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Der „Goldkehlchen-Fänger“

Rechtzeitig zum Ende seiner Direktionszeit an der Wiener Staatsoper hat Ioan Holender einen Band „Erinnerungen“ vorgelegt, der von seiner rumänischen Jugend bis zur Gegenwart reicht.

In den Medien wurde aus diesen „Erinnerungen“ schon eifrig zitiert: Holenders Anmerkungen zu dieser Sängerin, zu jenem Orchester, zu diesem Festival, mit spitzer Feder geführt, wurden sofort herausgepickt und – wie der Autor bald selbst angemerkt hat – zusammenhanglos präsentiert.

Dem wahren Liebhaber gilt die „ganze“ Oper viel mehr als die einzelne „Arie“ und so sollte man es auch mit Zitaten halten. Man streut sie unters Volks, als Brosamen für die gierigen, sensationslüsternen Zeitgenossen, und hofft darauf, dass ein paar ernsthaftere Gemüter auch die vielen Seiten dazwischen lesen. Und bei aller selbstkoketten Imagepflege, die man dem Staatsoperndirektor nicht absprechen kann, es lohnt sich durchaus, gerade diese vielen Seiten aufzuschlagen. Manches wird einem zwar schon bekannt sein, anderes wird man hingegen um interessante Facetten bereichert finden, wieder anderes wird man gar unter Novitäten subsummieren können.

Der Lesefluss fließt im angenehmen Plauderton. Es gibt keine Kapitel – nur Absätze. Und diese verschränken sich zu einem großen Lebensthema und zu einem umfassenden Glaubensbekenntnis: Oper, Oper und noch einmal Oper (und ein bisschen Tennis zum sportlichen Ausgleich). Der Opernarr, der Opernsänger, der Opernsängeragenturbetreiber und der Operndirektor. Das geht Hand in Hand und liest sich in der Rückschau als sinnvoller Lebensweg in vier bedeutenden Abschnitten, inklusive allen Zufällen und mehr oder weniger beabsichtigten Karrieresprüngen.

Dass es in 75 Lebensjahren positive Begegnungen ebenso wie Enttäuschungen gab, liegt auf der Hand. Holender redet in seinen Erinnerungen nicht um den heißen Brei herum. Doch es fällt auf, wie sein künstlerisches Urteil SängerInnen auch dort einen gewissen Respekt abnötigt, wo die menschliche Beziehung inzwischen bekanntermaßen kühl geworden ist. Genau das unterscheidet den Kenner letztlich vom Fan, dass er sein Kunsturteil vom Charakter zu trennen vermag – auch von seinem eigenen.

Aus der Lektüre geht deutlich hervor, wie stark das Wiener Publikum die Sängerinnen und Sänger liebt und die Musik – und dass ihm die Regie eher als notwendiges Übel erscheint. Holender versucht in seinen Erinnerungen das Primat der Musik nicht anzutasten – und trotzdem seine Bemühungen um eine szenische Erneuerung darzulegen und zu begründen. Er betont auch, im Vorfeld von Produktionen klare Grenzen gezogen zu haben – und solche Regie-Auswüchse, wie sie auf deutschen Bühnen seit Jahren gepflegt werden, hat es unter seiner Direktion nie gegeben. Sätze wie (Zitat): „Wohin diese Einseitigkeit und Kopflastigkeit der Opernregie noch hinführen wird, verfolge ich mit großer Sorge und Skepsis.“ mögen den streitbaren Teil des Wiener Publikums mit dem Direktor i.R. ein wenig versöhnen.

Dass mit diesem Band Holender auch seiner eigenen „Mythisierung“ weiter Vorschub leistet, wird man ihm schwer vorwerfen können. Ein Anliegen scheint ihm dabei, in die Opernhistorie als Entdecker und Förderer möglichst vieler nahmhafter Sängerinnen und Sänger einzugehen, als „Krösus“ der Gesangeskunst, als „Goldkehlchen-Fänger“ und Karrierenschaffer. Vielleicht liest sich hier manches ein wenig verkürzt, so wie einem Menschen im altersgetriebenen Rückblick die erinnerten Jahre zusammenfließen und das Zeitgefühl verloren geht. Doch 280 Seiten inklusive Namensregister sind nicht viel für die Erinnerungen eines 75-jährigen, der auf ein spannendes Leben voller interessanter Künstlerbegegnungen zurückblicken kann.

Wer Holenders Erinnerungen aber unbedingt lesen sollte? Jeder ihm nachfolgende Staatsoperndirektor! Holender bietet – über viele Seiten verstreut – immer wieder Anmerkungen zur Stellung des Staatsoperdirektors und seiner schwierigen Position zwischen Politikern und Publikum, Sängern und Dirigenten, Regisseuren und Orchester. Diese exponierte Stellung hat er mit viel Selbstbewusstsein und Überzeugungskraft all die Jahre konsequent einer oft kritisch eingestellten Öffentlichkeit gegenüber vertreten. Auch davon legen Holenders „Erinnerungen“ ein beredtes Zeugnis ab.

Ioan Holender: „Ich bin noch nicht fertig“. Erinnerungen. Paul Zsolnay Verlag. Wien 2010.

operinwien.at © Dominik Troger