MAILAND 1987

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Don Giovanni, Scala, 1987, DVD
Dirigent: Riccardo Muti

Die ersten vier Takte, der Nachhall in den Bässen: vielleicht kann man schon daran die ganze Philosophie einer Aufführung festmachen. Bei Muti getragen, aber ohne dabei schwermütig oder aggressiv zu sein. Der Klang bleibt anschmiegsam, die Übergänge sind weich, die Violinen setzen ein mit elegischem Hauch, die Fortestellen in Takt 18 und 20 werden nicht über Gebühr strapaziert. Man folgt mit Genuss dieser Architektur, erfreut sich daran wie an der klaren Struktur eine klassizistischen Fassade. Dem Molto allegro nimmt diese Grundhaltung vieles von der (möglichen) Schärfe. Die Emotionen werden zwar angedeutet, aber sie bleiben ausbalanciert.

Muti ist kein Dirigent traumatischer Bühnenereignisse – und unter Giorgo Strehlers Regie wird auch nicht nach den Bruchstellen im Mauerwerk geforscht. Don Giovanni darf einen barocken „Palast“ sein eigen nennen (den hat Ezio Friogerio für ihn gebaut) und er kann sich ganz edelmännisch geben. Der Einstieg in diese Scala-Produktion aus dem Jahr 1987 ist trotz allem wenig mitreißend: Donna Anna nestelt an Don Giovannis Umhang. Sie stehen auf einem Balkon. Es dauert viel zu lange, bis sich der Verführer entschließt, über die Brüstung ins Erdgeschoß abzusteigen. Gemächlich tritt ihm der Komtur entgegen, Don Giovanni müsste längst über alle Berge sein. Aber der dumme Kerl bleibt stehen, Leporello wirft ihm den Degen zu. Der Komtur legt sich langsam zum Sterben hin, wie eine Dame, die sich beim Niedersetzen ihr pompöses Kleid nicht zerknittern möchte.

Immerhin, das Reiterstandbild ist ein Reiterstandbild. Trotzdem wirkt die Schlussszene mit Bühnengewitter optisch blass. Doch Strehler gelingen auch spannende Momente. Das üppige Finale des ersten Aktes ist gut arrangiert, Don Giovanni prügelt seinen Diener durch den Festsaal und über ein prunkvolle Stiege. Im Verhältnis zwischen Herrn und Diener stimmt die Chemie – man zieht nicht nur äußerlich an einem Strang. Dadurch hat die Inszenierung eine starke Achse, an der die Aufführung sicher festgemacht ist. Das Verhältnis Donna Anna zu Don Ottavio ist naturgemäß schwächer gewoben, gut verankert sind auch Zerlina und ihr heißsporniger Masetto. Und Donna Elvira? Sie ist in dieser Inszenierung nur ein blasser Komet, den es beziehungslos durch das Stück treibt wie ein „loses Blatt im Winde“. Bei der Registerarie steht sie stocksteif auf der Bühne, Leporello umtänzelt sie als faunische Balleteuse – dann fällt sie um wie ein Holzstück.

Thomas Allen gibt dem Don Giovanni Kontur und Gewicht. Als großer Verführer oder als Zyniker gebärdet er sich nicht. Kann es sein, dass ihn ein Hauch von Fatalismus anstreift? Vielleicht denkt dieser Don Giovanni zu viel? Er hat eine unbestimmte Reife, wie die vermeintliche Seriosität eines graumelierten Haaransatzes. Sein Timbre verlockt ihn nicht zum Schwelgen, ein bisschen nüchtern, aber trotzdem herrschaftlich.

Die Szene, in der Donna Anna in ihm den nächtlichen Eindringling erkennt, bedient sich Don Giovannis Umhang als Erkennungszeichen. Dieses wichtige Handlungsmoment muss deutlich herausgearbeitet sein, das Publikum muss – wie Donna Anna – der elektrische Funken einer schmerzvollen Erinnerung durchglühen, eine Ahnung, die zur feuriger Gewissheit entflammt. Edita Gruberova singt die Donna Anna: Es wirkt hier ein wenig wie Ausstattung, denn zum richtigen Funkeln in den Kristalllustern ihrer Koloraturen gibt es bei Mozart zu wenig Anlass. Die extremen Leidenschaften bleiben unter der Oberfläche verborgen.

Francisco Araiza war zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht mehr der junge, draufgängerische Rossini-Tenor der frühen 80er-Jahre, aber die Eleganz im Ausdruck, südländische Sentimentalität und sängerische Überzeugungskraft sind nach wie vor spürbar. Bei den Arien wird er von Muti feinfühlig begleitet. Das Ergebnis ist sehr stimmungsvoll, ergibt eine plastische Bühnenerscheinung.

Claudio Desderi hat, ich habe es schon angesprochen, ein bisschen etwas Faunisches. Mit ihm ist nicht gut Kirschen essen, glattgebürstet und gelackt ist sein Leporello nicht. Im Spiel mit Don Giovanni stellt sich ein sinnvolles Teamwork ein. Auch Zerlina (Susanne Mentzer) und Masetto (Natale De Carolis) hinterlassen einen erfrischenden Eindruck – der Commendatore (Sergej Koptchak) ist nicht wirklich zum Fürchten.

Diese Aufnahme erfüllt die Ansprüche von Opernliebhabern, die gerne auf „Bewährtes“ setzen. (Und dieses Bewährte ist in diesem Fall auch recht preisgünstig zu haben...)

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger