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Sven-Eric Bechtolf: „Vorabend – Eine Aneignung“

Am 2. Dezember 2007 beginnt das neue „Ring-Zeitalter“ an der Staatsoper. Sven-Eric Bechtolf inszeniert Wagners Mammutwerk. Der Band „Vorabend – Eine Aneignung“ dokumentiert die Annäherung des Regisseurs an diese herausfordernde Aufgabe.

Bechtolfs Idee, seine Biographie mit dem „Rheingold“ zu verknüpfen, wirft ein eigenes Licht auf die „Ring“-Tetralogie. Die dosierte Selbstironie des Autors treibt geschickt Löcher in festgefügtes Weltanschauungsmaterial. Dass Bechtolf dabei in der Beurteilung Wagners hellsichtiger zu sein scheint, als viele seiner Verehrer, ist wie ein Schlagobershäubchen auf eine gute und gar nicht koffeinfreie Mischung saturierter Kaffehausplauderei. So gewinnt er dem „erotomanen Anarchisten“, dem Verfechter einer „eigentumslosen, germanisch-völkischen Kommune“ sehr persönliche Facetten ab, vor denen sich der ganze theoretische Wust in Luft auflöst.

Solches Verfahren hat natürlich seine Tücken und nimmt Unschärfen in Kauf, die Einwände auf den Plan rufen. Vor allem scheint mir, dass Bechtolf in Bezug auf den „Ring“ doch zu sehr auf Schopenhauer reflektiert, den er wie ein Trostpflaster auf Wagners von der Historie desavouierte gesellschaftspolitische Vorstellungen klebt. Eine neue „Deutung“ des „Rings“ wird man also nicht erwarten dürfen, es sei denn, sie läge in der Biographie des ... Sven-Eric Bechtolf!?

Insofern ist der Vorwurf nicht von der Hand zu weisen, der kommende „Ring“-Regisseur habe einen risikofreien Weg gewählt, um das Vorfeld seiner Inszenierung publizistisch aufzubereiten: Lebensgeschichten von bekannten Schauspielern werden immer ihr Publikum finden. Bechtolf meistert diese Anforderung mit sensibler, verführerischer Offenheit und einem überraschend bilderreichen Stil, der seine eigenen blütenreichen Arabesken windet. Er vermeidet eine seitenblicke-bestimmte Nabelschau und fügt seine, vom „Rheingold“ angestoßene biographische „Assoziation“ zu einem hübschen Mosaik: die lüsternen Nixen und das verschämte Nacktbaden des Autors unter dem abendlich gestirnten Himmel der Siebziger Jahre; Figurenpsychologie, die sich mit Lebenserinnerungen überschneidet; die Alberiche unter uns, „Schlange“ und „Kröte“ als Erzieher im Jugendhort; der Loge in „mir“...

Ein paar Querhiebe auf Wagner lassen sich derart leicht unterbringen, der luxusliebende Bohemien, der politische Agitator; Namen die en passant fallen (wie Bakunin) dienen vor allem der lexigraphischen Vollständigkeit. Auffallend ist, dass Loge und Alberich stark an Kontur gewinnen, sowie die verwandtschaftlichen Aspekte der Götterclique. Die „Übersetzung“ Wotans – als Mann in mehreren Lebensaltern – scheint mir weniger plastisch ausgeformt. Seine Machtansprüche treffen womöglich nicht das Mark der Bechtolf‘schen Biographie, so wie sie sich dem Leser offenbart.

Gegen Ende seiner Ausführungen gewinnt die Kulturkritik ein wenig Oberhand. Der verlorenen „Natur“-Unschuld des „Rheingolds“ wird eine persönliche Betroffenheit gegenübergestellt, die sich zumindest einem Nachspüren der Zusammenhänge nicht verschließt. Das Theater wird zu einem Ort, der trotz komplexer politischer und gesellschaftlicher Machtgefüge den Freiraum schafft, wo der Mensch in Würde seinem „Menschsein“ begegnen kann als „Mitleid und Verstehen für uns selbst“. Bei vielen „Theatermachern“ aber diagnostiziert Bechtolf die Erstarrung in einem dogmatischen Moralismus, der davon ausgehe, dass angesichts einer ohnehin verrotteten Gesellschaft „das Ringen um Kultur und Kulturleistung sinnlos geworden“ sei, ohne Hoffnung auf die „Besserung“ eines Publikums, dem man seiner Meinung nach nicht mit dem Zeigefinger zu predigen habe, sondern die Freiheit der „Interpretation“ durchaus überlassen könne.

Wie weit diese Konzeption in den neuen Staatsopern-„Ring“ einfließen wird und was sie auf der Bühne „leistet“, bleibt abzuwarten. Papier ist geduldig – das Wiener Opernpublikum nur sehr bedingt.

Sven-Eric Bechtolf: „Vorabend – Eine Aneignung“. Haymon Verlag. Innsbruck-Wien. 2007

(Originalzitate sind kursiv gesetzt.)

operinwien.at © Dominik Troger