WILHELM FURTWÄNGLER 1950

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Don Giovanni- Portal

Don Giovanni, Salzburger Festspiele, 27. Juli 1950,
Dirigent: Wilhelm Furtwängler

Von Wilhelm Furtwänglers Salzburger Festspiel-„Don Giovannis“ gilt jener aus dem Jahre 1954 als „ultimativ“. Mit Cesare Siepi stand ein würdiger Don Giovanni zur Verfügung, von dem Zeitzeugen heute noch schwärmen – und nach Furtwänglers Tod im Herbst 1954 kam man rasch überein, in dieser Produktion sein künstlerisches Vermächtnis zu sehen. Wenn ich jedoch die Aufnahme von 1954 mit jener weniger bekannten aus dem Jahre 1950 vergleiche, dann komme ich zu einem für mich eindeutigen Schluss: die aus dem Sommer 1950 ist spannender.

Ich denke dabei nicht nur an die sehr unterschiedlichen Donna Annas: die emotional viel risikofreudigere Donna Anna der Ljuba Welitsch (1950) versus der mädchenhaft-bürgerlichen Donna Anna von Elisabeth Grümmer (1954). Es ist der Gesamteindruck, der die Gefühlsskala stärker ausreizt, durch den etwas „brutalen“ Don Giovanni von Tito Gobbi verschärft. 1954 ist das Bedrohliche gewichen, spielt man weniger mit dem Feuer der Leidenschaften, hat in der Interpretation ein Gefahrlosigkeit und Vergessen suchender Neokonservativismus der Wirtschaftswunderjahre bereits die Oberhand gewonnen.

Doch wo liegt jetzt überhaupt das Geheimnis des Furtwängler’schen „Don Giovannis“? Kommt nicht schon in den ersten Takten der Ouvertüre das Schicksal zu schwergewichtig daher, der Komtur auf riesigen steinernen Füßen, fast ein wenig unbeholfen? Und dann das Molto Allegro: Don Giovanni dreht dem Schicksal keine Nase, es hat sich vielmehr unerbittlich an seine Fersen geheftet. Gerne würde er ein wenig lostanzen, seinen Verführungsreigen beginnen, aber all diese irdischen und himmlischen Verstrickungen halten ihn auf dem Boden zurück. Musik wird zur Weltanschauung, die sich an „Don Giovannis“ Höllenfahrt beweist. (Furtwängler benötigte für die Ouvertüre rund 6 Minuten und 40 Sekunden, 1954 wird er sie noch eine Spur langsamer dirigieren.)

Dem Komtur von Joseph Greindl (1950) kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Er hat schon sein Sterben mit einem markanten Todesschrei begleitet, sich dann stockend und atemringend in den Tod gesungen – jetzt kehrt er zurück, ein wuchtiger Mahner, ein Rächer, ausgestattet mit allen Privilegien einer göttlichen Instanz. Das Schicksal erfüllt sich, es erfüllt sich auf eine exemplarische Art, die über eine rein moralische „Aktion“ weit hinausgeht. Denn sie lässt „Don Giovanni“ vom ersten Takt an keine Chance. So lauert zwischen altspanischen Beziehungskisten und Vergewaltigungsphantasien eine Urangst, die Don Giovanni treibt, die uns alle treibt. Glücklich, wem das Erscheinen des Komturs zumindest den Trost einer überirdischen Gerechtigkeit verheißt.

Doch Mozart hat an den Schluss kein „Amen“ gesetzt. Die Hoffnung auf ein besseres Leben wird irdisch abgehandelt. Deshalb mag Furtwänglers gewichtige, denkerische Art heutzutage auf viele Zuhörer beschwerend, ja sogar „lähmend“ wirken. Aber in diesem Fall rechtfertigt der hohe Anspruch das Ergebnis: Furtwänglers „Don Giovanni“ ist ein wuchtiger, mit Beethoven- und Wagner-Accessoires ausgestatteter Fels, der in Anbetracht heutiger Mozartinterpretation wie Ablagerungen der Tethys von den weitgespannten Weltentwürfen vergangener Zeitalter zeugt.

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger