OST-BERLIN 1966 |
Home |
Don
Giovanni in Ost-Berlin 1966, DVD „Die Hölle ist ein schwarzes Loch“ Am 4. Dezember 1966 wurde die Komische Oper Berlin nach zwei Jahren Umbaupause mit „Don Juan“ wieder eröffnet. Inter- und Eurovision übertrugen das Ereignis im Fernsehen – und gesendet wurde eine Aufzeichnung. Dem Zufall hat man damals nichts überlassen. Das Booklet zur „Don Giovanni“-DVD in der „Walter Felsenstein Edition“ berichtet, dass die Aufnahmen während der dritten Hauptprobe gemacht wurden – und bei der Generalprobe wurden die Publikumsgeräusche aufgenommen, die man während der Übertragung eingespielt hat. Wer heute diese DVD betrachtet, kommt in den Genuss des europäischen Schwarzweiß-Fernsehens der 1960er-Jahre: für jüngere Jahrgänge vielleicht eine „abenteuerliche“ Erfahrung?! „Abenteuerlich“ ist an dieser DVD allerdings, dass man sich diese Aufnahme wirklich ansieht und nicht nach wenigen Minuten aus dem Laufwerk fischt. Die Bildqualität ist schlecht, Kulissen und Kostüme sind unspektakulär historisierend, gesungen wird in deutscher Sprache. Trotzdem vermag diese Aufnahme zu fesseln. Sie ist so solide gemacht, dass man ihr nicht mehr auskommt. Walter Felsensteins Regie ist das Zentrum dieser Produktion, mit einer Genauigkeit in der Personenführung, die den Ansprüchen des Fernsehzeitalters mit seinen Nahaufnahmen genügt und ganz dem Dogma „äußerster Verständlichkeit“ verschrieben ist – auch für ein Publikum, das mit dem aufgeführten Werk wenig vertraut ist. Gewiss, manchmal meint man, Felsenstein habe diese „Verständlichkeit“ übertrieben, wenn etwa Donna Anna (Clara Barlow) in verzweifeltem Stummfilm-Expressionismus und mit „Elektra-Hysterie“ über der Leiche des Komturs (Herbert Rössler) verharrt. Aber in Summe sind die Charaktere exzellent auf die Handlung „zurechtgemeißelt“. Die Titelfigur sang der ungarische Bariton György Melis, damals Mitte 40. (Ursprünglich hatte man George London angefragt!) Melis war in den 1960er-Jahren ein arrivierter Sänger – 1963 und 1964 hat er den „Don Giovanni“ sogar an der Wiener Staatsoper gesungen, in die er 1989 (!) noch zweimal als „Blaubart“ zurückgekehrt ist. Sein ungarisches Deutsch ist für österreichische Ohren verständlich. Er ist kein ausgesprochen „fescher“ Don Giovanni, der die Bühne mit Sexappeal und Charisma schwängert, seine Rollenporträt hat aber „Süffisanz“, einen Hauch von Selbstironie und zeigt Heroismus bei der „Höllenfahrt“. Felsenstein versagte dem Werk eine „mythische Überhöhung“ – und die „Höllenfahrt“ findet auf einer weitgehend dunklen Bühne statt, die kurz von einem pyrotechnischen Effekt illuminiert wird. Etwas passiert, aber was? An diesem Punkt fällt die Inszenierung sichtbar „in ein schwarzes Loch“ der Behelfsmäßigkeit. Das Erscheinen der Statue wird durch den Schrecken gezeigt, der sich mehr oder weniger deutlich auf den Gesichtern von Leporello und Don Giovanni spiegelt. Es dauert lange, bis man die „Statue“ selbst zu sehen bekommt – aber nur ihren Rücken und nur ganz kurz. Ein Film-Effekt. Musikalisch bietet die Aufnahme keine (selbstgefälligen) Gustostückerl, sondern erzählt im Kollektiv stringent eine spannende Geschichte. Die hohe Textverständlichkeit ist ein großes Plus – und gesungen wird durchwegs auf gutem Niveau, aber eben in „deutschem Stil“. Rudolf Asmus bietet als Leporello keine „Buffo-Figur“, sondern eine kleinbürgerliche Charakterstudie in der sich berechnende „Bauernschläue“ mit viel Opportunismus mischt. Der „treuherzig“-blickende Don Ottavio von John Moulson ist vielleicht nicht jederfrau/manns Sache, die Donna Elvira der Anny Schlemm vielleicht eine Spur zu „hausbacken“, die Zerlina von Eva-Maria Baum sehr „resch“ und „deutsch-stämmig“ und Fritz Hübner krempelt als Masetto die Ärmel hoch, weil das Volk muss ja anpacken können. Zdenék Kosler dirigiert mit festem Zugriff und lässt die Spannung nie abreißen. „Ich
halte das Werk für unspielbar. Unsere Aufführung wird das beweisen“,
soll Walter Felsenstein bei eine Pressekonferenz vor der Eröffnungspremiere
gesagt haben – das liest man zumindest in einer historischen Ausgabe
der ZEIT (50/1966). Eine Einschätzung, die nach Ansehen der DVD nur
dann geteilt werden kann, wenn Felsenstein die Höllenfahrt gemeint
haben sollte. An der hat er sich allerdings die Zähne ausgebissen. Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006-2012 - © Dominik Troger |