SØREN KIERKEGAARD 1843

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Don Giovanni- Portal

„Sperrige Liebesbriefe an Mozart“
Søren Kierkegaard: „Entweder-Oder“ 1843

Søren Kierkegaard vergöttlichte Mozart wie ein junges Mädchen, das mit flüchtiger über die Wangen huschender Röte seinen großen Star um ein Autogramm bittet. Kierkegaard empfing aus Mozarts Melodien den Trost einer unsterblichen Seele. Die Töne zergingen ihm auf der Zunge wie ein Hostie. Vornehmlich sind es die Töne aus „Don Juan“: Denn Mozart schuf „Don Juan“ – und sah, dass es gut war.

Aber er hüllte seine bewundernden Liebesbriefe an Mozarts „Don Juan“ in einen dicken, rauhen Briefumschlag, der philosophisch knistert – und LeserInnen eine nicht unbeträchtliche Sperrigkeit entgegenbringt. Musik, Philosophie, Erotik, Psychologie – es geht alles bunt durcheinander bei diesem „Entweder-Oder“. Die Verpackung ist ziemlich abweisend und die parfümierten Liebesbriefe sind nicht auf Seidenpapier, sondern auf Karton geschrieben.

Von Kierkegaard stammt der Satz: „Die Mädchen gefallen mir nicht.“ Müsste jede Frau nicht ehrlich antworten: „Der Don Juan gefällt mir nicht?“ Doch Kierkegaard hat in ihm das Prinzip der Sinnlichkeit entdeckt, die „Erotik“ als „Verführung“. Sie pflanzt sich fort von einem begehrlichen Moment zum nächsten, ohne Innehalten, ruhelos – verführerisches Individuum und Naturkraft in einem. Das schlägt zwei Fliegen mit einer Hand. Don Giovanni sonnt sich in diesem zweifelhaften Ruhm seit Jahrhunderten. Die Männer lieben das Individuum in ihm – und die Frauen die Naturkraft, oder umgekehrt? Sein faustisches Wesen treibt ihn voran, ein sinnlicher Erkenntnisdrang: Er plant seine Verführungen nicht, sondern ist beständig in Verführung begriffen....

Macht das Don Giovanni zu einem Doppelwesen dämonischer Herkunft, menschlich und göttlich, die platonische Idee der „Verführung“ in die Körperlichkeit eines spanischen Kostüms mit engen Kniestrümpfen, Pluderhosen und langem, schwarzem Haar gezwängt? Das Spiel eines solchen Wesens ist gefährlich, in seiner Wandlungsfähigkeit wasserspeit es als Fratze von Kirchdächern ebenso wie es sich als fescher Junker in die Stube jungfräulicher Mädchen schleicht. Aber erst Mozarts Musik verleiht ihm, dem ersten Verführer unter allen, jene wirklich „zeitlose“ Existenz: denn diese Musik, so Kierkegaard, ist der adäquate Ausdruck des „Unmittelbar-Erotischen“, das den Don Juan beherrscht. Wenn Mozarts Musik die sexualrezeptiblen Sektoren der Amygdala massiert, dann ist der Mythos gegenwärtig und die Lust der Verführung hat wieder Einzug gehalten in die Köpfe der Menschen.

Doch zurück ins 21. Jahrhundert.

Aus heutiger Sicht wird Kierkegaard dort am Treffendsten, wo seine Überlegungen zu etwas weitschweifigen „Regieanweisungen“ gerinnen: vor dem Anschauungsunterricht im Theater verdunstet ihm die Philosophie. Er schreibt viel Interessantes über das Verhältnis von Don Juan und Leporello, analysiert mit beobachtender Schärfe den dramatischen Ablauf der Handlung. (Ganz trauen darf ihm nicht dabei, Don Ottavio und Donna Anna nennt er „unbedeutende Personen“...) Aber Don Juan ist der Held der Oper, ihm gilt nicht nur das Hauptinteresse, „vielmehr ist er es, welcher für alle andern Personen erst das Interesse weckt.“

Ansonsten gilt für Kierkegaards „Entweder-Oder“, was auch für viele andere Bücher gilt: Als Leser muss man Talent dafür haben. Und schlussendlich kann einem immer noch die beruhigende Tröstung hilfreich zur Seite springen: „Das Erbauliche des Gedankens, daß wir vor Mozart immer unrecht haben“...

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger