TANIA
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Anthony Davies -Portal

Jugendstiltheater
Baumgartner Höhe
18.11.2003
Europ. Erstaufführung am 13.11.03
Musikwerkstatt Wien

Musikalische Leitung: Huw Rhys James

Regie: Paola Viano
Ausstattung: Susanne Thomasberger
Kostüm: Susanne Özpinar
Choreographie: René Rumpold
Lichtdesign: Erich Umek

Ensemble Musikwerkstatt Wien

Tania - Ute Gfrerer
Cinque - Joe Garcia
Husband - Pablo Cameselle
Mom/Betty Ford - Tamara Gallo
Dad / Fidel - Kristor Hustad
Gabi - Teresa Gardner
Teko - Andreas Jankowitsch
Yolanda - Heidi Manser

Gelina - Maria Rosendorfsky
Fahizah - Maida Karisik
Reporter - Gottfried Pesau


Hunger auf Kekse
(Dominik Troger)

Fernsehen, Salzgebäck und Werbung – das ist eine inzwischen global schon weit verbreitete Lebensart, zumindest in der westlichen Hemissphäre. Genauso global wie Cracker ist auch Terrorismus. Und wenn man beides auf eine Opernbühne bringt, dann ergibt das die Oper „Tania“ von Anthony Davies (* New Jersey 1951).

Um gleich Missverständnissen vorzubeugen, die Oper „Tania“ ist zehn Jahre alt, und aus heutiger Sicht mag einem die etwas schwarzhumorige Betrachtungsweise des Terrorismus-Themas ein wenig grob-fahrlässig erscheinen. Die Oper hat zwar einen aktuellen Anlass, nämlich die Entführung der Millionärstochter Patricia Hearst, 1974, die dann mit ihren Entführern (der SLA Symbionese Liberation Army) gemeinsame Sache gemacht und eine Bank überfallen hat, das Thema wird aber sehr frei und fast surreal behandelt. Es beginnt vor dem TV, Tania und Gatte, cracker-beißend, es endet vor dem TV, Tania und Gatte, cracker-beißend. Dazwischen durchlebt Tania eine Karriere als Terroristin, vom Opfer bis zur MP-Trägerin, die den bürgerlichen Werten abschwört.

Anthony gebraucht dabei Terrorismus als eine Art Spiegel für die angepasste Existenz von Tania, die sich in Phantasien flüchtet, die vielleicht sogar eine Persönlichkeitsstörung durchmacht, schwankend zwischen dem keks-crackenden Dasein plus Ehemann vor dem Fernseher und einer obsessiven, antibürgerlichen, terroristischen Existenz. Letztlich bringt Anthony Davies sogar Che Guevara auf die Bühne, zu dem Tanias Ehemann mutiert, Tanias Mutter verwandelt sich in Betty Ford und ihr Vater in Fidel Castro. Weil aber Davies Musik das alles auf eine softige, jazzdurchtränkte Weise zusammenhält, wird daraus eine Mixtur, mit der man vielleicht US-Kapitalisten das Fürchten lehren könnte, aber keinen abgebrühten Europäer.

Das war vielleicht überhaupt der Haken an der sehr soliden Umsetzung durch die Musikwerkstatt Wien, dass man den einzigen Punkt, der zur Verschärfung der Thematik getaugt hätte, nämlich die Inszenierung, auch auf einem handwerklich guten, aber nicht sehr kontrastscharfen Niveau beließ. Denn die Frage ist, wie man als Zuseher dieses subjektive Erleben von Tania mitbekommt – und ob man das überhaupt mitbekommen kann, in dieser Mischung aus biederer Fernsehexistenz und bedrohenden psychischen Terrorismen. Wenn man sich als Zuseher dabei bequem und sicher im Gestühle rekeln darf, wird man von der Musik zwar „warmgehalten“, aber man bekommt die Schärfe der Fragestellung nicht wirklich mit. Ich denke mir, man hätte hier das Publikum gleichsam in „Geiselhaft“ nehmen müssen. Denn nicht einmal die Maschinenpistole, mit der Tania herumschoss, gab ein lautes Geballer von sich, sondern entledigte sich ihres Auftrags mit einem gehauchten „Peng“. Die Bösartigkeit des Ganzen blieb irgendwo im Waffenlauf stecken, was schade ist - und so verlor sich der für dieses Werk so wichtige Kontrast der beiden "Daseinsebenen" von Tania in einer fadenscheinigen Solidität.

Die Bühne war schräg in den Raum gebaut, vor der eigentlichen Guckkastenbühne des Jugendstiltheaters. Rechts vorne logierte das Orchester. Wie eine spitze rosa Zunge leckte die Spielfläche nach links zu den Nebenräumen, die auch gleich als eine Art Garderobe genützt wurden. Das Outfit war rosa, etwas dem Stil der frühen 70er Jahre angepasst, der Boden deutlich schräg gestellt, so dass schon eine gewisse „schräge Sicht“ der Dinge angedeutet wurde. Dazu kamen ein paar Fernsehgeräte, alle mit dem Rücken zu Publikum.

Die Musik ist, wie schon erwähnt, sehr stark vom Jazz beeinflusst, die Singstimmen dürfen sich manchmal Exaltismen leisten, wenn es emotional passt, es gibt eingeflochtene arienartige Passagen und revueähnliche Ensembles, etwa am Schluss, wenn eine Art von Revolutions-Happening stattfindet, um sich kurz danach wie ein Hirgespinst zu verflüchtigen. Tania singt ein Duett mit ihrem Anrufbeantworter. Teilweise ist das alles rhythmisch gut durchgeschüttelt und das rasche mehrmalige Wiederholen von Motiven greift auch Techniken der Minimal Music auf. Manchmal lässt Davies auch einzelnen Instrumenten oder Instrumentengruppen den Vortritt, dem Klavier, den Bläsern. Das Ergebnis ist eine Mischung verschiedenster Stile zu einem jazzgetragenen Sound, der den auf der Bühne gezeigten Kontrast mehr einebnet als fördert.

Dieser Opern-Soundtrack ist stark auf die Hauptfigur zugeschnitten, Ute Gfrerer war als Tanja/Patty sowohl gesanglich als auch darstellerisch überzeugend, vom gesamten Ensemble ansprechend assistiert.

Das Jugendstiltheater war halb leer. Der Weg auf die Baumgartner Höhe war an diesem föhndurchwühlten Dienstagabend dem Publikum doch zu weit gewesen. Aber solange der Enthusiasmus der Ausführenden solche Missachtung erträgt, kann sich wenigsten eine kleine Riege unermüdlicher Opernbesucher an ihm erfreuen. Trotzdem währte der wohlgeneigte Applaus nicht allzu lange.