NEUE WIENER HOFOPER 1869
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Der
Aufbau des Repertoires im neuen Haus I. Die "improvisierte" Aufführung von Gonoud's "Romeo und Julia" am 30.Mai 1869 Dass nach den drei Don Juan-Vorstellungen am 30.Mai "Romeo und Julia" von Gounod über die Bühne ging, hatte seinen Grund in der "hohen Diplomatie". Mehr oder weniger zufälliger Weise war nämlich Ismail Pascha, Vicekönig von Ägypten (1830-1895), samt seinem dreizehnjährigen Sohne, in Wien eingetroffen. Ismail Pascha war ein bekannter Theater- und Opernfreund. Unter seiner Herrschaft wurde nicht nur der Suezkanal gebaut, sondern er beauftragte auch Giuseppe Verdi mit der "Aida". Der Vizekönig unterhielt nicht nur in seiner Heimat eine Oper, er liebte es, jedes Jahr ausgedehnte Europareisen zu machen, und dabei die "Kulturzentren" abzuklappern, bevorzugterweise Paris. Er war bekannt für seine wertvollen Geschenke an Schauspielerinnen, Sängerinnen, Balletteusen. Der offizielle Anlass seines Wienbesuches war freilich die Suezkanal-Eröffnung, zu der der Vicekönig in Person die Einladung überbrachte - und seine Majestät Kaiser Franz Josef nutzte die Chance, diesem Ehrengast das neue, prunkvolle Operngebäude zu präsentieren. Warum aber gerade "Romeo und Julia"? Wahrscheinlich ist auch deshalb die Wahl auf die Gounod'sche Oper gefallen, weil man - und der Kaiser war ja selber ein "Fan" dieser Sängerin - darauf wetten konnte, dass der frankophile Vicekönig nicht nur den Reizen dieses Werkes, sondern auch denen von Bertha Ehnn verfallen würde. Die Julia war nämlich deren Paraderolle, und die Aufführungskritiken zum 30.5. sollten gerade auch bei ihr wieder ins Schwärmen kommen. Der Haken an der Sache war freilich, dass die offensichtlich auf "höhere Weisung" angesetzte Aufführung sich im szenischen mit einiger Improvisation würde behelfen müssen, weil die Kulissen für die Übernahme ins neue Haus noch nicht fertig gestellt waren. Hatte man doch noch wenige Tage zuvor "Fidelio" und "Wilhelm Tell" als zweite Premiere im neuen Haus gehandelt. Aber natürlich hätte Dingelstedt auch nie den Funken einer Chance besessen, dieses staatspolitische Kalkül mit wohlvorgebrachten künstlerischen Bedenken auszustechen. Also spielte man eben "Romeo und Julia". Nun, die Aufführung litt unter der eiligen Hast, mit der man sie zu veranstalten gezwungen worden war. Die langen Umbauzeiten auf der Bühne verschleppten den Abend bis gegen 23 Uhr, was viele Besucher bereits zum vorzeitigen Aufbruch veranlasst hatte. Bei der Szene ging einiges daneben, man mokierte sich über einen "unkorrekten" Sonnenaufgang im vierten Akt, über aus anderen Inszenierungen geborgten Kulissen und provisorisch zusammengebauten Versatzstücken. Folgt man den Berichten, dann wurde das Ausstattungsteam trotzdem von Claqueuren bejubelt. Folgt man den Berichten, dann wurde aber auch gerade Dingelstedt wegen dieser Punkte wieder gehörig ins Kreuzfeuer genommen, und es regnete die bekannten Vorwürfe, nämlich dass sich der Herr Direktor jeden Abend nur auf seine Tour durch die Logen der hochgestellten Persönlichkeiten mache und sich nicht um sein Haus kümmere. In Anbetracht der beständig anhaltenden journalistischen Querschüsse soll in jenen Tagen der Direktor zu einem Freund bemerkt haben: "Viele Hunde sind des Hasen Tod." Die musikalische Ausbeute dieser "Romeo und Julia"-Aufführung war jedoch durchaus befriedigend. Den Preis errang vor allem Frl. Ehnn, "die einen ihrer schönsten Abende verzeichnen" konnte. "Was dem reichen Talente des genialen Mädchens an süßer, duftiger Innigkeit, an zarter, echt weiblicher Schwärmerei, aber auch an Gluth und Leidenschaften im Ausdrucke von Liebesglück und Liebesschmerz zu Gebote steht, wußte sie diesmal in die Gounod'sche Julie zu legen (...)" Sie war demnach an diesem Abend besonders gut stimmlich disponiert - und der Vicekönig sollte ihr diese Leistung bei seiner Abreise mit einem prachtvollen Perlencollier, "das statt des Schlosses ein Herz von Brillanten trägt" vergelten. Die Liebesszene des 2. Aktes brach erstmals das Eis des bis dahin im neuen Haus eher zurückhalten agierenden Publikums und riss es zu Beifallsstürmen hin. Der "moderne" Klang Gounod's erwies sich für das neue Hofoperngebäude auch vom akustischen Standpunkt als sehr wirkungsvoll. Genau registriert und mitgeteilt wurde aber auch der gesellschaftliche Aspekt des Abends. Kein Schritt des Kaisers und des Vicekönigs blieb verborgen: "Der Vicekönig
im neuen Opernhaus Für diese Aufführung galten bereits die "Normal"-Preise, die wie folgt angesetzt worden waren, in zwei Kategorien "gewöhnliche" und "erhöhte" Preise geteilt : Loge im Paterre,
1. oder 2. Stock: 20/25fl; Im Vorverkauf wurde
ein Zuschlag berechnet: für ein Fauteuil im Parquet 1. Reihe 1fl
Zuschlag und für jeden Sitz im Paterre, Parquet, 3. und 4. Galerie
0,50fl. Angesprochen wurde
aber auch das Schicksal des alten Hauses. Mit dem drohenden Abbruch
wollten sich viele nicht zufrieden geben. Man sah in ihm einen idealen
Aufführungsort für die "Spieloper". Aber das war
wahrscheinlich nur ein Wunschtraum, weil allen Beteiligten klar war,
dass sich zwei Häuser nicht würden finanzieren lassen. Es
zeigte sich auch in Folge, nach dem Abbruch der alten Hofoper, dass
die "Spieloper" im neuen Haus nicht wirklich heimisch werden
konnte. Am 17. Jänner 1874 öffnete deshalb die "Komische
Oper", die dann als "Ringtheater" zum Schauplatz eines
verheerenden Theaterbrandes werden sollte. |