DON GIOVANNI - Wien 21.12.1905

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Don Giovanni 21. Dezember 1905 – Neuinszenierung Wiener Hofoper
(Dirigent Gustav Mahler, Bühnenbilder Alfred Roller)

„r.h. Im Hofoperntheater führten die Mozart-Feste, die mit einer entzückenden Aufführung von „Cosi fan tutte“ begonnen haben, gestern zu „Don Juan“. Weil der steinerne Gast dem Frevler zuruft: „Don Giovanni, a cenar teco“, empfängt die Oper, die länger als ein Jahrhundert – von den Deutschen – Don Juan genannt wurde, nun den Titel „Don Giovanni“. Ein Glück, daß italienische Puristen nicht einen „Signor Giovanni“ verlangen. Das ist also die Wandlung des Namens. Wichtiger und dankenswert ist die Rückkehr zur Szenenfolge des Originals, welche die Kalbecksche Bearbeitung ohne Not verändert hatte. Da Ponte war der Verbesserungen nicht so bedürftig, wie die Übersetzer glauben. Auch war Mozart, stets der Mitarbeiter der Textdichter, mit den Forderungen der Bühne aufs innigste vertraut. Wir kommen heute, nach den Erfahrungen eines Jahrhunderts, darauf, daß Mozart stets das Rechte wollte und wußte. Ihn unverarbeitet und rein zu zeigen, ist der größte Fortschritt ... [Punkte im Original]

Auch die Musik brachte gestern Neues – im Zeitmaß. Gleich die Ouvertüre in rasendem Tempo. Man eilte über die Zeichnung, über die musikalischen Motive hinweg – es war alles nur Dynamik und Farbe, als ob wir ein modernes Werk vor uns hätten, dem die Einfälle fehlen. Im ganzen hat Direktor Mahler, ein wahrhaft genialer, der beste Mozart-Dirigent, unter allen, die wir kennen, sich diesmal leider verleiten lassen, dem Don Giovanni den Charakter des Musikdramas zu geben. Das Ausströmen des Gesanges wurde vermieden, die Arien, die Ensemblesätze wurden musikalisch abgekappt und durch übertriebene Mimik dramatisch gehoben, im Prinzipe wurde alles unterdrückt – was nicht im dramatischen Zuge lag – auch der Humor – so daß die Rezitative ihre Arien nur vor sich herzutreiben schienen, als ob man sich dieser schämte. Die Besetzung begünstige diese Arienflucht. Im Hinblicke auf den festlichen Charakter des Abends und auf das emsige, durch Wochen eifrigst betriebene Studium soll nun dankbar anerkannt werden, daß die Damen von Mildenburg und Gutheil-Schoder, beide mit teilweise starkem Erfolge, dann Frl. Forst, die Herren Weidemann, Mayr, Sembach, Heydter, Reich sich die größte Mühe gaben. So war die Mozart-Feier gestern eine Gelegenheit, junge Kräfte zu feiern. Das Cembalo, auf dem Direktor Mahler als kundiger Farbengeber die Secco-Rezitative und das Ständchen begleitete, machte die beste Wirkung.

Auch Kalbecks Übersetzung wurde verändert, bald zum Vorteile, bald zum Nachteile des Urtextes. Kalbecks „Don Juan“-Übertragung ist der erste größere Versuch dieses gewiß vortrefflichen und eminent musikalischen Übersetzers gewesen – ein Experiment, unsanglich und vielfach geschmackswidrig, das durch die langjährige Praxis der Wiener Aufführungen allmählich verdrängt wurde. Nun blüht der Kalbecksche Text wieder auf (ein „Register von Flammen“ ist auch dabei), aber man kommt zur abschließenden Erkenntnis, daß auch hier die volkstümlichen, eingebürgerten Fassungen früherer Zeit, die nur vom Ärgsten gereinigt werden mußten, den Vorzug verdienen. Heute nur eines: Während Leporello auf der Bühne herumirrt, den Ausgang sucht und Elvira wie angewurzelt steht, singt er: „Sie verfolgt mich wie mein Schatten.“ Man würde das im alten „Don Juan“ nicht beachten, aber im neuen „Don Giovanni“, dramatischer und szenischer Spitzfindgkeiten voll, fallen schon solche Einzelheiten auf ... [Punkte im Original]

Die Szene bot gestern durchaus ein verändertes Bild. Durch zwei graue, turmartige, mit Fenstern und Durchlässen versehene Vorbauten wird das Proszenium gleichsam in die Bühne hineingeschoben; die Bühne ist dadurch verkleinert und entsprechend verengt. Hinter diesen ständigen Vorbauten senkt sich bei jeder Szene ein anderer Prospekt, der das eigentliche Bühnenbild bestimmt. Die technische Manipulation beim Szenenwechsel ist hiedurch wesentlich vereinfacht. Die Verwandlungen brauchen nur wenig zeit. Leider wurde diese Vereinfachung der Szene, die zur Shakespeare-Bühne zurückleitet, nicht konsequent durchgeführt. Die Türme (oder wie man sie sonst nennen mag), geben einmal nur den Rahmen, das andere Mal zeigen sich die Sänger in den Fenstern, singen von da herab; im Festsaale sind diese Turmfenster mit Masken angefüllt und vor dem Prospekte in der Mitte der Bühne erhebt sich gar ein fünfter grauer Turm. Da weiß man nicht: Ist das schon Bild oder auch nur Verführung der Phantasie zum Bilde. Die Illusion gestattet mir, in einem stets gleichbleibenden grauen Turm (ähnlich wie Polonius in der Wolke), alles erdenkliche zu sehen, ein Schloß, einen Festsaal, einen Eingang einen Ausgang, einen Friedhof. Werden die Türme aber verschiedentlich dekoriert, drängen sie sich in das Bild mit bestimmten Funktionen, spielen sie gleichsam mit, so daß sie im Bilde selbst, nicht nur Rahmen, einen ernüchternden grauen Kontrast zur umgebenden Pracht der Szene bilden, so ist die Wirkung peinlich, zwitterhaft. Also Stilisierung und Einfachheit – das ganze Bühnenbild in der Fantasie und durch die Fantasie des Beschauers – oder Realismus und Pracht – nichts im Beschauer und alles gegenständlich auf der Bühne. Ein Kompromiß, wie er gestern versucht wurde (man denke an das naturalistische Hotelzimmer der Elvira) ist undurchführbar; er befremdet, entstellt, gibt beständig Rätsel auf, die er zum Ärger nur teilweise löst. Man wird, obwohl dies gerade vermieden werden sollte, fortwährend dekorativ beschäftigt, und Mozart hat doch auch eine Musik zum „Don Juan“ geschrieben. Das Publikum war meistens verblüfft und kam selten in Stimmung.“

(Quelle: Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung, 22.12.1905)

Don Giovanni- Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger