BRUNO WALTER 1937

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Don Giovanni, Salzburger Festspiele, 2. August 1937, Dirigent: Bruno Walter

Gleich mit der Ouvertüre legt Bruno Walter Spannung an, das Andante in gemächlich ehrfurchtgebietender Majestät, dessen Schicksalsschläge sich plötzlich und schneidend im Gehör des Zuhörers vergegenwärtigen – und das sich wie ein Ringelspiel von Frau zu Frau vorwärtstreibende Leben „Don Giovannis“, das Molto Allegro (wobei Walter das „Molto“ besonders wichtig ist). Deutlicher kann man die Gegensätzlichkeit dieser beiden Sphären – des göttlichen Fatums und des liderlichen „Wüstlings“ – kaum herausstreichen. Damit ist zugleich sehr viel über diesen Live-Mitschnitt gesagt, der seit einigen Jahren in einer restaurierten und akustisch erträglichen Fassung vorliegt: Er ist von elektrisierender Prägnanz, wenn es darum geht, die Emotionen der Protagonisten darzustellen. In Walters musikalischer Begleitung spiegeln und verstärken sich die Charaktere – Mozarts musikalischer Kommentar geht in der Handlung auf und treibt sie zugleich voran. Und weil die Sänger dieses Konzept mittragen, gelingt eine der impulsivsten Mozartaufnahmen, die auf Tonträger verfügbar ist. Walter zeigt sich hier weder als „Philosoph“ noch als vernuftgemäßer Aufklärer – wie schon in der Ouvertüre vertraut er auf das Spiel der gefühlsbetonten Gegensätze. Der Bogen wird gespannt und die Spannung hält bis zum Schluss, getrieben von der überbordenden Vitalität der Leidenschaften.

Die SängerInnen folgen ihm phasenweise mit hysterischer Expressivität. Die beiden Damen, Donna Anna (Elisabeth Rethberg) und Donna Elvira (Luise Helletsgruber) mahnen mit ihrer exaltierten Erotik durchaus an E.T.A. Hoffmanns „Don Juan“-Erzählung. Eine Nervenzerrüttung ist da nicht mehr weit. Elisabeth Rethberg ist eine von Don Juans höllischem Feuer mehr als angesengte Donna Anna, und ihre Rezitative, etwa das atemlose Herbeieilen nach dem Duell, das Erkennen des toten Vaters, erzeugen eine unter die Haut gehende Unmittelbarkeit, die einen kühle Schauder über den Rücken jagt. Ernst Theodor Amadeus hätte alle Freude daran gehabt.

Beide Ladys rechtfertigen die Begehrlichkeit des Königstigers unter den „Don Giovannis“, Ezio Pinza, in seinem faszinierenden Herrschertum. Pinza ist auf seine Art wirklich „König“, sein Timbre ist reich und gesättigt, autoritär im Forte, aber nie von einer vordergründigen Brutalität. Dieser Don Giovanni herrscht im wahrsten Sinne des Wortes und man versteht, dass Donna Anna und Donna Elvira unerfüllte Leidenschaften quälen. Die Zerlina von Margit Bokor fällt da ein wenig ab, es gibt blumigere Zerlinas, naivere, auch wenn sie sehr „zerlinamäßig“ unterwegs ist. Für diesen Königstiger ist sie wenig mehr bekömmliche Vorspeise. Donna Anna hingegen, das ist ein Festtagsbraten – Donna Elvira zumindest ein leckeres Hauptgericht.

In Sachen Zerlina fällt auf, dass Walter schon den einleitenden Hochzeitschor mit unterschwelliger Aggressivität spielen lässt. Dumpfe Bedrohung macht sich auch in Masettos (Karl Ettl) Zornanfall bemerkbar, aber unreflektiert, mehr als Potential, denn als revolutionärer Ausbruch. Der Leporello von Virginio Lazzari passt zu seinem Herrn. Er ist nicht durchtrieben, nicht bösartig, bringt sich mit klarer Diktion mehr als ironisierender Stichwortgeber ein. Er ist Komödienfigur, aber mit einem gewissen Stil, er ist weder Don Giovannis „Alter ego“ noch fieser Handlanger. Den Komtur steuert in diesem Mitschnitt Herbert Alsen bei. Dino Borgioli als Don Ottavio überzeugt mit schön geführter Mozartstimme. Bruno Walter hatte ursprünglich vor, Benjamino Gigli für diese Aufführungsserie im Sommer 1937 zu engagieren, zum 150 Jahr Jubiläum der Uraufführung des Don Giovanni. Aber Gigli wollte nicht. Orchester: Wiener Philharmoniker.

Die Aufnahme ist auch in der restaurierten Fassung akustisch nicht unproblematisch, die Stimme des Souffleurs des öfteren sehr im Vordergrund. Trotzdem: in jedem Fall eine Referenzaufnahme.

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger