ERWIN RINGEL 1990

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Don Giovanni- Portal

„Männlicher Narzismus“ oder „Was geschah in Annas Zimmer zwischen ihr und Don Giovanni?“

Sind es nicht immer dieselben Fragen, die gestellt werden? 1966 machte sich Walter Felsenstein seine Gedanken, als es darum ging, sich für die Wiedereröffnung der renovierten Berliner Komischen Oper mit „Don Giovanni“ zu präparieren. Der Text „Was geschah in Annas Zimmer zwischen ihr und Don Giovanni?“ war im Programmheft zur Aufführung abgedruckt. Das berichtet das Booklet einer bei Arthouse Music erschienen DVD, die diese Wiedereröffnung dokumentiert. Felsensteins Analyse ist ihr als Bonusmaterial „beigepackt“.

Aus heutiger Sicht erweist sich Felsenstein bei seiner Analyse als Kind seiner Zeit. Sein psychologischer Scharfsinn, sein konsequenter Blick auf Libretto und Musik verfangen sich im Klischee einer aus männlichem Narzismus gespeisten „Don Giovanni“-Rezeption. Auch Felsenstein glaubte an die „magische“ Wirkung dieser Opernfigur auf das weibliche Geschlecht und schloss daraus: „Eine Vergewaltigung widerspräche völlig Giovannis Wesen und Prinzipien.“ Und er schmeichelte damit den angeblich unwiderstehlichen Verführungskünsten seiner Geschlechtsgenossen wahrscheinlich mehr als heutzutage noch verträglich ist.

Warum Felsenstein auch immer vom „Weibe“ spricht? Don Giovanni habe eine Vergewaltigung gar nicht nötig, weil er das „Weib“ idealisiert. Sein Kirkegaard’sches Prinzip, könnte man interpretierend sagen, macht es gefügig. Deshalb: „Das Weib fühlt sich seiner [Don Giovannis] Wirklichkeit enthoben und erwidert das Begehren mit einer Leidenschaft, die es bisher nicht kannte und die es auch nie mehr vergessen kann.“ Und bis zur Begegnung mit Donna Anna habe sich nie ein „Weib“ Don Giovanni widersetzt!!!

Für Donna Anna ist laut Felsenstein die nächtliche Begegnung mit diesem Unbekannten ein schicksalshaftes Ereignis. Sie löst in ihr Angst aus – aber nicht nur „Angst“. Sie wird „von einem nie gekannten, ungeheuren Gefühl erfasst, dem sie sich nicht zu widersetzen vermag – die für Giovanni geborene Partnerin ist erwacht und stärker als Annas Bewusstsein.“ Jedoch: Donna Anna überwindet offenbar ihre Bestimmung, zeigt Don Giovanni die „Rote Karte“ – und büßt für solchen „Frevel“ mit einem frühen Tod. Denn Anna wird, so Felsenstein, das nächste Jahr nicht überleben.

Aber auch Felsenstein ist mit seiner „Don Giovanni“-Produktion nicht glücklich geworden und hat sie bald wieder vom Spielplan genommen. Vielleicht fühlte er unbewusst, dass er hier mehr traditionelle Erwartungen erfüllt hat, als einem innovativen Theatermann seines Schlages lieb sein konnte. Doch das sind natürlich nur Vermutungen.


Don Giovanni-Portal - anlässlich des Mozartjahres 2006 - © Dominik Troger