummern.

Schon die Musik von Thomas Adès ist gewissermaßen Programm: Was die Herzogin in ihrem Lebenswandel an Normverletzungen begeht, kommentiert der Komponist mit einem musikalisch aus kleinteiligen Versatzstücken gefertigten „Soundtrack“, der glissandifreudig immer wieder an große Vorbilder gemahnend sich der Persiflage hingibt: Strawinsky, „Der Rosenkavalier“, Alban Berg und andere, Operette, Musical – und eben der Tango, dessen „Erotik“ Adès schon in der kurzen Ouvertüre unterminiert, und der sich in dieser Fassung als Soundtrack für einen humoristischen Kurzfilm von Stan Laurel und Oliver Hardy eignen würde. Diese musikalische „Verzeichnung“ erschwert es allerdings, das menschliche Herz der Herzogin schlagen zu hören. Wird sie nicht auch von Adès mit Spott bedacht, werden ihre Schwächen nicht auch vom Komponisten dazu missbraucht, um in das allgemeine „Konzert“ der über ihren Lebenswandel entrüsteten Zeitgenossen einzustimmen? Es werden Bösartigkeiten nach allen Seiten ausgeteilt, ehe die Herzogin in später Selbsterkenntnis ein verzweifelt-düsteres Resümee ihres Leben zieht.

Der große Saal des Kasinos wurde, wie bei den bisherigen Volksopern-Ausflügen an den Schwarzenbergplatz, wieder längsseitig bespielt. Um das mittig an der Rückwand positionierte Orchester war vorne, links und rechts ein Laufsteg angebracht. Im Laufsteg war eine kleine Versenkung eingebaut und die Protagonisten konnten sogar unten durchkriechen, das sorgte für einige nette Überraschungseffekte. Auf diesem Steg spielte sich im Wesentlichen das Geschehen ab.

Martin G. Berger, der die Volksopernproduktion szenisch betreut hat, wollte die Herzogin als „Ikone“ zeitgeistiger „queerer“ Lebenswelt auf die Bühne stellen – und hat eine sehr offen strukturierte, showartige und „übersexualisierende“ Szenenfolge kreiert, die nicht viel mehr vermittelt hat, als eine Aneinanderreihung von „anzüglichen“ Varieténummern. Schon in der ersten Szene, die eine gewisse Vorliebe des Kostümbildners für pfirsichfarbene Stoffe bekundete, war nicht klar, was da eigentlich abläuft: Ein Zimmermädchen, ein Hotel-Handwerker waren nicht zu erkennen, die ganze emotionale Spannung der Demütigung der Herzogin, die als Auslöser für ihre „autobiographische“ Rückblende dient, war schwer zu fassen.

Nach der Pause wurde die Inszenierung etwas „konkreter“, blieb aber ihrem Konzept eines „Bunten Abends“ im Wesentlichen treu. Zusätzliches „queeres“ Personal bevölkerte, mit entsprechender Unterwäsche ausgestattet, immer wieder die Bühne. Erst gegen Schluss, auch durch die darstellerische Leistung von Ursula Pfitzner, gewann das Schicksal der Herzogin ausreichend tragische Größe. Die Handlungsklammer zwischen Beginn und Finale war ebenfalls nicht gut herausgearbeitet – insgesamt bot die Szene viel „sexuelle Lärmerregung“, blieb aber das Stück und die in ihm angelegten Konflikte nach meinem Eindruck weitgehend schuldig.

Ursula Pfitzner nützte die Chance, die sich ihr bot, um die Herzogin doch noch als eine Bühnenpersönlichkeit zu etablieren, an der das Mitgefühl des Publikums nicht verschwendet ist. Adès macht es den Sängerinnen und Sängern musikalisch ohnehin nicht leicht, der Rollentausch kommt noch hinzu – für die Duchess liegt zum Beispiel die darstellerische Herausforderung darin, als junge und als alte Frau gleichsam überzeugend und erotisch zu wirken. Bart Diessens schlanker Bass schien die Rolle des Richters gesanglich weniger zu liegen als der „Duke“, der selbst kein „Kostverächter“ ist, und dessen ehrliche Überraschung über die Eskapaden seiner Frau der Sänger gut vermitteln konnte. David Sitka mit wendigem (Spiel-)Tenor und Morgana Heyse mit ihrem leichten Sopran (die eine Szene in einer Badewanne zu spielen hatte, in der sie sich mit einer schokoladeähnlichen Substanz beschmiert) sorgten mit viel schauspielerischer und gesanglicher Energie für Frische und Abwechslung. Ob das Orchester unter Wolfram-Maria Märtig etwas prägnanter und differenzierter hätte klingen können oder ob die Akustik „interferiert“ hat, wage ich nicht zu entscheiden.

Die Volksopernproduktion bringt es inklusive einer Pause auf rund zweieinviertel Stunden. Der Schlussbeifall im sehr gut besuchten Kasino war stark.

PS: Der Besuch der Vorstellung ist erst ab einem Alter von 16 Jahren erlaubt. Die Plätze ganz vorne bei der „Bühne“ können nach der Pause nicht mehr benützt werden. Wer also den Geruch versprühten Parfums nicht hautnah erschnuppern möchte, tut gut daran, sich gleich einen „dauerhaften“ Sitzplatz zu sichern. Warum in der Werkeinführung zwar eingeladen wird, dort Platz zu nehmen, aber verschwiegen wurde, dass die Plätze nach der Pause geräumt werden müssen, ist mir nicht nachvollziehbar.

PPS: Für Opernhistoriker: Die österreichische Erstaufführung von „Powder Her Face“ hat im Jahr 2000 die Musikwerkstatt Wien im Semper Depot realisiert.