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„Das Leben ist heute mehr wie jemals eine Frage des Mutes geworden.“ (1936)

Wilhelm Furtwängler: Zitate und Anmerkungen
Zum 50. Todestag am 30. November 2004

[1] Am 30. November 1954 ist Wilhelm Furtwängler gestorben. „Kunst kann nicht verstanden, nur erlebt werden.“ Dieser kurze Satz könnte so etwas wie sein Credo sein. Er selbst hat ihn 1941 aufnotiert. Zeit seines Lebens war ihm die „Intellektualisierung“ des Musikbetriebes ein Dorn im Auge. Zwiespältig wandelte er durch ein Jahrhundert, das ihn als Dirigenten verehrte, ihm aber den Ruhm eines Komponisten versagte. Liest man in seinen Aufzeichnungen aus den Jahren 1924 bis 1954, erkennt man rasch, dass Furtwängler mit Beharrungsvermögen diese Linie verteidigte: „Der Kampf Nietzsches gegen Wagner ist zugleich der Kampf des modernen Intellektes gegen den Phantasiemenschen.“ (1951) Und wenn er sich 1939 die Frage stellte: „Warum wissen viele nicht mehr, was Religion ist?“ – dann hätte Furtwängler im Jahr 2004 vielleicht formuliert: „Warum wissen viele nicht mehr, was Musik ist?“ Und da hätte man wahrscheinlich einzufügen „was große Musik ist“. In Anlehnung an ein Zitat aus dem Jahre 1933: „Was ein großes Kunstwerk ist, weiß man nicht mehr, aber welcher Epoche es angehört, welchen Einflüssen (...)“. In gewisser Weise hatte er sich dabei natürlich selbst im Auge, den Komponisten, nicht den Dirigenten.

[2] Aber wie klingt das heute, wenn jemand vom „großen Kunstwerk“ spricht? Man nimmt ja Furtwängler immer noch nicht als Komponisten ernst. Nur als Dirigenten-Heros einer alten Tonträger-Zeit ist er nach wie vor „der Größte“. 1940 notierte er, den „großen Künstlern der Vergangenheit“ nachspürend, sie wären es nicht deshalb gewesen, weil sie „die zeitgemäßen Forderungen des Materials erfüllt haben, sondern weil sie außerdem Menschen waren und als solche sich mythisch-symbolisch ausgesprochen haben. Und zwar nur deshalb.“ Ein interessanter Gedanke – nicht an und für sich – aber sobald man ihn mit dem Lebensschicksal Furtwänglers verknüpft. Der Pultstar, der lieber als Komponist anerkannt sein wollte, der Deutsche, der in einem Deutschland als Märtyrer ausharrte (so sah er sich wohl selbst ein wenig?), als Musikbringer in einer dunklen, schlachtenlärmerfüllten Zeit. Mir fällt Pfitzners „Palestrina“ dazu ein, „Retter der Sakralmusik“ – Furtwängler als Retter der deutschen Musik?! Bei Adorno, ein kurzer Aufsatz aus dem Jahr 1968, lese ich dazu: „(...) so müßte ich wohl sagen, es wäre ihm auf die Rettung eines bereits Verlorenen angekommen (...). Dieses Rettende verlieh ihm etwas von der übermäßigen Anstrengung einer Beschwörung, der das, was sie sucht, rein unmittelbar schon nicht mehr gegenwärtig ist.“ So wird das Heroische zum Tragischen, so fällt Lichtbringer Siegfried unter dem Speere Hagens, Sohn des Dunkelalben. „Das wirklich Heroische, zumal das tragisch-Heroische, ist stets etwas Individuelles, auf die einzelne, verantwortliche Person begrenztes.“ (1945).

[3] Dem Heros, besonders dem toten, gehört die Liebe des mythenlauschenden Publikums. Furtwängler ist diese „Liebe“ sehr wichtig,. Sie ist sein wahrer Weg zur Erkenntnis. Das Kunstwerk ist ihm eines, in das man sich „versenken“ muss, das „Hingabe“ erfordert. „Liebe ist nie und nimmer zu ersetzen; nur sie schafft die Vorbedingungen für die visionär-richtige Erfassung des Ganzen im Kunstwerk, denn dies Ganze ist – ist es denn ein großes, in die Zeiten wirkendes Werk – nichts als Liebe“ (1936). Ist das nicht eine Utopie, an die zu glauben einen Menschen durchaus weiterbringen könnte, die zu leben aber, in Anbetracht der „wirklichen Verhältnisse“, wohl manchen Stolperstein bereithält? Herbert Haffner hat in seiner 2003 erschienenen Furtwängler-Biographie resümiert, Furtwängler wäre ein Utopist gewesen, „(...) der zahlreiche Illusionen lebte: die Illusion, zum großen Komponisten berufen zu sein, die Illusion, dass die Kunst bessere Menschen mache, die Illusion, dass es ein 'ewiges Deutschtum‘ gebe, in dem es möglich sei, eine 'totale künstlerische Existenz‘ zu leben und sein größte Illusion, nämlich dass Kunst und Politik zu trennen sein.“ Ein ganzes Leben als illusionistische Totgeburt?

[4] „Ob etwas wirklich lebt, kann nur der ermessen, der sich ihm nicht von vornherein entziehen will.“ (1946). Seinen Kompositionen will die Öffentlichkeit sich offensichtlich entziehen. Immerhin hat vor zwei Jahren Daniel Barenboim Furtwänglers 2. Symphonie auf CD verewigt, mit dem Chicago Symphony Orchestra. In Chicago, wo Furtwängler 1948 hätte Chefdirigent werden sollen. Ich habe diese Aufnahme eben in den CD-Player eingelegt. Furtwängler als Bindeglied zwischen Bruckner und Brahms. Die symphonische Form der Spätzeit, wie sie unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbricht. Furtwängler hat die Partitur dieser 1948 uraufgeführten Symphonie mit altdeutschem Mobiliar vollgestopft. Sie ist ein einziger, großer Anachronismus. Sie ist eine rückwärtsgewandte Utopie, Sehnsucht nach einer besseren, alten Zeit. „Der Fortschritt wird immer mehr zur Theorie. Er entfernt sich immer mehr vom Zentrum, dem 'Menschen‘:“ (1927). Und später finde ich in Furtwänglers Aufzeichnungen folgende, bezeichnende Sentenz: „Die Gefahr beim monumentalen Kunstwerk ist die Ermüdung.“ (1946) Gesamtspieldauer von Barenboims-Aufnahme dieser zweiten Symphonie: 81 Minuten.

[5] „Der Schritt von Wagner zu Schönberg bedeutet keinen Fortschritt, sondern eine Katastrophe. In dieser Katastrophe sind wir mitten drin.“ Das Jahresdatum dieser Notiz: 1945! Das scheint wirklich eine eigentümliche Koinzidenz. Das Chaos der Zeit. „Wer aber heute gegen eine Welt des Chaos, wie sie z.B. auch die atonale Musik darstellt, sich auf die Ordnung der lebendigen Tradition stützt, muß entweder ein ebenso harmloser, belangloser wie hoffnungsloser 'Idealist‘ sein oder – das Wissen in sich tragen, daß er für die Ewigkeit schreibt.“ (1944) In so einem Spannungsfeld ist es nicht leicht zu leben – vor allem, wenn einem die äußeren Umstände längst entglitten sind. Wenn hinter der Maske idealistischen Deutschtums das nihilistische Chaos des Unterganges droht, wenn immer nur der Dirigent gefeiert, der Komponist des Dirigenten wegen Lob erntet. „Es gibt Menschen, die das abendländische Schicksal miterleiden – sie werden Wagner, Beethoven, Michelangelo verstehen.“ (1948)

[6] Aber in der Reproduktion hatte sein „Rettungswerk“ Bestand, auch 50 Jahre nach seinem Tod. Ich werde jetzt seine Symphonien wieder in die Schublade legen, seine Aufzeichnungen in die Bücherei zurücktragen. Was er wirklich sagt, sagt er durch die Stimme, die er anderen leiht. „Grundlage der Kunst ist, daß das Kunstwerk eine geschlossene Welt, ein Mikrokosmos sein kann. Nur dann kann es erlösen.“ (1940)

Literatur
Wilhelm Furtwängler: Aufzeichnungen 1924-1954. F.A.Brockhaus. Wiesbaden 1980.
Herbert Haffner: Furtwängler. Parthas Verlag. Berlin 2003.
Theodor W. Adorno: Musikalische Schriften VI. suhrkamp taschenbuch wissenschaft. Frankfurt/Main 2003.
Originalzitate von Wilhelm Furtwängler sind kursiv gesetzt.