NEUE WIENER HOFOPER 1869
Aktuelle Spielpläne & Tipps
Opernführer
Forum
Home

Kapitelübersicht

Die Eröffnung der neuen Hofoper am 25.5. 1869 in Wien.

IV. Die Eröffnung

Dienstag, 25. Mai
Der große Tag war gekommen. Ehe hier einige Originalberichte in voller Länge zitiert werden sollen, noch eine Anmerkung zu den Agioteuren. Denn diese mussten letztlich große Preisnachlässe gewähren. So konnte man vor Vorstellungsbeginn einen Parkettsitz statt um 20 Gulden um nur 15 Gulden erwerben.

Eine plötzliche Indisposition führte dazu, dass an Stelle von Herrn Draxler, der auf dem Theaterzettel angekündigt worden war, Herr Schmid die Rolle des Komturs übernehmen musste. Interessanterweise ist dieses Detail auch im Katalog, der 1969 zum 100 Jahr-Jubiläum der Staatsoper erschien, falsch angegeben. Dort wird Draxler in der Premierenbesetzung geführt.

Das Neue Wiener Tagblatt nutzte den Eröffnungstag außerdem, um dem Operndirektor seinen eigenen "liberalen" Spiegel vorzuhalten. Und man konnte unter dem Titel "Gegen Hoftheater und Intendantenthum. Vom gegenwärtigen Direktor der Wiener Hofoper" ein paar ganz süffisante Aussagen Dingelstedts lesen - zum Beispiel die Hoftheater betreffend: "Trügen nicht alle Zeichen, so geht eben vor unseren Augen, wenn nicht unter unseren Händen und Füßen der Zersetzungsprozeß des Hoftheaters in das Nationaltheater vor sich. Die geschichtliche Sendung des Hoftheaters - Ablöse der dramatischen Kunst von der Prinzipalherrschaft - darf als vollendet angesehen werden. Ja, das Prinzip des Hoftheaters, das am Anfange dieses Jahrhunderts reinigend und reformierend in das Hoftheater eintrat, hat sich im Laufe desselben bereits überlebt, nachdem es in der Periode der Restauration seinen Gipfelpunkt erreicht." Und der Kommentator meinte dazu: "Die Hoftheater zersetzen sich 'unter unseren Händen', sagte Dingelstedt, er wird das 'mit seinen Händen' befördern. (...) Er wird uns die Nationalbühne 'das den höchsten Kunstzwecken' gewidmete Theater schaffen, indem er dazu mithilft, die Hoftheater unmöglich zu machen. Nur - doch der Rest ist Schweigen und Harren."

Übrigens: Der berühmteste heimische Musikkritiker jener Tage, Eduard Hanslick, musste der Eröffnung fernbleiben. Gelenksrheumatismus hielt ihn in den Schwefelbädern von Baden "gefangen".

Neue Freie Presse (27.5.1869)
"Eröffnung des neuen Opernhauses
Th. Lange Jahre mußte sich die Wiener Hofoper mit einem Haus begnügen, daß so ziemlich alle Mängel besaß, die man einem Theater wünschen kann. Enge Treppen, schmale Sitze, Paterre-Logen, die an Gefängniszellen erinnerten, eine Bühne ohne Tiefe, Garderoben, in welchem nur der Anstand des Publicums homerische Kämpfe vermeiden konnte, endlich gar kein Foyer, nicht einen einzigen Raum, in dem man sich während der Zwischenacte zu erholen, wo man Luft zu schöpfen vermochte. Wer das wollte, der konnte sich auf die Straße hinausbegeben. Und das war im Sommer geradezu nothwendig. Denn eine Ventilation hatte unser altes Opernhaus überhaupt nicht, und seit man die Gasbeleuchtung eingeführt, ward das Bischen Sauerstoff, welches dem Publicum früher noch zukam, von den Flammen verzehrt. Es war ein physisches Opfer, wenn man in die Oper ging, und im letzten Acte half Manchem kein Kunstgenuß über des Leides Unbehaglichkeit hinaus. Das ist nun anders geworden; die trefflichen Kräfte unserer Oper werden von jetzt an in einem Prachtbau wirken, den man bewundern muß.

Van der Nüll und Siccardsburg, die beiden Erbauer, welche die Vollendung ihres Werkes nicht schauen sollten, haben sich mit dem Opernhause ein Denkmal gesetzt, welches sie durch Geschlechter hindurch in der Erinnerung Wiens erhalten wird. Dem Menschen ist selten reine Freude beschieden, und so ward auch den beiden Architekten die Lust an ihrem Werke mannichfach verkümmert. Die weise Bureaukratie mischte sich in ihre Pläne und störte ihre Kreise, fast eben so brutal wie der römische Soldat den klugen Archimedes; der Neid ward gegen sie rege und übte eine furchtbar herbe Kritik gegen den Bau, lange ehe er fertig war. Unser Wiener Publicum, so liebenswürdige Eigenschaften es auch sonst besitzt, ist äußerst empfänglich für jede Art Pessimismus. Man sieht hier den Spott und die Nergelei mehr als anderwärts. Mit wahrer Wollust griff man die boshaften und tadelnden Bemerkungen über das neue Opernhaus auf, man verwarf den ganzen Bau. Nun ist wol richtig, daß man an dem Aeußern des Operntheaters Manches aussetzen kann. Aber ein Theaterbau gehört, weil er unendlich viele Anforderungen nothwendig berücksichtigen muß, zu den schwierigsten Aufgaben, die fast nie ganz nach Wunsch gelöst werden. Man darf nur die bestgebauten Theater Europas vergleichen, so wird man sehen, daß an jedem die Außenseite und der Total-Eindruck, vielleicht das einzige Hoftheater in Dresden ausgenommen, zu kritischem Tadel Veranlassung geben. Die neue Große Oper in Paris, von der man soviel Rühmendes erzählt, wird von Außen geradezu schnörklig und unharmonisch aussehen.

Was an unserem neuen Opernhause zu tadeln ist, dafür sind die Erbauer theilweise unverantwortlich. Bei der unergründlichen Abwechslung, mit welcher die nächsten Straßen aufgeschüttet, abgegraben, wieder aufgeschüttet und nochmals abgegraben wurden, läßt sich nicht einmal genau nachweisen, ob das Opernhaus durch die Schuld der Erbauer oder des Stadtbauamtes zu tief steht. Denn dieser Vorwurf trifft nur die Fronte in der Augustinergasse, die Hauptfacade in der Ringstraße liegt auf dem richtigen Niveau. Daß hier die gegenüberstehende Riesen-Ziegelburg Drasche's auf das Theater drückt, ist wol wahr, aber dafür können die Architekten nichts. Sie konnten nicht voraussetzen, daß gegenüber ein solches Monsterhaus aufgeführt werden würde, noch weniger konnten sie der Ueberhöhung wegen aus dem Opernhause einen babylonischen Turm machen. Der Spott aber hat all dies nicht berücksichtigt, er hat sich an die kleinen Fehler und Schwächen des Baues gehalten und das neue Opernhaus mit dem Schimpfnamen "das Königgrätz der Baukunst" getauft. Das ist einfach lächerlich. Denn das Innere des neuen Operntheaters ist bewunderungswürdig. Diese weiten, luftigen, geschmackvollen Foyers, diese breiten, bequemen Gänge, diese künstlerisch angebrachte, mit feinem Farbensinne abgetönte Pracht der Ausstattung haben wir noch in keinem Theater gefunden. Der Luster ist ein Meisterstück; die spitzen, abschließenden Bogen der vierten Galerie von vollendeter architektonischer Schönheit; die Beleuchtung vortrefflich. Im Innern ist das neue Opernhaus vielleicht das schönste Theater Europas.

Das sagte sich gestern so ziemlich Jeder, welcher der ersten Vorstellung beiwohnte. Dingelstedt hat nur eine Ehrenpflicht erfüllt, wenn er va der Nüll's und Siccardsburg's in seinem Prologe gedachte. Das Urtheil über diesen Prolog lautet im Allgemeinen sehr abfällig. Der Prolog, wie er ist, zudem auch herzlich schlecht vorgetragen, verdient kein besseres Urtheil. Der Prolog, wie er war, hätte wahrscheinlich ein anderes errungen. Was man zu hören bekam war ein Rest, ein trauriger Torso, ein Aergerniß für den Verfasser selbst. Sogar die Wandel-Decoration mit den Ansichten von Wien, die jedenfalls belebend und fesselnd gewirkt hätte, mußte wegbleiben; ebenso die schwarz-roth-goldene Fahne. Vindobona sollte am Schlusse des Prologs das deutsche Banner ergreifen, da kam die ("Hof")-Censur und schnitt den rothen Streifen ab, so daß nur die schwarz-gelben Farben übrig blieben - Nikolsburg auf der Bühne. Der Reichskanzler wird's zufrieden sein, aber Dingelstedt muß das Bad ausgießen. Allzuviel Aufmerksamkeit schenkte man den Vertretern sämmtlicher oesterreichischer Kronländer, in deren Mitte Vindobona-Wolter stand, übrigens nicht. Auch die Oper hörte man nur mit halbem Ohr, nur die neuen, reizenden Decorationen von Brioschi fesselten das Auge. Man wollte eben sehen, man wollte sich das Gesammtbild des neuen Opernhauses einprägen. Man konnte das behaglich, denn Jedermann saß bequem, und durch das ganze Haus wehte eine reine Luft. Die Ventilation arbeitete sogar zu gut, denn im Parquet zog es empfindlich. Aber das ist immer besser, als wenn man nach Athem ringt. Ebenso angenehm als schön - damit fassen wir unser Urtheil über das neue Opernhaus zusammen. Alle die feinen, eleganten Menschen, die gestern das Theater füllten - es war im wahren Sinne des Wortes die Elite der Wiener Gesellschaft versammelt - werden uns Recht geben. Wien ist um einen Prachtbau reicher, um welchen es andere Städte beneiden können. Wie werden sich auf dieser Bühne die großen Opern entwickeln, für deren Massen im alten Hause buchstäblich kein Raum war! Wäre das Haus mit "Armida" eröffnet worden, dann hätte man gleich am ersten Abend die ganze tiefe Bühne überschauen können, aber die Opposition gegen Gluck behielt gegen die ursprüngliche Absicht Recht, und wenn man auch nicht die "Zauberflöte" gab, so gab man doch Mozart, und die unsterblichen Melodien des "Don Juan" weihten das Theater würdig ein.

Die erste Vorstellung im neuen Opernhause
A.M. Wir haben der Musik eines der prächtigsten Kunstasyle erbaut, einen reich geschmückten Tempel, auf Säulen getragen, strotzend von Gold und beredten Bildnissen. Statt Tornister und Kasernen haben wir uns einmal Decorationen angeschafft, die ihresgleichen suchen, und ein Opernhaus, das vielleicht seinesgleichen nicht findet; und nach so mancher Verirrung haben wir uns endlich wieder ins Gedächtnis gerufen, daß die Musik von jeher "die höchste Macht gewesen ist in Oesterreich", und vor Allem das eigenste Leben der Wiener. In dieser als leichtlebig verschrienen Stadt der Phäaken haben sie ja gewohnt, die größten Tonmeister, hier unter uns haben sie ihre Gebilde geschaffen, mustergiltig und unerreichbar für die kommenden Zeiten: Gluck, Mozart, Haydn und Beethoven. Wir haben sie die Unseren genannt, und so sind wir nun vor Allem berufen gewesen, ihren unsterblichen Werken, soweit sie das Theater in Anspruch nehmen, eine würdige Stätte zu bieten. Der vollendete Bau darf uns mit bewußtem Stolze erfüllen, und wir freuen uns seiner aus vollem Herzen. Das Wiener Opernhaus wird nun den Vergleich mit den großen Opernbühnen der übrigen Großstädte nicht zu scheuen haben; jenes Aschenbrödel, das nur durch den kleinen Fuß berühmt wurde, auf dem es in letzter Zeit zu Leben gezwungen war, prangt im Festschmucke der Hochzeit.

Solch erhebendes Bewußtsein, mehr als seichte Neugierde, belebte jene zahlreichen Massen, die das Theater an dem Festabende seiner Eröffnung umwogten. Die inneren Räume faßten die erlesenste Gesellschaft der Kaiserstadt, der Kaiser war da und sein Staat, Männer in festlichem Gewande und der reichste Kranz schöner Frauen, alle in großer Toilette. Der Prolog ward gesprochen, doch ohne Prunk und Staat. Den letzteren haben widrige Umstände - vielleicht waren es wieder die berühmten "ererbten" - den vom Director Dingelstedt gedichteten Versen genommen. Prächtige Wandel-Decorationen sollten es begleiten, naturgetreue Darstellungen der fertigen Kunstbauten und prophetische Schilderungen der zukünftigen. Sie wurden in letzter Stunde verbannt. Den Prolog selbst haben wir nur stückweise und arg verstümmelt zu Gehör bekommen. Es waren in Wahrheit mehr Lücken als Verse zu hören, und argwöhnische Naturen mochten leicht in die Lage kommen, in der abgerissenen Diction Fräulein Wolter's, die den Prolog ohne Wärme und Kunstbegeisterung recitierte, verblümte Andeutungen zu suchen, wo jene verstärkte Censur in dem Eröffnungsgedichte am schlimmsten gewüthet hat. In der jetzigen Fassung enthält der Prolog Dingelstedt's kaum mehr als eine Schilderung der alten Basteien und des Stadtgrabens aus dem Munde des Genius der Stadt Wien. Wir hören von der Geschichte der Stadterweiterung kaum mehr als die Entstehung des Opernhauses, und nach einem ziemlich peinlichen Avertissement an die Unzufriedenen, die an den hingegangenen Architekten des neuen Opernhauses Manches auszusetzen wußten, schließt der Prolog mit einem unvermittelten Aufrufe an die Nationalitäten Oesterreichs zur politischen und künstlerischen Einigkeit. Nach alledem kommt es uns nicht in den Sinn, das Gedicht zu tadeln, das buchstäblich nicht mehr das eigene Werk des Dichters ist; und wäre Dingelstedt nicht Director der Oper, sicherlich hätte er den Prolog lieber zurückgezogen, als seinen dichterischen Ruf also preiszugeben. Doch vergaß man bei den Klängen der Volkshymne sofort, auf die unfreiwilligen Mängel des gehörten Wortes. Alles erhob sich, und dem Kaiser, dem Gründer des Hauses, galten lange, laute Zurufe.

Dem folgte die Darstellung des "Don Juan", die man zur Weihe des Hauses wählte. Man konnte eine deutschere Wahl treffen, hätte man die "Zauberflöte" als Eröffnungsstück auf das Repertoire gesetzt; eine bessere Wahl aber gab es nicht. Mozart's "Don Juan"! welch unversiegbar sprudelnder Quell der Musik in reinster Form und theatralischer Schönheit! Die deutsche Aufführung des Mozart'schen Werkes an unserer Bühne ist bekannt. Sie stellt gerechte Ansprüche zufrieden, wenn sie auch den trefflichen Darstellungen aus den guten Zeiten der italienischen Oper bei weitem nachsteht. Daran trägt übrigens die überaus plumpe und schwerfällige Bearbeitung des deutschen Textes zum großen Theile Schuld. Die artistische Leitung hat die Oper mit ihren besten Kräften besetzt. Frau Dustmann sang die Donna Anna, Frau Wilt die Elvira, Fräulein Tellheim nach langer Pause die Zerline; den Don Juan sang Herr Beck, den Ottavio Herr Walter; Herr Schmid gab den Comthur, Herr Rokitansky den Leporello und den Masetto Herr Mayerhofer. Lauter bekannte Namen und gewohnte Leistungen, und doch hatte die Aufführung in gewissem Sinne etwas Fremdartiges. Die Stimmen klingen im neuen Hause in mancher Weise verändert, das Orchester ist anders placiert - wir würden die alte Aufstellung beantragen - und nach den Erfahrungen des ersten Abends werden sich die Capellmeister der Oper auch in Hinsicht auf die Tempi an die größeren Verhältnisse des neuen Hauses gewöhnen müssen. Das Ausklingen der Phrase im größeren Raume erfordert allerdings etwas mehr Zeit, knapp daneben lauert aber die Gefahr, alle Zeitmaße allzu schleppend zu nehmen, ein Mangel, der in der Eröffnungsvorstellung sehr fühlbar wurde und Herrn Capellmeister Proch den Vorwurf einer gewissen Mattigkeit zuzog, der dem verdienten Künstler bisher erspart blieb. Die angenehmste Veränderung der Oper war aber in der brillanten Inscenirung zu finden und in ihrer prächtigen Ausstattung; die decorative Schönheit war von überraschender Wirkung. Die Flur vor dem Haus Donna Anna's im ersten Acte der Oper, der Garten und Ballsaal in Don Giovanni's Palaste, der Friedhof mit dem Reiterbilde des Comthurs, der Speisesaal Don Juan's regten zu rauschendem Beifalle an. Im Punkte scenischer Pracht hat sich die Mozart'sche Oper die langen zweiundachtzig Jahre hindurch, die sie auf unserer Bühne zugebracht, noch nie so wohl befunden, als am Tage der Eröffnung des neuen Opernhauses. Die präcise Handhabung der Maschinerie und der Beleuchtungs-Apparate wird natürlich Sache einer längeren Uebung sein müssen. Bei der ersten Vorstellung zeigte sich Manches widerhaarig; die Mondbeleuchtung, der stetige Leitton aller landschaftlichen Bilder in der Oper, war höchst unstet und tremolirte unaufhörlich. Die Costüme sind ebenso reich als getreu; namentlich charakteristisch erschien Leporello und der Comthur in der großen Schlußszene. Nur der Schluß der Oper ist gleich lächerlich geblieben - die Dutzend Balletteufel, die in Don Juan's Speisezimmer stürzen, wissen nicht, was anfangen, und der fallende Vorhang zieht nur sie, nicht aber das weiterspielende Orchester aus der Verlegenheit. Die Ouvertüre hätten wir uns, nach den mitwirkenden Massen zu urtheilen, glänzender gedacht; sie wirkte im alten Hause, wiewol das auch kein akustischer Mustersaal ist, einheitlicher im Klang und kräftiger. Der Uebelstand, daß die Streichinstrumente von der Blechharmonie erdrückt werden, scheint noch nicht vollständig gehoben. Die vollen Accorde der letzteren verbreiten im neuen Hause leuchtenden Glanz, während man von dem eigenthümlich dunklen Grunde der tieferen Holzbläser, wo sie in der Ouvertüre verwendet werden, von Clarinetten und dem Fagott fast nichts gewahr wird. Die artistische Leitung wird für eine angemessenere Platzvertheilung sorgen müssen; die in gewissem Sinne vorgenommene Frontveränderung des Orchesters hat den Uebelstand eher gefördert, als ihm Abhilfe geschafft. Die Sänger haben im Ganzen weniger Ursache, über Ungunst des Hauses zu klagen. Die Stimmen schneiden weniger durch, ohne darum an Kraft und Fülle zu verlieren. Die Art des Singens im neuen Hause wurde rasch gelernt. Herr Mayerhofer, der bei den Proben am unglücklichsten wegkam und nicht ausreichen wollte, stellte seinen Mann, nicht minder Fräulein Tellheim, deren Organ doch auch nicht zu den großen und wuchtigen zählt. Die Darsteller waren im Ganzen bemüht, den Glanz des Abends durch die Kunst ihrer Leistungen zu erheben; es wurde stimmungsvoll gespielt und gesungen. Da war vor Allen Frau Dustmann als Donna Anna vortrefflich am Platze; Stimmen, die jahrelang alle Mühen und die verzehrende Anstrengung der großen Oper ertragen haben, werden dadurch nicht frischer und klangvoller. Das natürliche Geschick hat auch Frau Dustmann nicht verschont; ihr Organ ist, wenn auch noch sehr verwendbar, doch immerhin so angegriffen, daß es sehr vorsichtig angewendet werden muß und nach großen Kraftäußerungen stark ermüdet klingt. Trotzdem war Frau Dustmann's Donna Anna eine Leistung, die von keiner Sängern unserer Bühne erreicht wird. Da vereinigt sich noch immer Kraft und Gewalt des Ausdruckes, lebendige Darstellung, echt dramatisches Temperament mit Schwung und fortreißendem Feuer. Ihre Leistung gipfelte wie gewöhnlich in der große angelegten und bravourös gesungenen Rache-Arie - einem Gesangstück, das, seines fesselnden Glanzes ungeachtet, bei den Sängerinnen nicht im besten Rufe steht. Da bewegt sich Alles in schwindelnder Höhe, in hochgespannter Stimmung, kein Ruhepunkt findet sich; eine gewaltige Aufgabe für die Darstellerin, die für drei Viertheile ihres Partes noch volle Kraft sich bewahren soll. Frau Dustmann bewältigte das Recitativ und die Arie meisterhaft, und beide wurden mit ungetheiltem Beifalle aufgenommen. Von da ab fiel die Leistung in etwas ab, namentlich gegen den Schluß zu. Die Brief-Arie war wegen ihres colorirten Gesanges niemals ein Lieblingsstück dieser Sängerin, umsoweniger jetzt, wo die Stimme leichter ermüdet und die Aufregung nach der großen Scene des ersten Actes so hohe Wellen wirft, daß die für die präcise Ausführung so schwieriger Stellen nöthige Ruhe mangelt. Die Elvira sang Frau Wilt, die neue Kammersängerin, fest und sicher im musikalischen Theile, kühler und mit weniger Ausdruck nach Seite der dramatischen Darstellung. Mit besonderem Glanze und außergewöhnlicher Leichtigkeit bringt Frau Wilt alle hohen Töne zu Gehör, während die Stimme in den mittleren Chorden Manches von ihrer ursprünglichen Fülle und Gewalt einzubüßen scheint- ein nicht zu unterschätzendes Warnungszeichen gegen unberechtigtes Forciren. Stimmen von der Kraft der genannten Sängerin sind im neuen Hause von großartiger und schönster Wirkung. Frau Wilt fand namentlich nach dem Schlusse der großen Arie anhaltenden Beifall; desgleichen Fräulein Tellheim als Zerline nach ihrer zweiten Arie. Von ihrem stimmlichen Unwohlsein fast vollständig erholt, hat Fräulein Tellheim trotz mancher glücklichen Momente am Eröffnungsabende von ihren gesanglichen Mängeln eigentlich im Ganzen wenig abgelegt. Wir finden noch immer dieselbe Unebenheit der Register und bei aller natürlichen Anlage zum coloriten Gesange dasselbe Verwischen der Läufe und Passagen, denselben meckernden Triller, der ziemlich ungenirt statt des oberen Tones der getrillerten Note den unteren zu Hilfe ruft. Großes Verdienst erwarb sich Herr Walter (Ottavio) um den Eröffnungsabend. Herr Walter kennt und ehrt das Wiener Opernpublicum als einen musikalischen Sänger, weniger blendend durch glänzende Stimmmittel, als anregend und erfreuend durch seinen Geschmack und edles Wesen. Insoferne verdient seine Leistung als Ottavio vollstes Lob und außerdem ganz besondere Anerkennung für den willigen Vortrag der B-dur-Arie. Herr Walter hat das überaus schwierige Stück rein und musikalisch stylvoll gesungen. Im Uebrigen müssen wir den Willen für die That nehmen; der vollendet Vortrag solcher Arien wie die beschriebene setzt eine andere Schule voraus, die heute leider keine Sänger mehr erzieht. Durch die Arie "Il mio tesoro" zieht der echt italienische bel canto mit allen seinen unbeschreiblichen Zaubern, wie sie einst Rubini geübt und wie wir sie in letzteren Jahren noch an Carion und Calzolari fühlten. Manches der Arie klang im Munde Herrn Walter's trocken und hölzern, namentlich der Schlußfall den Herr Walter mit der Variante Rubini's sang. Die Uebernahme der Violinstimme setzt nun die leichteste Ausführung des Trillers auf dem hohen A voraus - eine Fertigkeit, die Herrn Walter bei all seinen vielen und schätzbaren Vorzügen mangelt. Zum Schlusse noch zwei Worte über die Giganten an Stimme, Beck als Don Juan, Rokitansky als Leporello und Schmid als Comthur. Entbehrt man an Beck's Don Juan, und nicht mit Unrecht, hie und da die Feinheit schauspielerischer Darstellung, so wird man darum dieser an blitzenden Effecten so reichen Leistung, eine der musikalisch besten des berühmten Sängers, volle Theilnahme doch nicht versagen können. Herr Rokitansky war wie Herr Schmid sehr gut bei Stimme und, was bei diesem Künstler so selten eintritt, mehr bei Humor als gewöhnlich. Herr Rokitansky mit seiner wunderbar weichen Stimme, die ungefälscht im echten Baßcharakter klingt, ist einer der bestgeschulten Sänger am Operntheater, der seine Leistungen nur durch die Dürftigkeit seiner dramatischen Durchbildung herabdrückt. Am Eröffnungsabende war der Sänger bei besserer Laune; der Humor äußerte sich zwar nur in größerer Agilität und einigen lustigen Capriolen beim Abgange. Vielleicht aber ist der Anfang gemacht und das bessere kommt nach - ein Wunsch, den wir dem neueröffneten Opernhause auf seine Wege mitgeben wollen."

©Dominik Troger

weiter