NEUE WIENER HOFOPER 1869
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Die Eröffnung der neuen Hofoper am 25.5. 1869 in Wien.
Ein Diarium.

III. Der Eröffnungsmonat

Nachfolgend nun eine Art "Diarium des Eröffnungsmonats", hauptsächlich zusammengestellt aus den reichlichen Veröffentlichungen der Tagespresse. Denn nur so läßt sich diese hitzige Atmosphäre, dieses Aufkochen wienerischen "Vernaderertums", diese manchmal schon religiös anmutende Kunst-Sinnigkeit, die Wien damals erfasste, am ehesten nachvollziehen.

Folgen wir allerdings diesen Quellen, liegt es auf der Hand, dass nicht immer entschieden werden kann, welcher Sachverhalt nun der sogenannten "historischen Wahrheit" am nächsten kommt. Meinungen und Geschmäcker prallen aufeinander, sichtbar wird nur ein grober roter Faden, der sich in die eine oder andere Richtung ausfasert, ohne dass man seiner ganz habhaft werden könnte. Aber einem Opernfreund damaliger Zeit ist es wohl auch nicht anders ergangen, er las viele Zeitungen, er hatte vielleicht Freunde oder Bekannte, die im Opernhause arbeiteten, er hatte vielleicht sogar einen Draht in die Direktion oder in die Generalintendanz oder gar ins Obersthofmeisteramt. Trotzdem war alles voller Gerüchte, voller unbestätigter Meldungen und voller Überraschungen....

Begonnen werden soll der Ausflug in die Vergangenheit aber mit einer jener Anekdoten, die längst vergessen wären, hätte sie die damalige Tagespresse nicht mit so liebenswürdiger Nonchalance überliefert. Sie ist ganz und gar harmlos, und zeigt den eigentlichen Bauherrn, Kaiser Franz Josef, bei einer Besichtigung des neuen Opernhauses, irgendwann Ende März/Anfang April 1869. Einer von den vielen Bauleuten führt den Kaiser durch die Räume, ist dabei hochgradig nervös, verhaspelt sich andauernd. Sie kommen in ein Zimmer, dessen herrlicher Parkettboden zum Schutz mit Sägespänen bedeckt ist. Seine Majestät sieht diese Sägespäne und fragt nach dem Grund. Der Mann antwortet: "Majestät, es sind nur provisorische Sägespäne." Der Kaiser antwortet: "So, also kommen dann definitive."

Samstag, 1. Mai 1869
Für so manchen Überglücklichen, der sich bereits an einer Eintrittskarte für die Abends um 7 Uhr angesetzte große Probe im neuen Opernhause erfreute, begann der Tag mit einem gehörigen Schrecken. Das "Fremden-Blatt" hatte nämlich in seiner Morgenausgabe nicht nur die Probe groß angekündigt, sondern auch von einem Einspruch der Bauleitung berichtet: "Wie wir nämlich hören, hat gestern in letzter Stunde die Bauleitung gegen die Abhaltung der Probe Protest eingelegt, indem sie erklärte, daß sie jetzt noch keine Verantwortung für Vorfälle in einem in allen Räumen gefüllten Haus übernehmen könne." Der Einspruch wurde zwar durch eine Kommission des Obersthofmeisteramtes rasch ad acta gelegt und die Probe wie vorgesehen angesetzt, trotzdem sorgte dieser Protest der Bauleiter Gugitz und Storck, die ja nach dem Tode der beiden Architekten Van der Nüll und Siccardsburg die Fortführung des Baues übernommen hatten, für einige Aufregung. Zwar mochte es beruhigend sein, dass sich der Leiter der Bauinspection, Herr Ministerialrat Ingenieur Wilt, dem Protest nicht angeschlossen hatte, aber wie man sich erinnerte, hätte der Selbstmord Van der Nülls ja immer wieder zu diversen Spekulationen Anlass gegeben...

Selbiges Obersthofmeisteramt hatte aber schon seit einigen Tagen für die Verteilung der Karten gesorgt, und eine Absage der Probe wäre wohl eine sehr peinliche Angelegenheit gewesen. (Durch diese Regelung war Direktor Dingelstedt, was die Vergabe der Probekarten betraf, aus dem Schneider. Er hatte nur ein Kontingent für Journalisten und die Hauskräfte "anzubringen".) Um diese Karten gab es ein unglaubliches Gerangel. 99 von 100 Leuten wollten welche haben, von den Ministerien über die Hofchargen bis zum künstlerischen und Betriebspersonal. Angeblich griffen einige Herren des technischen Personals sogar zu einem besonders perfiden Mittel, um bessere und mehr Sitzplätze herauszuschlagen. Man erklärte sich einfach für "überanstrengt" und stellte die Anwesenheit am Probenabend in Zweifel, was die Abhaltung dieser Probe, die vornehmlich auch dem Austesten der Beleuchtung und der Ventilation dienen sollte, überhaupt in Frage stellte. Aber das konnte man erst am nächsten Tag in der Zeitung lesen, (auch, dass ein paar Parkettsitze sich als beste Medizin gegen diese Art von Übermüdung erwiesen hätten).

Während es also der Ängstlichkeit der einzelnen Billettbesitzer oblag, sich Sorgen zu machen, ob das neue Opernhaus bei der Probe über ihnen zusammenstürzen würde, hatte das "Fremden-Blatt" in voller Aufdeckermanier eingeflochten, dass gerade diese protesteinlegende Bauleitung, ja auch schon eine Probe im Hause abgehalten habe, und zwar letzten Sonntag abends und zwar ohne Protest. Süffisanter Weise war hinzugefügt worden, dass zu selbiger "Freunde und Bekannte in beträchtlicher Zahl" eingeladen worden waren, was wohl die Neidgefühle aller Zeitgenossen steigern sollte, die bereits im Besitze einer der begehrten Karten befindlich, nun plötzlich hätten ohne Probe dastehen sollen.

Trotz aller möglichen Bedenken war dann abends um sieben Uhr die Oper gerammelt voll. Ja bereits lange vor Probenbeginn hatte eine größere Menschenmenge das neue Haus an der zukünftigen Ringstraße umlagert, um die Anfahrt der illustren Gäste zu bestaunen. Denn da kamen allerhand Erzherzöge, samt Gemahlinnen, König, Kronprinz und die Prinzessin von Hannover, der Herzog und Herzogin von Modena, jede Menge Minister, Diplomaten, Vertreter der Aristokratie und der Finanzwelt, Abgeordnete, Künstler, Schriftsteller, Maler - kurzum, ein ausgewähltes, geladenes Publikum .

Ob es taktisch klug war, den Überraschungseffekt des in voller Beleuchtung erglänzenden Zuschauerraums nicht für die eigentliche Eröffnung aufzusparen, steht auf einem anderen Blatt, aber man darf erwarten, das hier eine ganze Reihe an divergierenden Interessen mitmischte. Der Eindruck, der die Besucher umfing, muß wirklich ein ganz außerordentlicher gewesen sein, wobei man hinzufügen muss, das ein Theater mit solchen Dimensionen, in Wien bis dahin ja unbekannt gewesen war. Und man darf annehmen, dass den Besuchern des "feenhaft" erstrahlenden Hauses , die "Ahhs" und "Ohhs" nur so aus der Kehle schlüpften. Gegen halb acht begann dann der erste Teil der Probe, der das festlich gestimmte Auditorium ob seiner Profanheit ein wenig schockiert haben mag. Aber eine Probe ist eben etwas anderes, als eine richtige Aufführung. Direktor Dingelstedt und Ballettmeister Teíle nahmen an einem auf der Bühne aufgestellten Tischchen Platz, und es konnte beginnen. Das Orchester unter der Leitung von Hofkapellmeister Heinrich Proch (1809-1878) spielte die Ouvertüre zu "Nordstern" von Giacomo Meyerbeer ("L'Étoile du nord", UA 1854). Während das Orchester spielte, trat die akustische Kommission in Aktion und überprüfte den Klang an verschiedenen Stellen des Hauses. Das Resultat war nicht befriedigend:

"Die fachmännische Kommission - nebenbei bemerkt auch die Laien - gewannen die Ueberzeugung, daß das Orchester in der gegenwärtigen Anordnung den Erwartungen nicht entspreche und nicht befriedigend klinge. Es wurde auch sofort beschlossen, das zu tief liegende Orchester heben zu lassen und ein anderes Placement der ausübenden Künstler vorzunehmen, da weder die Bläser, noch die Violinisten sich an ihrem Platze befinden."

"Das Orchester ist entweder zu schwach oder schlecht postiert (die Herren sollen zu tief sitzen): die Streichinstrumente sind vollständig erdrückt, man muß sich sehr anstrengen, um sie herauszuhören. Alles dies vom Parquet aus, (...)"

