ALFONS ROSENBERG 1968

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Alfons Rosenberg: Don Giovanni - Mozarts Oper und Don Juans Gestalt

Alfons Rosenbergs „Don Giovanni“-Buch aus dem Jahr 1968 ist ein Klassiker. Der Untertitel „Mozarts Oper und Don Juans Gestalt“ zeigt den weitgespannten Bogen.

Rosenberg zitiert im Geleitwort gleich einmal Schopenhauer: so würde man heutzutage nicht mehr anfangen. Im ersten Kapitel betritt Don Juan die „Weltbühne“. Schon in der ersten Zeile des ersten Kapitels gesellt sich Faust hinzu. Wir haben es hier mit einem gewaltigen Entwurf zu tun, einem geisteswissenschaftlichen Stollentrieb in einen der umfangreichsten Mythenberge des neuzeitlichen, europäischen Denkens.

Das Buch, das ich aus einer Bibliothek entlehnt habe, ist ziemlich zerfleddert. Es hat bereits viele Studenten-Jahrgänge mit Ideen versorgt oder zumindest eifrig Zitate geliefert: von der Theaterwissenschaft über die Germanistik bis zur Musikhochschule. Die unterstrichenen Textpassagen erzählen eine Geschichte für sich, die großen Rufzeichen am Rand, die kleinen schüchternen Fragezeichen, die angesichts der dichtbedruckten Seiten kaum gegen die Autorität des Verfassers aufzubegehren wagen. Wie ließe sich der hohe Nutzen eines Buches besser dokumentieren, als durch dieses über Jahrzehnte gewachsene Glossar?

Rosenberg hat es verstanden, Mozarts „Don Giovanni“ in ein umfangreiches „A bis Z“ einzubetten. Er tut das mit einem Sachverstand, der noch dem neunzehnten Jahrhundert angehört – und diesbezüglich wird sich dieses Werk schwer überbieten lassen: an seine Stelle tritt die Aufsatzsammlung, das interdisziplinäre Forschungsteam, der Konferenzbericht, das Internet.

Rosenberg widmet ein Kapitel „Don Giovanni“, ein Kapitel „Donna Anna“. Nicht nur daran wird deutlich, wie tief E.T.A. Hoffmanns Interpretationsentwurf gewirkt hat. Rosenberg stellt bestimmte Charakteristika nebeneinander, das führt ihn bei der Gestalt des Don Giovanni zurück bis zum Dionysoskult der alten Griechen. Auch er betont das „Dämonische“, spricht einmal vom „dämonisch inspirierten Mozart“. Dabei wird viel zitiert, man könnte sich rasch weiterlinken, quer durch die abendländische Kulturgeschichte. Rosenberg bringt ebenso die Psychoanalyse ins Spiel, sie durchdringt die Hoffmann’sche Geisteswelt und verleiht ihr 150 Jahre später noch einiges an Stabilität.

Wie hält er es mit Donna Anna und jener schicksalshaften Nacht? Er schreibt: „Es ist wenig wahrscheinlich, daß Don Giovanni um Mitternacht Donna Anna entweder verführt oder vergewaltigt hat. Ein Weib zu vergewaltigen widerspräche dem Wesen und den Prinzipien Don Giovannis; denn er ist viel zu überzeugt von der erotischen Anziehungskraft seiner Person, als daß er sich dieses niedrigsten Mittels, sich in den Besitz eines Weibes zu setzen, bedienen würde.“ Das Wort „widerspräche“ ist in diesem Bibliotheksexemplar unterstrichen, am Rand steht eines von den schüchternen Fragezeichen. (Rosenberg hatte offenbar eine höhere Meinung von Don Giovanni als seine LeserInnen heutzutage.) Aber, so der Autor, dieses Geschehen habe trotzdem ausgereicht, um in Donna Anna die „Flamme der Leidenschaft“ zu entfachen: „Das Weib ist in ihr erweckt, und gerade diese Erweckung macht sie zur Todfeindin Don Giovannis, des ihr im tiefen Sinne vom Schicksal bestimmten Mannes.“ Donna Anna wird zur seiner „geheimen Gefährtin, aber auch Gegenspielerin“.

Das Buch enthält Bilder, vier in Farbe. Darunter das Aquarell eines Bühnenbildentwurfes der Friedhofsszene für eine Münchner Aufführung 1791. Der Vollmond steht am Himmel. Links Don Giovanni, in der Mitte Leporello, kniend, wie er die Statue zum Mahle ladet. Der steinerne Komtur auf steinernem Ross. Etwas rechts im Hintergrund eine Leiter an die Friedhofsmauer gelehnt. Pappeln ragen spitz hinter der Friedhofsumfassung empor. Die Leiter erzählt natürlich eine Geschichte: dieser Ort gehört in der Nacht den Toten – Pietätlosigkeit wird bestraft. Man spürt den kühlen Nachtwind im Geäst. Eine schaurig-romantische Szenerie aus alter Zeit.

Fazit: Eine Don Giovanni-Bibliographie ohne Rosenberg ist „unmöglich“ – auch wenn heutige LeserInnen dasselbe von einigen Textpassagen des Buches meinen.

Alfons Rosenberg: Don Giovanni. Mozarts Oper und Don Juans Gestalt. Prestel Verlag. München 1968.

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger