CARLO MARIA GIULINI 1959

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Zum Don Giovanni- Portal

Don Giovanni, Studioaufnahme 1959, Dirigent: Carlo Maria Giulini

Carlo Maria Giulinis Studioaufnahme des „Don Giovanni“ aus dem Jahre 1959 gilt als eine der renommiertesten Einspielungen des Werkes. Man findet auch im Web jede Menge an Besprechungen dazu. Die meisten sind sehr positiv, manche sehen manches kritischer. Eigentlich würde es genügen auf die Customer Reviews von amazon.com zu verlinken, aber das wäre doch nur das halbe Vergnügen ...

Der österreichische Beitrag zu dieser Produktion heißt Eberhard Wächter: ein Don Giovanni mit sportlichem Bariton, abgebrüht, kein südländischer Verführer, eher ein Mitteleuropäer auf Spanienurlaub, der mit schnittigem Automobil die einschlägigen Urlauberdomizile abklappert, um dann zu Hause im Freundeskreis mit seinen Urlaubsbekanntschaften aufzutrumpfen. Vielleicht vermittelt Wächters Don Giovanni deshalb eine gewisse Getriebenheit. Er scheint nicht kreatürlich aus einer angeborenen Verführungsgabe zu schöpfen. Das hat ein bisschen etwas von einem Selbstbestätigungstrip.

Doch heißt Wächters „Herausforderung“ nicht vielmehr Cesare Siepi? Es fällt schwer, Siepi nicht „im Ohr zu haben“. Wächters Organ ist schlanker, heller. Vielleicht kann man diesen „Don Giovanni“ auch als „moderner“ bezeichnen. Er weckt keine romantisch-belcantesten Wünsche, sondern wirkt schon leicht egozentrisch. Wächters „Don Giovanni“ ist ein unangenehmerer Zeitgenosse, der keinen Widerspruch verträgt, wie er bekanntlich Leporello in der ersten Szene des zweiten Aktes wissen lässt.

Der Nachteil von Audio-Dokumenten ist natürlich, dass man sich von den Protagonisten „kein Bild“ machen kann. Erinnerungen älterer Opernsemester haben Wächter als „Don Giovanni“ mit einnehmender „Gesamterscheinung“ auf der Bühne erlebt. Aber ob er auf der Bühne auch so gelacht hat? Auf sein „forciertes Lachen“ als Don Giovanni verweist interessanter Weise schon eine zeitgenössische Kritik.*

Gerühmt wird die Elvira von Elisabeth Schwarzkopf, die auf dieser Aufnahme alle Register einer Frau mit verletztem Stolz zieht. Das vibriert voller Energie und hat zugleich jene Reife, die Donna Elvira als selbstbewusste, leidenschaftliche Frau charakterisiert. Ausdruck und stimmliche Ressourcen halten sich dabei ideal die Waage. Plastisch schmiegt sich die Sängerin ins Ohr des Zuhörers, so präsent, dass man sie förmlich zu sehen vermeint: ein phänomenaler Effekt für eine Studioaufnahme.

Giuseppe Taddei pflegt als Leporello die selbstironische Kunst der Opera buffa, würzt schon die erste Szene mit stimmlich manieristisch ausgestalteten Gauklerstücken, die ihn als nicht ganz ernst zu nehmenden Zeitgenossen ausweisen. In gewisser Weise ergänzt er, was Wächters Don Giovanni an südländischer Gelassenheit fehlt.

Luigi Alvas Don Ottavio überzeugt mit Noblesse. Sein „Il mio tesoro“ ist ein Beispiel der hohen Schule des Mozartgesanges, mit langem Atem und klassizistischem Schönheitsideal.

Graziella Sciuttis Zerlina ist mir um eine Spur zu fragil und zu wenig duftig. Die Koloraturen im „Batti, batti“ singt sie sehr hübsch, leicht wie ein Schmetterling. Bei Piero Capucillis Masetto denkt man schon an seinen Gérard. Das „Ho capito“ hat Biss und viel unterschwellige Gefährlichkeit.

Und von Joan Sutherlands Donna Anna war überhaupt noch nicht die Rede? Kann es sein, dass sie mir zu distanziert wirkt, bei aller Leichtigkeit, mit der sie die Schwierigkeiten der Partie durchmisst? Ihre noble Grundhaltung ist der Luigi Alvas nicht unähnlich – und beiden bilden ein überzeugendes Paar mit mehr klassizistischem Gestus. Das erotische Feuer, das in Annas Busen brennen könnte, ist hier nur ein Glimmen – oder es erreicht nur stark gefiltert den Zuhörer.

Der mächtige Bass von Gottlob Frick ist ein monumentaler Komtur, ein Felsen von einem Denkmal, nach deutschem Stil geschnitten, etwas forsch, aber so furchteinflößend wie die Strafandrohung eines alttestamentarischen Gottes.

Carlo Maria Giulini war bei dieser Produktion aus dem Jahre 1959 als Dirigent kurzfristig für Otto Klemperer eingesprungen. Sie bleibt in keiner seiner Biographien unerwähnt. Giulinis Interpretation kommt ohne Übertreibungen aus. Das Philharmonia Orchestra klingt schlank, aber mit romantischer Politur, italienischer Esprit verbindet sich mit einem deutschen Gespür für seelische Abgründe – lauert hinter dem lustvollen-frivolen Treiben doch der Schatten einer existentiellen, schicksalshaften Verstrickung. Die ersten, langgehaltenen Takte der Ouvertüre zeugen von diesem schwergewichtigen, bedrohlichen Ernst. Aber im Molto Allegro drehen die Violinen und Holzbläser dem Schicksal schon eine lange Nase, weichgerundet, aber keck.

Giulini macht insgesamt viele Nuancen hörbar, folgt Mozart willig in die detailreich ausgeschmückten Emotionen. Ein gutes Beispiel ist das „Ah, chi mi dice mai“, wo sich Elviras Zorn und Don Giovannis sehnsuchtsvoll lüsterne Einsprengsel zu einem energiegeladenen Pas de deux vereinen. Ein wenig blasser im Ausdruck bleiben die langen Arien im zweiten Teil, wo die Handlung ins Stocken gerät und in denen mehr das stimmliche Repräsentationsbedürfnis eines Luigi Alva und einer Joan Sutherland im Vordergrund zu stehen scheinen. Aber würde man das missen wollen

*Siehe „Der Merker“ Don Giovanni-Premiere unter Herbert von Karajan an der Wiener Staatsoper am 22. Juni 1963

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006-2010 - © Dominik Troger