Der zweite Teil der Probe galt einem Akt aus "Martha" (Friedrich von Flotow, UA 1847). Hier zeigte sich, dass die Solostimmen besser klangen als der Chor, dem von unterschiedlicher Seite ein unangenehmes Hallen attestiert wurde - mit der Forderung nach einer Verstärkung. Gesungen wurde übrigens ohne Kostüme in "Straßenkleidung", was im Nachhinein einige Proteste auslöste. Dem Opernfragment folgte ein Akt aus dem Ballett "Fiamella", auch hier wieder ohne Kostüme, wobei die "freizügige Probengarderobe" der weiblichen Tänzerinnen so manches männliche Besucherauge entzückte: denn sie trugen Trikots mit Dekolleté und bloßen Armen, kurze Röcke, Hosen. Das Publikum war in seinen Beifallsbezeugungen insgesamt eher zurückhaltend. Für große Heiterkeit sorgte allerdings eine Katze, die während des Balletts unvermittelt über die Bühne schnurrte . Fazit: "Die Stimmen klingen gut im neuen Hause, aber die Beine wirken noch mehr!"

Sonntag, 2. Mai 1869

Wer an diesem Sonntagmorgen das "Neue Fremden-Batt" aufschlug, konnte dortselbst nachstehende Erklärung lesen:

"Die Bauleitung des neuen Operntheaters, bestehend aus Gugitz und Storck, hat erst vorgestern auf privatem Wege in Erfahrung gebracht, daß im neuen Operntheater am 1. Mai eine Probe bei ganz vollem Hause stattfinden solle. Da die Galerien noch niemals der vollständigen und vorgeschriebenen Probebelastung unterzogen wurden, die Beleuchtung des Auditoriums noch nicht reguliert werden konnte und gleich den noch nie in vollem Betrieb gewesenen Ventilationsvorrichtungen der unerläßlichen Justierung bedarf, so hat die gefertigte Bauleitung den Herrn Hofrath Edlen v. Matzinger als Referenten des Theater-Baucomités darauf aufmerksam gemacht, daß eine kommissionelle Begehung vor Füllung des Hauses erforderlich wäre und daß ein Urtheil über die erwähnten Einrichtungen erst nach völliger Vollendung und geordneter Betriebsetzung statthaft sei. Hierauf wurde, um die bereits festgesetzte Probe in keiner Weise zu behindern, von der gefertigten Bauleitung sofort die Zusammenberufung der fachmännischen Regelungskommission veranlaßt, und hat die Bauleitung unter persönlicher Intervention bis spät in die Nacht die Arbeiten forcieren lassen, welche zur Ermöglichung der vollen Beleuchtung und der Benützung des Zuschauerraumes noch unerläßlich waren. Dahin ist der im "Fremden-Blatt" vom 1. Mai erwähnte, gegen den Besuch des Hauses Verwahrung einlegende Protest und die Bemerkung über "persönliche Rancune" der beiden Bauleiter zu berichtigen. Daß sich der Leiter der Bauinspection, Herr Ministerialrath Ingenieur Wilt, an dem angeblichen Proteste nicht betheiligte, hat seinen Grund darin, daß die gemachte Vorstellung in den Ressort der Bauleitung gehörte. Die Mitglieder der Bauleitung wurden, wie aus obiger Darstellung hervorgeht, den sich auf die Probe vom 1. Mai beziehenden Sitzungen nicht beigezogen, und was die am Sonntag den 25. April von der Bauleitung - angeblich "für ihre Bekannten" -veranstaltete Probebeleuchtung betrifft, so muß bemerkt werden, daß es sich an jenem Abende blos um die von dem Baucomité durch die Bauleitung veranlaßte Beleuchtung zur Beurtheilung des Effektes handelte. Gustav Gugitz, Joseph Storck, Architekten."

Ein anderes Blatt sprang ebenfalls rasch den beiden Architekten zur Seite und vermutete in Herrn Ingenieur Wilt den eigentlichen Übeltäter. Und überhaupt sei Gugitz und Storck gar nichts anderes übrig geblieben, als zumindest formal zu protestieren, weil - und das sei gleich nochmal im Originalton wiedergegeben - die Genehmigung der Baupolizei noch gar nicht vorlag: "Das neue Opernhaus wurde dem Publikum geöffnet, bevor die Baupolizei dasselbe für gebrauchsfähig erklärt hatte." Auch was die angesprochene Probebeleuchtung der Bauleitung betrifft erfährt man, dass hier eigentlich nur an eine Studienprobe mit etwa 50 maßgebende Personen (etwa vom Baukommitee) gedacht war, eine Summe, die sich dann durch Mitnahme von Verwandten und Bekannten auf rund 500 verzehnfachte.

Zusammenfassend lässt sich anmerken, dass zum Zeitpunkt dieser ersten öffentlichen Probe das Haus noch nicht "offiziell" dem Direktor bzw. dem Obersthofmeisteramt übergeben worden war - das heißt, die Verantwortung für eventuell zu Tage tretende Gebrechen lag noch voll bei der Bauleitung. Außerdem war das Haus schlichtweg noch nicht fertiggestellt. So dürften beispielsweise bei den Toiletten die inneren Türschnallen noch gefehlt haben, was auch just zu einer hüschen, pointiert kolportieren Geschichte führte...

Kaum hatte sich die Erregung in Sachen Bauleitungs-Protest gelegt, begann nach der Probe der Streit zwischen den Akustikexperten. Kapellmeister Otto Dessoff verfasste am zweiten Mai ein Memorandum, mit Vorschlägen zur Erhöhung des Orchesterbodens, dass sich auf die Hörergebnisse der vortägigen Probe bezog. Der Brief, den Marcel Prawy in seinem 1969 erschienen Buch zum 100-Jahr-Jubiläum der Staatsoper abgedruckt hat, spricht von einem dumpfen Klang, dünnen ersten Violinen, und einem "Überwuchern des Blechklanges", dem er mit räumlichen Umplatzierungen in der Instrumentengruppierung zu Leibe rücken wollte."Dessof schlägt eine Erhöhung des Orchesterbodens um 9 Zoll vor." Die Probe hatte außerdem gezeigt, dass der Dirigent, der damals ja noch direkt vor der Bühne stand, das Orchester im Rücken, den Sängern ihre Einsätze nur im Stehen geben konnte.

Ob diese Diskussion, die schon vor dem 1. Mai die Runde gemacht hatte, berechtigt war oder nicht, ist aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar. Die Boshaftigkeit, mit der sie geführt wurde, überrascht den Kenner Wiener Verhältnisse freilich nicht. So gab es unter anderem eine sehr spitzfindige Erklärung dafür, wieso der Orchesterboden so tief gelegt worden war. Demnach sei Marie Wilt (1834-1891), Kammersängerin und Primadonna der Hofoper, in Sorge gewesen, ein zu hoch positioniertes Orchester könne ihre Stimme "drücken". Was lag näher, als daß sie sich an ihren Gemahl, eben jener in der "Rancune" genannte Leiter der Bauinspection, mit der Bitte wandte, hier ein wenig nachzuhelfen.

In Summe kommt man, was diese noch lange nicht abreißende Akustik-Debatte betrifft, zu folgendem nüchternen Befund: Die Dimensionen des Hauses waren für Wiener Verhältnisse ungewohnt und deshalb gewöhnungsbedürftig. Es gab wirklich Bereiche mit schlechter Akustik, wobei hier vor allen der dritte Rang zu nennen ist, der sehr nieder gebaut, den Ton effektiv "drückte" . (Ein Phänomen, daß sich auf den "Balkon" des heutigen Opernhauses, der in etwa diesem dritten Rang des alten Hauses entspricht, vererbt hat.) Es mußte die optimale Anordnung der einzelnen Instrumentengruppen im Orchestergraben erst gefunden werden - und es war wichtig, einzelne Instrumentengruppen zu verstärken. Dass diese neue Oper prädestiniert für damals "zeitgenössische" Werke war, mit "moderner Instrumentation", zeigte sich schon bald im Rahmen des sich Stück um Stück vermehrenden Repertoires - für einen intimen Mozartklang war es einfach überdimensioniert. Die Wiener Ohren, geschult an der kleinen, familiären Räumlichkeit des Kärtnertortheaters, mußten erst lernen, mit diesen neuen Klangwelten umzugehen. Im Grunde genommen hat Direktor Dingelstedt dann ja auch das richtige Rezept gefunden: indem er einfach das Orchester und den Chor verstärkte . Und dass die Sänger mehr die Rampe suchten, ist auch nicht gerade verwunderlich.

Montag, 3. Mai
Es interessant, dass am 3. Mai, also knappe drei Wochen vor der wirklichen Eröffnung, der Eröffnungstermin noch nicht offiziell bekannt gegeben worden war. Man mußte sich hier ganz auf Gerüchte und die sprichwörtlich gut informierten Kreise verlassen. Jetzt, Anfang Mai, kursierten zwei Termine, nämlich der 23. Mai und der 18. Mai, letzterer "als Nachfeier des Namensfestes Ihrer kaiserlichen Hoheit der Frau Erzherzogin Sophie" . Als Eröffnungsoper wird neben "Don Juan" auch Glucks "Armida" genannt, dabei soll der "Don Juan" schon seit Monaten als Eröffnungsvorstellung feststehen. Lange Zeit hatte man auch "Die Zauberflöte" favorisiert. Auch von den "Meistersingern" war einmal die Rede gewesen. Doch es ging dabei noch um mehr. Abgesehen von der Eröffnungsoper an sich wurde von einigen Seiten auch ein klares Bekenntnis für ein "deutsches Operntheater" eingefordert, dass vornehmlich gegen Werke von italienischen und französischen Komponisten seine Stellung zu behaupten habe.

Was sich außerdem langsam herauskonkretisierte, waren die teuren Eintrittspreise für den Eröffnungsabend: 100 Gulden für eine Loge, 25 Gulden für einen Sitz im Parkett, das war nicht ohne. Das sicherte auf der einen Seite der Eröffnung eine wahrhaft illustre Gesellschaft, und das sollte auf der anderen Seite der "Agiotage" den Wind aus den Segeln nehmen. Und all jene, die sich erhofft hatten, durch den Weiterverkauf von Eintrittskarten für die Eröffnung zu profitieren, wird schon jetzt der Schweiß auf die Stirn getreten sein. Es muss hier festgehalten werden, dass die Zwischenhändler von Theaterkarten im Wien des 19. Jahrhunderts einen enormen Aufschwung genommen hatten. Denn während die Stadtbevölkerung rasant anstieg und die Nachfrage nach Theaterkarten ebenso, blieb sich die Zahl der Theater über viele Jahrzehnte gleich. So musste man für begehrte, weil möglicherweise interessante Vorstellungen, das fünf bis zehnfache an diese Zwischenhändler zahlen, um Karten zu bekommen. Die hohen Eintrittspreise blieben natürlich nicht ohne Widerspruch: "Wer wird bei solchen Eintrittspreisen in's Theater gehen? Offenbar nur derjenige, der sie bezahlen kann. Nichts ist natürlicher. Wer kann sie aber bezahlen? O, sehr einfach, die Leute auf der Börse, die in einer Viertelstunde zehntausend Gulden gewinnen!" ätzte das Vaterland am 11.Mai 1869.

Auch für die erste Ballettpremiere Anfang Juni im neuen Hause wurde inzwischen schon fleißig geprobt. Paul Taglioni (1808-1884), aus der berühmten Taglioni'schen Tänzerfamilie stammend und Ballettdirektor des kgl. Hoftheaters in Berlin, war erst vor wenigen Tagen höchstpersönlich angereist, um sein Ballett "Sardanapal" in Szene zusetzen. Taglioni kam täglich brav auf die Probe, und arbeitete fleißig an seinem Ballett, dem schon von Berlin her, dem Orte der Uraufführung, ein gewisser "sündhafter Ruf" vorausgeeilt war. Das Ballett war ja so ein Liebkind mancher, dem Hofe nahestehender Persönlichkeiten, die sich oft um das Theater wenig, dafür um einzelne Tänzerinnen umso mehr verdient machten. Der Versuch Liebschaften bei der Direktion zu protegieren, war eine seit langem geübte Tugend. Taglioni, tanzbesessen und ein wahrhafter Meister, wußte die Protektionskinder natürlich sehr schnell herauszupicken - und es mag wieder eine dieser bösartigen Nachreden sein, die vermeldet, dass er, eben wieder zornentbrannt verzweifelt über so ein Protektionskind zum Direktor Dingelstedt stürzend, nachstehendes zu hören bekam: "Mein Lieber, die müssen wir beschäftigen - ich spiele nicht um meinen Kopf!" Offensichtlich hat sich Taglioni dann aber doch durchgesetzt: "Sardanapal" wurde ein großer Erfolg, der noch viele Jahre am Spielplan stehen sollte.
©Dominik Troger

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