PETER HANDKE 2004

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„Don Juan - Die Auflösung“

An manchen Büchern nagt man wie ein Hund an einem Plastikknochen. Der Speichel fließt, aber die Gier bleibt ungestillt. Peter Handkes „Don Juan (erzählt von ihm selbst)“ ist so ein Buch. Da geht ein Mythos ins Ausgedinge, denke ich, und bekommt dabei noch einen Glorienschein verpasst.

Natürlich erzählt Don Juan nicht selbst – erzählt wird aus dritter Hand. Don Juan hat nichts mehr zu erzählen. Er flieht durch die Welt, zeitlos geworden, trauernd, weiblichen Erwartungshaltungen gehorchend, aber keiner triebhaften Notwendigkeit. Er wirkt vergeistigt, weltfern, trägt messianische Züge. Trotzdem reiht sich Abenteuer an Abenteuer – doch alle Frauen sind auswechselbar, ob im Kaukasus oder in Skandinavien. Ihre Namen haben sie längst verloren. Der Liebesreigen dreht sich gebetsmühlenartig, viel zu berichten gibt es darüber nicht.

Der schmale Band beschleunigt unter diesen Voraussetzungen einen Prozess zunehmender Verdünnung. Don Juan löst sich auf wie ein Zuckerstück in einem Wasserglas. Der Ich-Erzähler, in dessen Einsamkeit noch einmal der Mythos höchstpersönlich schneit, schlürft dieses Glas mit Ehrfurcht leer. Er gibt einen Bericht von diesem Geschehen – und Don Juan verschwindet hinter diesem Bericht wie hinter einem Theatervorhang, den man am Ende der Vorstellung ganz einfach zuzieht.

Don Juan hat sich abgearbeitet, liebe Europäer. Ihr könnt Euch noch um Kulturgüter scharen, wie jener Ich-Erzähler um die Reste von Port-Royal-des-Champs, aber das hat alles keine Bedeutung mehr. Wenn der Erzähler am Schluss meint, Don Juans Geschichte könne kein Ende haben, dann täuscht er sich selbst über dieses Ende hinweg. Was ist von Port-Royal-des-Champs geblieben? Was bleibt von Don Juan? Diese Aufgabenstellung ist abgearbeitet – Generationen haben davon ihr moralisches Herdfeuer genährt. Und was Port-Royal betrifft: Julien Green konnte sich daraus noch eine Hülle basteln, als Schutzschirm gegen die bedrohlich gewordene Moderne – aber er wurzelte im 19. Jahrhundert.

Handke beschwört eine geheime, in Zeitnischen verborgene Vereinigung der Elemente, abseits unserer gegenwärtigen Existenz. Es ist eine esoterisch überhauchte Exegese von 500 Jahren männlich-triebhafter Selbstverwirklichung, die einem vegetarisch aufbereiteten Exkurs über das Jahrtausende lang geübte, blutige Geschäft der Haustierhaltung gleicht. Folgt man diesem Buch, dann hat Don Juan seine ihn konstituierenden Merkmale verloren – und er zerfließt in einer nebulösen Wolke abendländischen Denkens, aus der hin und wieder noch ein paar Regentropfen auf ausgedörrte Literatenstirnen fallen. Das tröstet dann für ein paar Stunden über den Verlust einstiger Größe hinweg.

Peter Handke: Don Juan (erzählt von ihm selbst). Suhrkamp Verlag. Frankfurt/Main 2004.


Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger