ERWIN RINGEL 1990

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„Don Giovanni: Ein Mensch wie Du und Ich?“

Woran stirbt „Don Giovanni“ wirklich? Welche Frage. Der Teufel... oder doch nicht? Folgt man den Ausführungen von Erwin Ringel und Georg Titscher, dann ist es der Herzinfarkt eines „Managers“ der Liebe.

Der Psychiater Erwin Ringel hat in seinem Opernbuch „Unbewußt – höchste Lust. Oper als Spiegel des Lebens“ das Seelenleben gängiger Opernfiguren analysiert, von der „Aida“ bis zur „Zauberflöte“. Der Beitrag über „Don Giovanni“ wurde zusammen mit dem Kardiologen Georg Titscher verfasst. Auf wenigen Seiten wird ein psychoanalytischer und medizinischer Befund erstellt, Don Giovannis Rastlosigkeit als Symptom modernen Leistungsdenkens entlarvt. Querbezüge zu Musik und Libretto zeigen demnach interessante Übereinstimmungen zum klinischem Erscheinungsbild: „Eine üppige Mahlzeit ist häufig Auslösesituation für den Myokardinfarkt.“ Der Fasan ist dem Titelhelden nicht gut bekommen. Und wenn ihm der Komtur die Hand reicht, beginnt der Angina-pectoris-Anfall. Der Mythos von Don Giovanni löst sich in einer Krankengeschichte auf.

Die Begründung für solche Vorgehensweise bildet ein naturwissenschaftliches Weltbild: „Nun, wir haben heute überhaupt Schwierigkeiten mit dem Glauben an die Höllenfahrt, sie entspricht nicht unserem rationalistischen Verständnis.“ Dieser Standpunkt ist nicht neu – die Höllenfahrt wurde schon im 19.Jahrhundert als unglaubwürdiges und unzeitgemäßes dramaturgisches Vehikel kritisiert. Die Zeitungsartikel zur Eröffnung der Hofoper im Jahre 1869 geben davon einen gewissen Eindruck. Die Besprechung im Fremden-Blatt schließt beispielsweise mit der apodiktischen Aussage: „Don Juan, soll er Don Juan bleiben, muß vom Teufel geholt werden.“

Die Höllenfahrt ist freilich Don Giovannis ureigenstes Vermächtnis. Ein Don Giovanni, der an der Managerkrankheit zugrunde geht, hat kein Geheimnis mehr, das ihm zu „ewigem Leben“ verhilft. Er teilt sein Schicksal plötzlich mit Millionen beziehungsgestörten Karrieremenschen, die sich mit „erkaufter“ Liebe und „Business Success“ ihre Gesundheit ruinieren. Zum Teufel „gejagt“ hat man schon viele CEOs, aber von ihm geholt wurde noch keiner. Ringel/Titscher weisen auf die große Herausforderung hin, die Don Giovannis „Abgang“ für die Regie bedeutet – und wenn sie meinen, dass er oft misslingt, dann haben sie sicher recht (egal ob mit Teufel oder ohne).


Erwin Ringel: Unbewußt – höchste Lust. Oper als Spiegel des Lebens. Kremayr & Scheriau. Wien 1990.


Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger