NEUE WIENER HOFOPER 1869
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Kapitelübersicht

Die Eröffnung der neuen Hofoper am 25.5. 1869 in Wien.
Ein Diarium.

II. Der Direktor

War Franz Freiherr von Dingelstedt (1814-1881) ein Opportunist? Als Wiener Operndirektor muss man das wohl sein, bei Dingelstedt war die Sachlage allerdings etwas prekärer. Der aus Hessen stammende Dingelstedt hatte Philosophie und Theologie studiert, einen Doktortitel erworben, und seine Karriere als Gymnasiallehrer begonnen. Sein liberal gefärbtes Schriftstellertum (gerne zitiert wird er als Herausgeber der Schrift "Lied eines kosmopolitischen Nachtwächters") ließ ihn dann unfreiwillig seines Gymnasialberufes verlustig gehen. 1851 wurde er Intendant am Hof- und Nationaltheater in München. 1856 wurde er dort hinausintrigiert, um dann nach Weimar zu gehen. Das heißt - angeblich ließ er sich gegenüber der verwitweten Königin von Baiern zu einem liberalen "Ausbruch" hinreißen, der ihm in München zwar nicht Kopf und Kragen, dafür aber seinen Job kostete. Es ist auch interessant, dass sich Dingelstedt in Folge vehement um einen Adelstitel bemühte - den er dann, über den Weimarer-Umweg, aus München(!) heimholte. Dingelstedt hatte außerdem schriftstellerisch gegen die "Hoftheater" polemisiert, und sie als "überlebt" gebrandmarkt , um doch - ohne mit der Wimper zu zucken - viele Jahre seines Lebens an solchen in leitender Funktion zuzubringen.

Kein Wunder also, wenn die Journaille sich gerne den Mund darüber zeriss, dass Dingelstedt den maßgeblichen Persönlichkeiten so pflichtbewusst seine Honneurs mache und dabei angeblich darauf vergesse, für die Grundbedürfnisse seines Hauses zu sorgen. Allerdings schützte den Direktor sein mehr ironisch-zynischer Bezug zum Opernbetrieb davor, klein beizugeben. Und so trug er sein "Schicksal" mit Charakter und ohne von seinem einmal eingeschlagenen Weg abzuweichen. Dabei war sicher auch hilfreich, dass Dingelstedt mit einer Opernsängerin, Jenny Lutzer, verheiratet war, und dass er die Oper überhaupt angeblich als "notwendiges Übel" apostrophierte . Eduard Hanslick gibt in seiner 1894 erschienenen Autobiographie folgende Version dieses Zitates wieder: " 'Theater sind ein notwendiges Übel', pflegte Dingelstedt zu sagen, ‚Konzerte ein unnötiges.' " (1)

In Wien hatte Dingelstedt zwar vor allem ein Auge auf das Hofburgtheater geworfen, musste aber zuerst mit der Hofoper Vorlieb nehmen. Hier galt es, vor allem die organisatorischen Fäden zu ziehen, und die Übersiedlung ins neue Haus sowie den Aufbau des Spielplans entsprechend zu managen. Der Fundus des Kärtnertortheaters konnte aufgrund der großen baulichen Unterschiede zum neuen Haus nicht übernommen werden. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass auch nach der Eröffnung des Hauses am Ring der Betrieb im alten Kärtnertortheater noch viele Monate lang weiterlief und die Hofoper fast ein Jahr lang zwei Häuser bespielte!

Dingelstedt trat sein Amt 1867 an - und hatte von Anbeginn nicht nur mit diesen großen strategischen Zielvorgaben zu kämpfen: denn die Journalisten mochten ihn nicht (wobei man da nie weiß, was in Wien zuerst da ist, ein neuer Operndirektor oder eine schlechte Presse), das Publikum mochte ihn sehr bald auch nicht, gegen Hof-Intrigen musste man sich immer vorsehen, und die administrativen Tagesaktualitäten wie außertourliche Kartenwünsche, unpässliche SängerInnen etc. zerrten ohnehin beständig an den Nerven. Letztlich wurde er 1870, nachdem das Eröffnungswerk soweit vollbracht war, unter persönlichem Einsatz von Kaiser Franz Joseph ans Hofburgtheater "übersiedelt", mit einem hohen Salär von 8.000 Gulden/Jahr. Dort gelang es ihm dann auch, Akzente zu setzen und, 1881 noch immer im Amte, zu verscheiden.

Beschrieben wird er als "künstlerischer Kavalier", als "ironisch überlegen, boshaft elegant", als "Grandseigneur" . In seinem Nachruf auf Dingelstedt hat Ludwig Speidel, Feuilleton-Chef der Neuen Freien Presse, notiert: "Wer Dingelstedt's Namen nennt, ruft ein Bild hervor, das mit keinem anderen zu verwechseln ist. Ich bin ich, durfte er dreist zu und von sich sagen, ohne sich der Gefahr, bestritten zu werden, auszusetzen. Ob mit solcher Anerkennung Hochachtung und Bewunderung Hand in Hand gehen, das ist freilich eine andere Frage." Dazu passt auch gut, was über Dingelstedt's Begegnung mit erbostem Publikum berichtet wird: "Er stand fest wie ein Fels im brandenden Meer, (...) als es ihm zu arg wurde, drohte er mit Polizei, und gab Versicherung er sei nicht taub."

Speidel's Anmerkungen zu Dingelstedt schärfen auch den Blick für die seltsame Verquickung eines früheren "Freiheitsdichters" mit einem "treuen Diener jedes Herrn" - wie Speidel in Anlehnung an Grillparzers Lustspiel salopp formuliert - "mit dem stillschweigenden Vorbehalte kleiner innerer Treulosigkeiten, die doch wieder mit seiner ursprünglich angesprochenen Gesinnung zusammenhängen (...) sein Gewissen blieb wach." Wenn er also seine Vergangenheit nie verleugnet hat, so hat er andererseits doch eine ganz schöne Karriere hingelegt - und das bot für seine Gegner einen guten Reibebaum.

Als Wiener Operndirektor war er jedenfalls immer für ein Bonmot gut - und einige werden hier nach 130 Jahren erstmals wieder präsentiert. Speidel, um ihn noch einmal zu zitieren, ist bei der Würdigung der Leistung Dingelstedt's als Hofoperndirektor eher zurückhaltend: "Hier hatte er zunächst die Übersiedlung der Oper vom alten Hause in das neue zu leiten, was ihm wenig Mühe machte, da die Dekorationen fertig, die künstlerischen Kräfte vorhanden und ihm nacheinander zwei vorzügliche Kapellmeister zur Hand waren." Dingelstedt habe es sich dann aber im geräumigen Haus der neuen Hofoper durchaus gut eingerichtet und wäre mit Wehmut geschieden, vor allem vom Ballett.

Zu Dingelstedt's inzwischen anerkannten Leistungen am neuen Hause zählen vor allem die Reorganisation und die Erweiterung des Chores sowie die Vergrößerung des Orchesters und des Balletts . (Weil man gute Choristen, Musikern und Tänzer ja auch nicht so einfach aus dem Hut zaubern kann, soll Dingelstedt massive Abwerbemaßnahmen bei anderen Theatern betrieben haben. ) Aber er war im wesentlichen ein Direktor des Übergangs. Aus heutiger Sicht ist mit Dingelstedts Namen vor allem die Eröffnung des neuen Hauses am 25. Mai 1869 und die Wiener Erstaufführung von Wagner's "Meistersinger" am 27. Februar 1870 verknüpft. Und er wird meist als Mann des "üppigen Ausstattungstheaters" im "Farbenprunk Makarts" apostrophiert.

Und zum Abschluss dieses Kapitels über den ersten Direktor am neuen Hofopernhaus noch ein geflügeltes Wort Dingelstedt's, das auch Eduard Hanslick überliefert hat: "Sie glauben gar nicht, wieviel Lob ich vertragen kann."

(1) Ein Ausspruch, der in der neueren Literatur praktisch überall zitiert wird, meist in der verkürzten Form der Oper als "notwendiges Übel". Das ganze Zitat heißt angeblich: "Das Konzert ist ein überflüssiges, die Oper wenigstens ein notwendiges Übel." (Mindestens ebenso gern und oft wird das "Königgrätz der Baukunst" als abwertende Bezeichnung für das neue Opernhaus am Ring apostrophiert, das der Th. gezeichnete Kommentar in der Neuen Freien Presse zur Hauseröffnung am 26.5.1869 zitiert.) Es ist jetzt natürlich die Frage, was Dingelstedt wirklich gesagt hat. Hanslick war immerhin Zeitgenosse! Interessant jedenfalls, wie solch ein Zitat fast zur "kanonischen" Beschreibung Dingelstedt's als Hofoperndirektor avanciert! Zum Beispiel: Franz Hadamowsky notiert in seiner Wiener Theatergeschichte betreffend Dingelstedt: "Von Musik verstand er nichts; die Oper war für ihn ein ‚notwendiges Übel' "

©Dominik Troger

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