NEUE WIENER HOFOPER 1869
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Kapitelübersicht

Die Eröffnung der neuen Hofoper am 25.5. 1869 in Wien.
Ein Diarium.

III. Der Eröffnungsmonat

Die nächsten zwei Wochen kennzeichnet eine verständliche Hektik aller Beteiligten und man meint, dass es den Direktor eigentlich zerissen haben müsste, zwischen den Vorbereitungen für die Eröffnung und der Verpflichtung, so nebenbei für einen kontinuierlichen Opernbetrieb im alten Opernhaus zu sorgen. Denn dortselbst lag auch einiges im Argen, und aus heutiger Sicht stechen einem die überaus häufigen Spielplanänderungen ins Auge. Symptomatisch ist nachfolgende Geschichte, die gleichzeitig auch zeigt, dass es ein Wiener Operndirektor wirklich niemandem recht machen kann:

Im alten Opernhaus ist Donizettis "Favoritin" angesetzt, und die Wilt und Amalie Materna (1843-1918) haben sich unpässlich gemeldet, Frau Louise Dustmann (1831-1899) und Herr Gustav Walter (1834-1920) weilen auf dem Lande, die unvermutete Absage von Bertha Ehnn (1847-1932) scheint eine erneute Änderung des Spielplans notwendig zu machen. Die Hofoperndirektion schickt einen Boten zur bettlägrige Ehnn, der diese solange bekniet, doch zu singen, bis selbige aufgrund ihres jugendlichen Pflichtgefühls dem Drängen der Direktion nachgibt und den Abend mit einer gekürzten Partie rettet. Die Gegner Dingelstedts lassen sich diese Chance nicht entgehen, um daraus eine süffisante, aufgebauschte Geschichte zu entwickeln, in der das arme Fräulein Ehnn fast zur Märtyrerin stilisiert wird. Die "eingessenen Hofopernsänger" bekommen aber auch ihren Teil ab: wer 18.000 Gulden (im Jahr) Gage erhält, für den ist ein Landaufenthalt während der Saison ja auch wirklich fast eine Unverfrorenheit.

Nichtsdestotrotz hatte sich der Direktor aber auch noch von der Muse küssen lassen (müssen) und einen Prolog für die Eröffnung des neuen Hauses verfertigt. Allein die Generalintendanz der Hoftheater, an deren Spitze Eligius Freiherr von Münch-Bellinghausen über das Wohlergehen der Hoftheater wachte, war nicht von allen Versen entzückt. Inkriminierende Stellen des Prologs hätten sich sinngemäß zu der Aussage zusammenfassen lassen: "Österreich, besiegt auf allen Gebieten, nur nicht auf dem der Musik." Wahrlich kein Renommee für den Eröffnungs-Prolog eines neuen Opernhauses, vor versammelter staatstragender Gemeinde. Die betreffenden Stellen des Textes wurden gestrichen. (Und Dingelstedt bekam von den Journalisten den einen oder anderen Seitenhieb serviert. ) Wie einige Wochen später bekannt wurde, soll "Fürst Hohenlohe in Person aus dem Prolog gestrichen haben, wahrscheinlich aus Gönnerrücksichten, um ihn [Dingelstedt] vor doppelwendiger, politischer Blamage zu behüten".

Während die Fertigstellung des Hauses voraneilte - so notierte beispielsweise am 6.Mai das Fremden-Blatt: "Im Laufe dieser Tage wird der Deckel an die Lusteröffnung des neuen Opernhauses angebracht und dadurch jedenfalls die Akustik des Hauses verbessert werden. In betreff der Höherlegung des Orchesters wurde noch kein Beschluß gesetzt. Das selbe könnte unbeschadet des Paterres um 6 bis 9 Zoll höher gesetzt werden." - wurden auch die Proben im neuen Hause vermehrt, wobei Dingelstedt darauf drang, selbige möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzuhalten. Der Reiz der Neuheit ist schnell dahin - und dieser Reiz der Neuheit sollte doch ein wesentliches Element des Eröffnungsabends werden, denn ob man mit den Vorbereitungen alles so klar hinbekommen würde, stand noch in den Sternen.

Doch der Kaiser höchstpersönlich schaltete sich in die Probendisposition der Hofoper ein und verfügte eine "Gala-Probe" am 11.Mai für die Vertreter des Reichsrates. Es sollte damit den Parlamentsvertretern noch vor Ende der parlamentarischen Session am 15.Mai und deren Abreise in ihre Heimatländer Gelegenheit geboten werden, das prachtvolle Opernhaus in würdiger Form kennenzulernen. Würdig hieß in diesem Falle eine Probe im Kostüm und eine volle Beleuchtung des Hauses. Das Programm war mit der öffentlichen Probe vom 1. Mai ident. Die Zutrittsberechtigungen für diese "Gala-Vorstellung" wurden über das Innenministerium verteilt; dritte und vierte Galerie blieben geschlossen. Es handelte sich also in der Tat um eine "geschlossene Vorstellung", der aber auch künstlerisches Personal des Hauses beiwohnen durfte. "Normales" Publikum mußte draußen bleiben. Besonders wichtig war Dingelstedt dabei, das "Einschleichen" von Journalisten zu verhindern - die sich dann auch darüber beklagen sollten, dass zwar allerhand Opern-Habitues die Teilnahme an der Probe geglückt wäre, während sie selbst hatten draußen bleiben müssen. (Der eigentliche Eröffnungstermin, der 25. Mai, wurde übrigens erst am 8.Mai definitv publik gemacht!) Im übrigen zeigten sich, so wird kolportiert, die beiden Häuser des Reichstags wenig applausfreudig; nur der Primaballerina Salvoni wurde gehuldigt. Der kaiserliche Hof war der Probe ferngeblieben.

In der Macht des Kaisers lag es aber nicht nur, Proben oder gar Vorstellungen zu erheischen, sondern auch Orden zu verleihen. Die Fertigstellung dieses Prachtbaues, der bei den damaligen österreichischen Verhältnissen wie eine siegreich geschlagene Schlacht erscheinen musste, bot nun reichlich Anlass für entsprechende Auszeichnungen. Die Sängerinnen Ehnn und Wilt wurden zu Kammersängerinnen ernannt. Für Hofmusikdirektor Heinrich Josef Esser (1818-1872) gab es das Ritterkreuz des Franz Josefs Orden, auch die Sänger Joseph Draxler (1813-1891), Johann Nepomuk Beck (1827-1904) und Gustav Walter wurden mit dieser Auszeichnung dekoriert. Der Oberregisseur Schober und der Maschineninspekteur Dreilich durften sich über das goldene Verdienstkreuz freuen. Gehaltserhöhungen gab es für die Hofkapellmeister Dessoff und Proch. Regisseur Steiner wurde mit einer Gratifikation von tausend Gulden in Silber geehrt , usf.... Direktor Dingelstedt aber erhielt den Orden der eisernen Krone dritter Klasse mit Nachsicht der Taxen ! Die kaiserliche Auszeichnungs-Lawine betraf weiters Ministerialräte, Architekten, beteiligte Firmen u.a.m.

Am 20. Mai gewährte der Kaiser seinem dekorierten Hofopernpersonal eine Einzel-Audienz. Wie berichtet wird, hatte der Kaiser für jeden Ausgezeichneten ein gütiges Wort der Anerkennung und "rühmte namentlich Herrn Beck, die machtvolle Größe seiner Gestalten, den Eifer und die noch ungebrochene Stimme, an Herrn Draxler, die ernste Hingebung". Musikdirector Esser, kaum von einer Krankheit genesen, empfing "eine herzliche Beleidsbezeigung". Ganz besonders freundlich nahm der Kaiser den Dank von Frl. Ehnn entgegen und versicherte der jungen Sängerin, daß sie ihm längst der schon erhaltenen Auszeichnung würdig erschienen sei. Mit dem Wunsche, "ihr auf den Brettern des Opernhauses recht oft zu begegnen", verließ der Kaiser die junge Kammersängerin.

Mitten in diese hektische Zeit fällt auch das definitive Engagement von Frau Amalie Friedrich-Materna auf drei Jahre an die Hofoper (es sollte letztlich bis 1894 währen!). Sie war eine wesentliche Verstärkung für das Ensemble der Hofoper. Materna kam vom vorstädtischen Carltheater und hatte bis dato hauptsächlich Operetten gesungen. Sie nutzte ein Gastspiel an der Hofoper, unter anderem als "Fidelio", zum neuen Engagement. Ein Zeitgenosse schilderte ihre Stimme wie folgt: "Mit dieser großen, wohltönenden, etwas dunklen und zu echt dramatischem Ausdrucke vorzüglich geeigneten Sopranstimme, die vom kleinen G bis zum dreigestrichenen C reicht, wird sich bei fortgesetzten Studien sehr viel bewerkstelligen lassen, umsomehr, da dieses prächtige Organ, nirgends angegriffen, noch von Vollkraft und Frische der Jugend strotzt und die begabte Inhaberin desselben viel musikalisches Naturell und Temperament zeigt."

Inzwischen hatte man weiter mit der Höhe des Orchestergrabens experimentiert. Aber als es die Musiker ganz in Ordnung fanden, beschwerten sich die Probenbeiwohner im Paterre, weil sie nur mehr den Oberleib der agierenden Solisten auf der Bühne sehen konnten. Kein Wunder also, wenn beschlossen wurde, das Orchester wieder ein wenig tiefer zu legen.

Dazwischen ärgerten den Direktor wieder Kartenwünsche die Eröffnungsvorstellung betreffend, die zu lästigen Dementies zwangen: "Die Nachricht, daß Herr Direktor v. Dingelstedt sämmtliche Sperrsitze zur Eröffnungs-Vorstellung bereits verkauft habe und Herr Baumeister Hlawka, der einen Sitz zu kaufen wünschte, abgewiesen worden sei, darf als eine absichtliche Täuschung des Blattes, dem sie zur Veröffentlichung mitgetheilt worden ist, bezeichnet werden. (...) Herr v. Dingelstedt hat nämlich nichts mit dem Verkauf von Sitzen zu schaffen, und ein Ersuchen des Herrn Hlawka wegen käuflicher Überlassung eines Billets konnte von der Direktion nicht abgewiesen werden, weil Herr Hlawka überhaupt nicht mit einem solchen Ersuchen bei der Direktion erschienen ist."

Am 19 Mai schließlich berichten die Zeitungen, dass für die erste Vorstellung nur noch ein relativ kleiner Teil der Plätze disponabel. sei. Und nachdem der Wiener Gemeinderath auch die Zufahrt zum neuen Opernhause am Eröffnungstag geregelt hat, konnte wirklich nichts mehr schief gehen...

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