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"Die Irrwege in der Opernregie"
sind seit Anfang diesen Jahres zu einem heißen Thema geworden...

In einem Artikel in der Tageszeitung Die PRESSE liest Kurt Pahlen, Jahrgang 1907, verdienter Musikwissenschaftler und Operndirektor, jetzt den Gegenwartsregisseuren die Leviten. Die Streitschrift wider der "überbordenden Regie-Moden" vom 25.4.00 schließt dort an, wo der langjährige Musikchef der PRESSE, Dr. Wilhelm Sinkovicz, Anfang des Jahres (unter dem Eindruck der Frau ohne Schatten-Inszenierung an der Wiener Staatsoper), den Faden aufgenommen hatte.

Sinkovicz hatte am 31.12.99 unter dem Titel: "Schluß mit dem Unfug: Vom langsamen Sterben der Oper" die "Holzhammermethoden" der modernen Regie angeprangert und sich zu einem "Opernmuseum" bekannt, um darin durch "glaubwürdige" Aufführungen des Kernrepertoires die Werke in alter Frische am Leben zu erhalten. Es folgten: Eine Masse an zustimmenden Leserbriefen, eine wütende Replik des Staatsoperndirektors und eine erneute Klarstellung von Sinkovicz (11.1.99), in der sich unter anderem der Satz findet: "Die Stücke, die man vorgibt zur Diskussion zu stellen, vernichtet man."

Mit dem obgenannten Artikel von Kurt Pahlen ist nun eine weitere Runde in dieser Diskussion eröffnet. Pahlen schließt gewissermaßen an den zitierten Sinkovicz-Satz an, in dem er über die zeitgenössischen Theatermacher formuliert: "Ich klage an: die Regisseure, die um ihres persönlichen Ruhmes, ihrer oft maßlos überhöhten Gagen und ihrer zumeist negativen Lebenseinstellungen willen Werke mißachten, der Lächerlichkeit aussetzen, verfälschen, im tiefsten Grunde unverstanden auf die Bühne bringen." Pahlen belegt seine Meinung mit einer ganzen Reihe an Regiebeispielen, die berühmtesten davon aus dem Bayreuther Cherau-Ring stammend.

Pahlen erinnert auch noch einmal an das Konzept der Musik als "heiligen Kunst" (Hugo von Hofmannsthal), ohne das näher zu erläutern: "Ich habe die heutigen Regisseure in Verdacht, ihre Beziehungen zur Musik, der heiligen Kunst (Hofmannsthal), seien nicht die erfreulichsten - wenn sie überhaupt existieren." (Wobei angemerkt werden soll, dass Hofmannsthal "seinem" Komponisten im Vorspiel der Ariadne auf Naxos zwar diese Mystifizierung der Musik in den Mund legt, das Rundherum der Handlung aber diese ekstatische Empfindung Lügen straft).

Leider trennt Pahlen in seinem Artikel nicht die handwerkliche Inkompetenz von mißliebigen Interpretationen. Das macht es schwer, seine Anklage (Zitat: "Aber ich bin dankbar, hier eine Gelegenheit zu erhalten ... auch eine allgemeine Anklage zu formulieren") mit dem gebotenen Respekt zu würdigen. Zeigt doch auch seine Meinung, dass man "statt bewundernswerter Meisterwerke nur Fälschungen vorgesetzt erhält" das ganze Dilemma dieser Diskussion, die eine einmalig gültige, vom Urheber selbst autorisierte Interpretationsweise postuliert. Eine Forderung die, wie sich leicht nachweisen lässt, sogar von den Schöpfern der Kunstwerke selbst, nicht erfüllt werden kann. Eines der besten Beispiele ist Richard Wagners Ring-Tetralogie, die aufgrund des langen Entstehungsprozesses schon von Wagner ganz unterschiedlich interpretiert wurde, um letztlich (bekanntlich gibt es von Brünnhildens Schlussgesang in der Götterdämmerung drei verschiedene Fassungen) vom Meister in der unverbindlichsten (!) Version ins Szene gesetzt zu werden. Man braucht sich auch nur daran zu erinnern, dass Wagner die Umsetzung des Ring-Projektes unter dem Einfluss der Revolutionsjahre 1848/49 begann, um dann später - nach Lektüre Schopenhauers - nicht mehr in Siegfried, sondern in Wotan die eigentliche Hauptfigur des Rings zu sehen.

Wenn Pahlen also von einer "straflosen Willkür der Regisseure" spricht, dann stellt sich die Frage nach dem Original, anhand dessen sich eine Fälschung nachweisen lässt, dann stellt sich die Frage nach der Strafe und dem Strafenden, dann erhebt sich die Forderung nach einem Regelwerk, das eingehalten, nach einem Ritus, dem genüge getan werden muss. Was aber geht dabei verloren und was wird gewonnen? Folgt man Pahlens Ausführungen, dann scheint das Publikum, dass sich gegen die "Verfälschungen" mit "Buh-Stürmen" wehrt, eine solche sanktionierte Aufführungspraxis zu fordern, die für jede Oper eine - angeblich - originale Aufführungstradition sicherstellt. Nun ist dagegen insoferne nichts einzuwenden, weil hier, in Kooperation mit Musik- und Theaterwissenschaft sicher interessante opernhistorische Details ans Tageslicht befördert werden könnten, andererseits müßte aber allen bewußt sein, das das vermeintliche "Original" auch nichts anderes ist als eine Rekonstruktion, die keinen Anspruch auf Referenzstellung in Sachen "Fälschungen" für sich beanspruchen darf.

Ist das erkannt, zeigt sich doch ein ganz hübscher Weg aus der "Krise": Mögen sich einige, wie bei der Barockmusik, auf die "angebliche" Werktreue spezialisieren und möge der Rest jene "tiefschürfenden Gedankengänge sichtbar" machen, für deren interpretatorische Umsetzung sogar Pahlen Verständnis zeigt. Wo es allerdings am Handwerk fehlt, das sollte einen weniger beirren: Nur wegen eines schlechten Schusters gehen auch nicht alle Menschen bloßfüßig. (dat)