GLYNDEBOURNE 1995

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Don Giovanni, Glyndebourne Festival, 1995, DVD
Dirigent: Yakov Kreizberg

Nach dem Rülpser mit dem Don Giovanni sein Gelage im Finale garniert, sollte man diese Inszenierung vielleicht nicht beurteilen. Aber bei dieser DVD, Dokument einer 10 Jahre alten Produktion des Glyndebourne Festivals, machte mir einmal mehr die Diskrepanz zwischen optischer Nähe und akustischer Ferne zu schaffen, dieses Missverhältnis, das nahezu allen Versuchen eigen ist, Oper in die Wohnzimmer und auf die Bildschirme zu bringen. Es fehlt schlichtweg der Theaterraum, in dem der Ton zu wachsen versteht, in dem sich die einzelnen Sängererscheinungen zu einem Gesamtbild addieren, das dem ausschnitthaft gezeigten Gesichtsausdruck weit überlegen ist.

Don Giovannis Rülpser wird in den eigenen vier Wänden zu einem lästigen Ärgernis, zu dem Moment, wo der Bogen endgültig überspannt, zerbricht. Schwerfällig wirkt der Versuch, dieses Abendmahl zu einem frevlerischen Crescendo aufzubauschen, an dessen Höhepunkt der „Steinerne Gast“ erscheint. Die Madonnenstatue hat Don Giovanni wahrscheinlich nur deshalb vom Friedhof mitgeschleppt, um sie im Suff zu schänden. Er selbst wirkt von der ersten Szene an verstört. „Don Giovanni“ folgt dem Krankheitsbild eines Hollywood-Mörders der Frauen nach dem ersten Stelldichein erwürgt. Es überrascht, dass Donna Elvira noch am Leben ist. Gilles Cachemaille spielt und singt das zum Glück nicht so vordergründig wie man meinen könnte. Er ist verhalten, lauernd, man spürt die Unruhe unter der Oberfläche wie ein krankhaftes, vernarbtes Gesicht unter maskenhaft aufgetragener Schminke. Wer möchte diesem Don Giovanni in der Nacht alleine begegnen? Niemand! Der Komtur wird brutal abgestochen – Don Giovanni ist in dieser Praxis geübt. Von einem „Duell“ kann keine Rede sein. Schon an diesem Detail erkennt man wie Deborah Warner (Inszenierung) zu diesem spanischen Frauenhelden steht. Leporello (Steven Page) ist ein perfider, durchtriebener Charakter, der für seinen Chef nebst Hilfestellung auch Knabberzeug bereit hält. Die Frage nach Donna Annas „Unschuld“ klärt das Büchlein auf, dass der DVD beigegeben ist: Sie hat an Don Giovanni ihre Jungfräulichkeit verloren, weil sie ihn mit ihrem Verlobten verwechselt hat. Womit auch dieser Punkt geklärt wäre.

Berührend hat die Traurigkeit der Zerlina auf mich gewirkt: Juliane Banse, mit großen Rehaugen, die sich ein wenig von ihrem halbstarken Masetto wegträumt in die große, weite Welt. Beide sind keine Bauern – überhaupt nagt die Einebnung der Standesunterschiede stark an der Plausibilität. Wer würde sich das heute gefallen lassen, wenn so ein Dahergelaufener sich in fremde Familienangelegenheiten mischte? Don Giovanni wirkt wie ein Serienkiller, etwas zerfahren, ein zerknittertes Hemd, völlig ohne Adel und Repräsentanz. Was könnte Zerlina hier verlocken? Die Zurückhaltung Masettos ist eine, die dem zu Mozarts-Zeiten vorherrschenden Machtgefüge entspricht. Dieser heruntergekomme Don Giovanni hat von der ersten Szene an seinen Kredit verspielt. Was unterscheidet ihn von Masetto und der ganzen Hochzeitsgesellschaft? Ist es der Borderline-Charme eines Psychopathen?

Musikalisch bietet diese DVD kaum Herausragendes – aber die Wirkung der SängerInnen und des Orchesters unter Yakov Kreizberg im Opernhaus des Glyndebourne Festivals könnte eine sehr gute gewesen sein. Die Charaktere waren bestens für diese Produktion ausgesucht. Juliane Banses seelenvolle Zerlina oder die Donna Elvira von Adrianne Pieczonka haben auch ohne den Rahmen dieser Produktion bestand, bei anderen Mitwirkenden kann ich mir das weniger gut vorstellen. Interessant ist diese DVD, weil sich an ihr die Problematik zeitgenössischer Inszenierungen recht gut studieren lässt. Ansonsten ist diese Aufnahme eine Ergänzung für Sammler, ein „Dritt“- oder „Viert“-Giovanni, den man sich des Kontrastes wegen zulegt.

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger