THEODOR W. ADORNO 1952/53

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„Zerlina und der Musikphilosoph“

Theodor W. Adorno ist Anfang der 50er-Jahre über Zerlina gestolpert. Sie muss ihm wie ein Abglanz besserer Zeiten erschienen sein. Er widmete ihr eine huldigende Miniatur, ein Wortstück, das einem musikalischen Augenblick nachempfunden zu stimmungsvoller „Philosophie“ gerät.

Zerlina wird für Adorno zum verklärten Engel eines geschichtslosen Augenblicks zwischen Rokoko und Revolution, der herabschwebt und das Rad der Zeit anhält. Süße Mystik umschwebt sie und „wer in sie sich verliebt, meint das Unaussprechliche, das aus dem Niemandsland zwischen den kämpfenden Epochen mit ihrer silbernen Stimme tönt.“ Weiß ist das Schäfchen, wie ein zartes Glöckchen klingt der helle Sopran – und man höre dazu beispielsweise Irmgard Seefried, die Zerlina in der Furtwängler-Aufnahme, Salzburg 1950...

Da ist es kein Wunder, wenn sich Adorno in Zerlina verliebt. Sie lächelt ihm zu. Ihr Land ist ein fernes, wo Freiheit und Humanität Hand in Hand gehen, ganz ohne „feudalen Zwang“ und „bürgerliche Barbarei“: „Sie nimmt den utopischen Zustand vorweg, in dem der Unterschied von Stadt und Land aufgehoben ist.“

Es fällt auf, dass über diesen Umweg Adorno sogar mit Don Giovanni zu kokettieren beginnt. Der „Sendbote der Lust“, der eben nicht mehr genug Macht besitzt, um von diesem Mädchen seine herrschaftlichen Rechte zu fordern, erhält einen Anschein von Freiheit: einen Anschein, der „rein von der Lüge ist“. Während die Freiheit, so wie das Bürgertum sie verstanden hat, schnell zur Heuchelei führt, und das Feudalsystem auf göttlich-gedachten Abhängigkeiten beruht, stehen hier zwei Menschen einander gegenüber – am Schnittpunkt der Geschichte in der vollen Verantwortlichkeit ihrer selbst.

Vielleicht gehen Adornos Gedanken in diese Richtung. Sie haben etwas Trostvolles an sich und belassen Zerlina und Don Giovanni ihre Würde, verneinen das Spiel intriganter Triebkräfte, die tückisch auf Befriedigung sinnen. Doch Adornos Haltung ist in einem hohen Grade ideell. Wenn sich der Vorhang hebt, steht die Verführungskraft Don Giovannis jedesmal erneut auf dem Prüfstand, und Zerlina, die über einigen praktischen Verstand verfügt (wie Susanna oder Despina), lässt sich doch immer wieder erneut herumkriegen. Wären da nicht die drei Masken auf dem Fest, wer weiß...

Adorno schreibt: „Zerlina hatte recht, daß sie ihn [Don Giovanni] mochte.“ Und womöglich macht genau das den unergründlichen, stets sich erneuernden Reiz des „Là ci darem la mano“ aus?!

Theodor W. Adorno hat seine „Huldigung an Zerlina“ 1952/53 geschrieben. Nachlesen kann man sie in den Gesammelten Schriften, Suhrkamp Verlag, Band XVII. Sie ist nur zwei knappe Buchseiten lang.


Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger