NEUE WIENER HOFOPER 1869
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Kapitelübersicht

Der Aufbau des Repertoires im neuen Haus
30.Mai 1869 bis Saisonende Mitte Juli

II. "Die Stumme von Portici" am 3. Juni 1869 - Die Kaiserin zum ersten Male im neuen Haus

Auber’s „Die Stumme von Portici“ wurde zu jener Zeit immer mit Strichen gespielt. „Ja dem Tyrannen gilt die kühne Jagd“: so lautete eine der inkriminierenden Textzeilen. Die Operngeschichte berichtet ja, dass 1830 in Brüssel eine Aufführung dieses Werkes die belgische Revolution und in Folge die Loslösung von den Niedelanden ausgelöst habe. Trotzdem war „die Stumme“ ein Dauerbrenner auf den Opernbühnen des neunzehnten Jahrhunderts. Effektvolle Musik und Massenszenen samt Beteiligung des Balletts, italienische Landschaften samt Vesuvausbruch befriedigten voll die musikalischen und visuellen Bedürfnisse des Publikums – und sie stellten hohe Anforderungen an Orchester, Chor und Bühnenbildner. Ideale Voraussetzungen also für eine prunkvolle Aufführung im neuerbauten Hofopernhaus.

Hermann Burghart, der bis dahin immer ein wenig Schatten gestanden war, zeichnete für die neuen Dekorationen verantwortlich und konnte für sich einen großen Erfolg verbuchen. Italienische Landschaft und Architektur vereinigten sich zu einer imposanten Kulisse für die mit großem Beifall aufgenommenen Chor- und Ballettszenen. Der Ausbruch des Vesuvs im Schlussbild erregte weniger an sich, sondern vor allem wegen der Feuerreflexe im Meer Aufsehen, während eine düstere Mondscheibe über den Wassern schwebte. Nur der südliche Himmel schien nicht in jedem Bilde gleich gut getroffen worden zu sein, und das tiefe Blau zeigte sich in einer spangrünen Umfärbung, die in den Gazetten nicht ohne Anmerkung blieb.

Musikalisch befriedigten vor allem Chor und Orchester. Tenorist Wachtel schien einen „schwarzen“ Tag erwischt zu haben: „Herr Wachtel machte die klägliche Figur des Don Alfonso nicht besser...“ Ein „bedenkliches Halsleiden“ wurde kolportiert. Andere sprachen davon, dass Wachtel – angeblich – 60.000 Gulden Spielschulden angesammelt und einen Selbstmordversuch unternommen habe. (Immerhin machte dieses Gerücht derartig Wirkung, dass sogar Wachtel selbst in- und ausländischen Zeitungen eine Berichtigung zukommen ließ.) Und Herr Adams sang den Masaniello: „Er sang ihn intelligent – wenn aber die Intelligenz nur mehr Stimme hätte! Auch Herr Schmid und Frl. von Rabatinsky schienen nicht disponiert zu sein; es ging ihnen weder von der Kehle noch von der Seele.“

Das Haus war sehr gut besucht – und der Vicekönig von Ägypten war samt seinem Sohne ebenso zugegen wie – zum ersten Male – die Kaiserin. Sie trug (für alle, die es interessiert) ein „lichtes Seidenkleid mit dunklem Tüllüberwurf, die Robe mit Brillanten geziert, um den Hals ein Brillantenrivière, das üppige Haar von einer goldenen mit Edelsteinen besetzten Spange zusammengehalten.“

Sowohl Kaiserin als auch Kaiser wurden Zeuge eines hübschen Fauxpas der Hoftheaterzensur, die nämlich das Libretto der Stummen doch nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit studiert haben dürfte. Denn es verwundert, dass im Beisein des Vizekönigs von Ägypten, Sätze wie „Ich hab‘ dem Vicekönig Tod geschworen, er muss sterben“ in die der Chor mit infernalischer Befriedigung einstimmt: „Der Vicekönig – er muss sterben!“ gesungen werden durften. Aber weil der Vizekönig der deutschen Sprache nicht mächtig war, blieb das ganze ohne diplomatische Folgen...

Der Vicekönig, von Damen umschwärmt und in diesen Tagen von einer gesellschaftlichen Relevanz, wie sonst nur mehr der Hofoperndirektor persönlich, verließ Wien am 7. Juni Richtung Berlin. Und die in Wien zurückgebliebene, kunstbegeisterte Öffentlichkeit wartete schon begierig auf die Auführung des Balletts „Sardanapal“ von Paul Taglioni (1808-1884), damals Gastchoreograph in Wien und Balettdirektor des kgl. Hoftheaters in Berlin. Weil aber eine Fussverletzung des Meisters eine Probenpause erzwang, wurde die Premiere um einige Tage auf den 16. Juni verschoben – und für 10. Juni die Fidelio-Premiere angesetzt.
© Dominik Troger 2002

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