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„Die Publikumsverweigerung“ oder „Warum soll ich für etwas, das mir nicht mehr gefällt, Geld ausgeben?“
(Dominik Troger, 24.4.2003)

Hin und wieder tut der Blick über den eigenen Wiener Tellerand ganz gut. Nicht nur, um sich danach wohlig auf dieser vermeintlichen Insel der Opernseligkeit zu räkeln, sondern auch um ein wenig aktuelle Trends aufzuspüren, von denen das hiesige Operngeschehen möglichst verschont bleiben möge.

Nein, es soll hier nicht von der schwierigen Berliner Opernsituation die Rede sein, es gibt aus deutschen Landen noch viel Interessanteres zu berichten. Da hat es ein Operndirektor zuwege gebracht, innerhalb von zwei Jahren die Anzahl der abonnementwilligen Besucher um rund ein Drittel (!) zu verringern.

Nachrichtendienste haben ja die Tendenz zu einer sachlichen Lapidarität, die an Deutlichkeit schwer etwas vermissen lässt. Eine dieser Tage von der dpa verbreitete Meldung die Staatsoper Hannover betreffend fällt in diese Kategorie:

Bei der Präsentation des Spielplans für 2003/04 musste Intendant Alfred Puhlmann mehr als 3500 Abo-Kündigungen eingestehen und die zurückgegangenen Besucherzahlen als "bedrückend" bezeichnen. (Nun, Hannover hat rund eine halbe Million Einwohner. Und wenn sich plötzlich 3500 Abos in "Luft auflösen", dann muss schon in der Tat ein kleiner Erdrutsch passiert sein.) Die Politik (in diesem Fall der niedersächsische Kulturminister Lutz Stratmann, CDU) versuchte dabei wieder den Spagat zwischen "betriebswirtschaftlichem Gesichtspunkt" und der Versicherung, dass man das "eher tradierte Bild von Oper", dass viele immer noch haben, so nicht teile. Laut dpa stützte Stratmann den Kurs der Staatsoper Hannover, sich von "althergebrachten Inszenierungen" zu lösen. Insgesamt soll die Auslastung des Hauses diese Saison bei rund 70 Prozent gelegen haben. Zahlen für die Höhe der Einnahmenverluste wurden keine genannt. Noch stünden aber, so Stratmann, keine Subventionskürzung ins Haus. Im übrigen sollen publikumswirksame Stücke in der kommenden Spielzeit verlorenes Terrain wieder wettmachen. Die Frage nach dem rapiden Schwinden der Publikumsgunst wird vor allem auf die Regietätigkeit des Spaniers Calixto Bieito zurückgeführt, der mit einem "Don Giovanni" in der letzten Saison und einem "Troubadur" im diesjährigen März die Gemüter ziemlich erhitzt hat. Offenbar waren viele im Publikum nicht geneigt, sich die überzogenen Gewaltdarstellungen in den beiden Inszenierungen länger bieten zu lassen.
Soweit die dpa.

Also, es scheint, wir sind damit wieder beim Thema "Regietheater" gelandet.
Bieito, Jahrgang 1963, hat in einem Interview anlässlich dieser Troubadur-Inszenierung, das ich unter http://www.neuepresse.de aufgestöbert habe, gemeint, es gäbe zwei Arten von Regisseuren. "Die, die dem Publikum geben, was es möchte - und die, die das Publikum von ihren Ideen überzeugen möchten. Ich gehöre zu den Letzteren" Das ist aus seiner Sicht sicher ein praktikabler Standpunkt, und mit dem Nimbus eines Skandalregisseurs lebt es sich in unserem mediengeilen Zeitalter ohnehin sehr gut. Nur scheint das mit dem Überzeugen doch nicht so glatt zu gehen. Hannover ist derzeit dafür ein beredtes Beispiel.

Nicht nur, dass die Abonnementen in Scharen davonlaufen. Auch die Hardcore-Opernfans, die sich in Hannover in der GFO, Gesellschaft der Freunde des Opernhauses Hannover, organisieren, zeigen einen eklatanten Mitgliederschwund. Der letzte Opernrundbrief der GFO vermeldet: "324 Mitglieder haben im Jahr 2002 ihre Mitgliedschaft - größtenteils aus Verärgerung über einige Inszenierungen - gekündigt." Gleichzeitig sei auch das Spendenaufkommen zurückgegangen (http://www.gfo.hannover.de). Auf die Troubadur-Inszenierung replizierend meinte der GFO-Vorsitzende, Hubert-H. Lange: "Meines Erachtens hat der Regisseur die Grenzen einer modernen Inszenierung nicht nur ausgelotet, sondern deutlich überschritten. Manche 'Experten' halten diesen Weg für richtig, letztlich entscheiden hierüber wird jedoch die Akzeptanz der Besucher."

Intendant Alfred Puhlmann jedenfalls bleibt konsequent: Bieito wird in der kommenden Saison "La Traviata" inszenieren.

Die ganze hier angerissene Problematik macht eines deutlich: Die "biederen Opern-Wünsche" breiter Publikumsschichten müssten heutzutage Regisseuren, Direktoren, Medien schon deshalb lästig sein, weil sich daraus keine öffentliche Erregung generieren lässt, die man wirkungsvoll vermarkten kann. Richtig verräterisch ist in diesem Zusammenhang nachstehendes Resümee der Puhlmann’schen Tätigkeit, gefunden unter http://www.kdschmid.de/deutsch/01news/juor2003/04_6.htm – da heißt es gleich zum Einstieg: „Man muss leider sagen: Die Staatsoper Hannover, das war über zwei Jahrzehnte lang ein wunderbar funktionierendes Opernhaus – von dem freilich überregional kaum einer Notiz nahm. (...) Damit ist nun seit einem Jahr Schluss. (...) Der neue Trainer heißt Alfred Puhlmann (...)“ Das Ganze ist mit dem Titel „Kreative Unruhe“ versehen und macht eines deutlich: Ohne Skandal sinkt so ein hübsch funktionierendes Opernhaus unter die Aufmerksamkeitschwelle einer reizüberfluteten Öffentlichkeit.

Nun, zumindest in Hannover hat ein Teil des Publikums genug von diesen Spielchen und verweigert die Gefolgschaft. Ihm ist ein "wunderbar funktionierendes Opernhaus" anscheinend lieber, als diese ominöse „kreative Unruhe“ samt landesweitem Experten-Lob. Man wird ja sehen, ob dieses Beispiel Schule macht...