WIEN 1999

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Don Giovanni in Wien 1999, DVD
Inszenierung: Roberto de Simone

„Vom Fluch und Segen des Kostüms“

Wiener Festwochen 1999: Riccardo Muti dirigiert im Theater an der Wien „Don Giovanni“. Die damalige TV-Übertragung ist schon seit einigen Jahren als DVD erhältlich. Sie ist ein wichtiges Zeitdokument, weil sie bemerkenswerte Persönlichkeiten einer damals noch jungen Sängergeneration bezeugt.

Die Reise des „Don Juan“-Mythos durch die Jahrhunderte, so das Regiekonzept von Roberto de Simone, hätte ein Geniestreich werden können. Aber leider wurde diese Idee nicht gerade „genial“ umgesetzt. Die Zeitreise wird vor allem über das „Kostüm“ vermittelt. Bezeichnenderweise erinnerten sich Sänger, die an dieser Produktion beteiligt waren, in Interviews noch nach Jahren an die raschen, aufwendigen Kostümwechsel und den damit verbundenen Stress. Insofern hat die Inszenierung einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Die DVD hat nun einen unbestrittenen Vorzug: Dank der Bildregie des TV- und Videospezialisten Brian Large entsteht ein über weite Strecken mit vielen Nahaufnahmen von attraktiven Sängerinnen und Sängern garniertes Opernerlebnis. Die Arien und Rezitative sind meist durch sinnvolle Schnitte geschickt aufgelöst. Der Eindruck, den man derart gewinnt, ist ein viel lebendigerer, als wenn man diese Produktion vor Ort im Theater an der Wien und später an der Wiener Staatsoper gesehen hat.

Trotzdem fällt es wegen der teils sehr überladenen Kostüme schwer, gerade im Don Giovanni eine individuelle Persönlichkeit auszumachen. Zu distanziert wirkt er fürs Auge, zu versteckt hinter langen hochbarocken Perückenlocken, nahezu geckenhaft verspielt. Das drückt schwer auf den ersten Teil. Auch Donna Anna wirkt manchmal fast matronenhaft, sogar wenn sich später das blassgetönte Dekolleté verführerisch vom Schwarz des Kleides abhebt. Einzig Donna Elvira darf bei ihrem ersten Auftritt im martialischen Hosenanzug den selbstbewussten Eros einer „Renaissance-Fürstin“ verströmen.

Immerhin hat man versucht, das Verstreichen der Jahrhunderte auch in die Gestik ein zu beziehen. Wie weit einem solche Details aber wirklich gewärtig werden, steht auf einem anderen Blatt.

Szenisch misslungen scheint nur die Höllenfahrt. Die bewegten Pupillen und Lippen des „Steinernen Gastes“ kann man in Nahaufnahme verfolgen – was nicht zu dessen Statuenoutfit passt, und ihn mehr lächerlich macht als furchteinflößend. Hier wäre ein Visier schlüssiger gewesen oder eine andere Lösung, die alles „Menschliche“ fernhält. Der Herzanfall Don Giovannis wirkt viel zu einstudiert – und dann wallt doch noch ein bisschen Bühnennebel durch diese seltsamen Mischung aus Grottenbahn und Krankengeschichte.

Musikalisch gibt es keine Experimente. Dafür steht schon Riccardo Muti gerade, der die philharmonischen Tugenden des Staatsopernorchesters zu wecken weiß: Ein weiches, elastisches Klangbild verströmt eine schlanke, manchmal fast tänzerisch anmutende Wiener Klassik, von südländischem Esprit entfacht.

Carlos Alvarez, der zum Sänger gewandelte Mediziner (vielleicht ist ihm gerade deshalb der Herzanfall so schwer abzukaufen?), war bei dieser „Don Giovanni“-Produktion noch keine Mitte 30. Freilich – wie schon angedeutet – die Kostüme machten es ihm nicht einfach, sich in der Rolle eines europäischen Mythos zu profilieren. Es geht einem bei diesem Don Giovanni zwar nichts ab, aber scheint ihm nicht doch noch etwas zu fehlen?

Aber diese wohltönende Unverbindlichkeit mag unter südlicher Sonne anziehender Wirken als die mörderische Pathologie romantischer Schauergeschichten á la E.T.A. Hoffmann. Selbst wenn Don Giovanni in der Friedhofsszene mit einem Totenschädel Billard spielt, geschieht das nicht mit grimmiger Verbissenheit: Der Tod ist uns zwar gewiss, aber wir lassen uns von seinem beredten Schweigen nicht das Maul verbieten! War doch dieses frevelhafte Betragen Don Juans vor allem für sein schauriges Ende verantwortlich, seinen lasterhaften Lebenswandel hat man in früheren Jahrhunderten viel eher ertragen.

Schließlich weist auch der auf Commedia dell arte getrimmte Leporello in Gestalt von Ildebrando D' Arcangelo in diese Richtung: es ist eben doch Komödie oder zumindest Theater, was hier passiert. Ildebrando D' Arcangelo ist inzwischen bekanntlich selbst zum Don Giovanni gereift.

Michael Schade sorgt in dieser Aufnahme mit einem sehr feinsinnig ausgestalteten „Dalla sua pace“ für musikalischen Genuss. Er arbeitet die Stimmungslage des Don Ottavio plastisch heraus. Er offenbart mit schwebend gesungenen Pianophrasen die Leiden seiner Liebe und findet im wiederholten „morte“ nicht nur den Tod, sondern auch die Keimzelle für einen Zorn, der vielleicht auch Eifersucht genannt werden darf. Sein weibliches Gegenüber, Donna Anna, ist mir in der Gestalt von Adrianna Pieczonka bereits zu fraulich ausgereift. Pieczonka hat zuvor schon die Donna Elvira gesungen – eine Partie, die mir besser zu ihrer Stimme zu passen scheint, die etwas schwerer und runder wirkt.

Auch Angelika Kirchschlagers Zerline weiß vielleicht schon zu viel – ihre Unschuld ist nicht mehr naiv und sie scheint Don Giovanni mehr glauben „zu wollen“ als dass sie ihm glauben „muss“. Das befähigt sie aber dazu, im zweiten Akt als die deutlich reifere in der Beziehung mit Masetto zu erscheinen. Hier gewinnt an Konturen, was an charakterbildendem Potential der Aufklärung – und dem Freimaurer Mozart – vorgeschwebt sein mag.

Anna Caterina Antonacci zeichnet die Donna Elvira als leicht herbe, selbstbewusste und erotische Persönlichkeit: eine der vollblütigsten Donna Elviras, denen man auf DVD begegnen kann (obwohl ihre Stimme in der Höhe sich mehr schließt als öffnet, so als würde der Glanz des Tons von einer Wolke verdeckt). Der Komtur von Franz-Josef Selig entwickelt keine dämonische Gewalt – und hat in dieser seltsamen Kostümierung ohnehin einen schwierigen Stand. Lorenzo Regazzo trägt seinen Teil als Masetto bei.

Fazit: Wer Mozart „klassisch“ mag, auf eine repräsentative Besetzung Wert legt und „szenische Modernismen“ sowie „Originalklangphantasien“ weniger schätzt, wird sich bei dieser DVD gut aufgehoben fühlen.

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006-2010 - © Dominik Troger