ALBERT CAMUS 1942

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„Der Don-Juanismus“

Mozarts Musik und da Pontes Libretto spielen doch in der gezähmten Landschaft barocker Gärten, haben die Leichtigkeit und den Charme von Rokoko-Schnörkseln, deren Verlauf man mit amüsierter Anteilnahme, aber ohne tiefere Irritation verfolgt? Es ist spannend zu sehen, wie das alles schon bei E.T.A. Hoffmann in tiefere Fahrwässer gerät wie es später zu einer absurden Grenzgängerei ausartet, hingestellt in ein menschliches Aufbegehren zwischen „Sein“ und „Nicht-Sein“. Ich spreche von Camus und versuche den Spuren seines „Don-Juanismus“ zu folgen, beständig in Gefahr die Fährte zu verlieren.

Vielleicht hat ihn Kirkegaard darauf gebracht, aber Camus geht es jedenfalls nicht darum, Mozarts Musik als die beste zu beweisen. Eigentlich ist in Camus schmalem Bändchen „Der Mythos von Sisyphos“ von Mozart und da Ponte überhaupt nicht die Rede. Trotzdem könnte es wichtig sein, die Parallelität zu sehen, die sich hier auftut: die beständige Wiederholung eines Handlungsschemas, das sich im Grunde nie erfüllt. Sisyphos scheint nur im Sinn zu haben, möglichst lange seinem Schicksal zu trotzen, um unermüdlich den Stein bergauf zu stoßen, bis er wieder bergab rollt; Don Juan scheint nur im Sinn zu haben, die nächste Frau zu erobern, sobald die erste Lust ausgekostet worden ist. Doch Camus Gedanken frappieren, weil sie Don Juan jeder Verantwortung entheben. Denn das Leben selbst hat ihn schon verurteilt. Was bleibt, ist die leidenschaftliche Auflehnung gegen dieses unumstößliche Schicksal. Das ist die einzige „Freiheit“, die er sich nehmen kann.

„Die Hölle ist für ihn etwas, das man herausfordert“, schreibt Camus. „Für den göttlichen Zorn kennt er nur eine Antwort: die männliche Ehre.“ Sein „Don Juan“ weiß, worauf er sich einlässt. Mit seinen Taten entzaubert er das gottgegebene Räderwerk, das die Sünder bestraft und den Tugendhaften belohnt. „Don Juan“ macht sich Feinde – und es scheint, als wären ihm die Frauen weniger Gram über seine (Un-)Taten, als jene Männer, die bei seiner unermüdlichen „Selbstverwirklichung“ um ihre von göttlicher Ordnung abgeleitete Autorität fürchten. Camus: „Wenn er eine Frau verläßt, so tut er das absolut nicht, weil er sie nicht mehr begehrt. Eine schöne Frau ist immer begehrenswert. Aber er begehrt eine andere, und das ist – wahrlich! – nicht dasselbe.“

Ich denke, auf den ersten Blick hat diese Haltung mehr mit da Ponte und Mozart zu tun, als es scheint. Auch Camus gesteht „Don Juan“ das Recht zu, so sein zu dürfen, wie er ist: „ein gewöhnlicher Verführer“. Es bedarf zur Erklärung seines Handelns nicht der Diagnose einer abnormalen Monstrosität. Warum geht von „Don Juan“ oder „Don Giovanni“ nach wie vor eine so große Beunruhigung aus, dass ihr Verursacher mit allen Mitteln bestraft werden muss? Schon diese Frage könnte heutzutage als Provokation empfunden werden. Folgt man Camus, dann liegt die Provokation in der Natur des Lebens selbst. Wer nur die lange Kette der Verführungen sieht, wird getäuscht und verängstigt. Don Juan büßt in der Hölle für die Unsicherheit, mit der die Zuschauer ihrem eigenen Leben gegenüberstehen. Der Schein der Konvention wird aufrechterhalten, ein mageres Korsett aus Verbindlichkeiten verwehrt die Annahme jenes absurden Glücks das Sisyphos und „Don Juan“ vereint.

Albert Camus: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde. Deutsch von Hans Georg Brenner und Wolfdietrich Rasch. Rowohlt Taschenbuch. 382.-393. Tausend. Hamburg1997.
(Originalzitate kursiv gesetzt.)

Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger