SALZBURG 2006

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Don Giovanni in Salzburg 2006, DVD
Regie: Martin Kusej

„Don Giovanni als herber Softdrink“

Martin Kusejs Salzburger „Don Giovanni“ erblickte 2002 das Licht der Salzburger Festspiele – die DVD dieser Produktion dokumentiert eine Aufführung aus dem Jahr 2006. Es ist eine sterile Inszenierung, deren Modernität etwas von der kühlen Funktionalität eines Shopping Centers an sich hat.

Das Drama giocoso mutiert hier zu einem Endspiel, dessen Ende aber wie erkauft wirkt und das mit der unterwäscheweißen Ausstrahlung der dessousgeschmückten Komparsengirls wetteifert, die wie Schaufensterpuppen des öfteren die Bühne bevölkern. In solch werbeverzierte Auslage, in der alles seinen durchkalkulierten Preis zu haben scheint, stolpert Don Giovanni als – ja als was? Ist er ein leicht derangiert wirkender Lebemann oder eine Inkarnation des Bösen? Wofür stehen in dieser Inszenierung Don Giovanni und sein egozentrisches Kreisen ums weibliche Geschlecht? Auch wenn Thomas Hampson diese fast neurotisch zu nennende Indifferenz als stattliche Bühnenerscheinung zu fassbarem Leben erweckt, mordet er den Komtur aus sadistischer Lust, aus Notwehr, aus Verzweiflung? Sicher ist, dass hier kein klassisches Duell stattfindet, und dass der Komtur dem Don Giovanni gleichsam ins Messer läuft. Aber die Ausführung hat etwas Technisches an sich, das irritiert.

Hat dieser Don Giovanni keine Freude mehr an seinem Leben oder geht sie ihm verloren, kippt sie nach und nach in eine angewiderte, lebensüberdrüssige Verzweiflung? Wenn Leporello am Schluss seinen Herrn ersticht, tut er es der „Moral“ wegen oder weil ihm dieser Herr auf die Nerven geht? Natürlich fürchtet sich Leporello ein wenig, er ist das Morden von eigener Hand nicht gewöhnt. Aber in dieser Tat den aufklärerischen Gestus zu entdecken, der das Werk in der Finalszene zum Appell an ein vernunftgemäßes Leben rundet, fällt mir schwer. Irgendwie macht das Schlusssextett dann keinen Sinn mehr, denn es dient in diesem Kontext nicht der Hoffnung, sondern zur Aufarbeitung von Lebenslügen.

Vor diesem Hintergrund weckt der Gesamteindruck Interesse, aber man bleibt auf Distanz. Während Peter Sellars in seiner sozialkritischen Exegese Zuseher zur Stellungnahme herausfordert, gleitet diese Konzeption an einem ab wie Regentropfen auf einer Plastikplane. Kusej hat dem Don Giovanni ein modernes Design verpasst wie ein Werbegrafiker einem neuen Softdrink. Der Inhalt schmeckt ein wenig chemisch, auf ein Abenteuer lässt sich niemand ein, der von ihm kostet. Don Giovannis Daseinsberechtigung schwindet. Er wird zum Fremden in einer Welt, in der sich ohnehin jeder alles leisten kann. Welche Berechtigung haben seine herrschaftlichen Ansprüche noch, wenn sogar schon Masetto mit einem Golfschläger herumläuft?

Ach, Masetto, dieser bedürftige Masetto ist ein Prügler, der die arme Zerlina bedient. Blutergüsse zeugen von ihrem ehelichen Leid. Sie irrt über die Bühne, fast schon entseelt und einsam. Die Hoffnung, dass Masetto sich mäßigt, scheint Illusion, in Anbetracht der an ihr deutlich sichtbaren Merkmale männlicher Gewalt. Sind das alles lauter unerfüllte Versprechungen? Donna Anna hält sich Don Ottavio als „Lebensversicherung“, aber ihre Sehnsucht schwärmt von Don Giovanni. Sie findet keinen Weg aus ihrer traumatischen Trauer. Don Ottavio möchte gegen sein unerfülltes Liebesschicksal rebellieren, er gerät im zweiten Akt gefährlich außer sich. In ihrer manischen Liebessehnsucht ist ihm Donna Elvira nicht unähnlich...

Der Umkehrschluss, hier ein sublime Kritik heutiger Konsumgesellschaft vorzufinden, ist natürlich möglich. Das Spiel mit Wünschen und Träumen, die man sich leisten kann – oder auch nicht, wo die Liebe, ihrer Romantik enthoben, zum Jeton egoistischer Selbstverwirklichungsphantasien wird: Müssen wir alle den Don Giovanni in uns töten, um wieder davon „frei“ zu sein? Wollen wir das überhaupt?!

Das Musikalische tritt bei solchen Überlegungen deutlich in den Hintergrund. Bestünde nicht die Gefahr, dass über die Musik die Romantik wieder hereinkommt, die man eben erst hinausgeworfen hat? Am Pult sorgt Daniel Harding dafür, dass das nicht passiert. Für die Aufführungsserie im Jahr 2006 gab es einige Umbesetzungen, sie haben den ursprünglichen Charakter der Produktion verändert: ohne Anna Netrebkos lifestylecooler Donna Anna, ohne Nikolaus Harnoncourts Mozart-Exzentrik. Aber hier interessiert vor allem die Regie, denn musikalisch gibt es Aufnahmen, die sich besser runden.

Das Picture Format beträgt 16:9....

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger