WIENER HOFOPER 1881-1897
|
|
Home |
Wiener Hofoper 1881-1897 Zum 100. Todestag von Hugo Wolf (1860-1903) - Teil 2 Hugo Wolf war Mitte der 1880er Jahre für das Wiener Salonblatt als Musikkritiker tätig. Wolf beschrieb in ihnen sowohl Konzertbesuche als auch Opernaufführungen. Besprochen werden nachstehend u.a. Aufführungen, von „Lohengrin“, „Tristan und Isolde“, „Tannhäuser“, „Meistersinger von Nürnberg“.
»Der Barbier von Sevilla«. Frau L'Allemand gab die Rosine. Anfänglich glaubten wir, eine Puppe vor uns zu haben. In der Mittellage beginnend, klang ihre Stimme wie die eines quiekenden Kindes. Gar bald aber trat zugunsten der Sängerin eine unerwartete Wendung ein. So wie Frau L'Allemand den höheren Regionen der Töne zusteuerte, gewann ihre Stimme an Intensität, Schärfe und auch ein weniges an Wohllaut. Sie ist Virtuosin im Koloraturgesange; leider aber ist sich Frau L'Allemand ihrer Virtuosität nur zu sehr bewußt. Nie läßt sie sich die Gelegenheit entwischen, ihre Künstelei wohl oder übel anzubringen. Da wird jede Pause, jede Fermate benutzt, Kadenzen, Triller, Rouladen usw. einzulegen. Koloratur, wohin man sieht, wohin man hört, wohin man greift. - Ein beharrlicher Landregen im Gebirge hat etwas Schreckliches, Furchtbares, Zerstörendes. Er erzeugt im Menschen Unlust, Ungeduld, Melancholie. Man wird zum Misanthropen, zum Pessimisten, zum Menschenfresser. Man beginnt dem Teufel mehr Aufmerksamkeit zu erweisen, als es für einen Gentleman schlechterdings schicklich ist, denn man flucht in allen möglichen Tonarten, - die aus dem F eignet sich allerdings am besten. Man flucht in volkstümlichen, in gelehrten Flüchen; man ergeht sich hierbei in Zitaten oder verläßt sich auf eigene Eingebungen, wobei es einem freisteht, in kurzen Aphorismen oder in breiten Bildern und Gleichnissen zu fluchen. Der mehrerer Sprachen Kundige genießt nebstdem noch den Vorteil, durch Übersetzen eines und desselben Fluches in das italienische, spanische, englische, französische, türkische, holländische (obwohl die letzteren wegen ihres bekannten Phlegmas mit der Teufelgrammatik auf keinem besonders vertrauten Fuße leben) seinen Unmut sechsmal sich vom Leibe zu fluchen. Oder auch, man beschäftigt sich unter solchen Umständen aus purer Verzweiflung über Langeweile mit Dichten oder Komponieren, wohl auch mit beidem zugleich. Aber so groß, so bedeutend, so monumental Herr Richard Kralik in seinen Augen auch dastehen mag, ich fürchte, daß seine dichterische Phantasie doch gar zu lange unter Wasser geblieben, daß die einschläfernde Wirkung eines nimmermüden Landregens sich doch gar zu treulich in seinen »Verselein« abspiegelt, daß somit auch seine Aussichten: Hafis, Pindar und Walter von der Vogelweide gleichzukommen oder ihnen gar eins vorzutun, leider zu Wasser werden müssen. - Wenn schon nach anhaltender Dürre ein tüchtiger Regen fruchtbringend sein kann, ist doch bei allzu großer Geschäftigkeit des flüssigen Elementes ebenso leicht das Gegenteil zu befürchten. Nun gebe ich gerne zu, daß die sogenannte poetische Ader des Herrn Kralik recht sehr an Dürre und Trockenheit leidet, eine ganz natürliche Erscheinung, daran wir nichts auszusetzen finden; um so schmerzlicher muß es aber jeden gefühlvollen Menschen und an solche appelliert wohl das »Büchlein der Unwesenheit« berühren, wenn eine so geordnete Natur, wie die des Herrn Kralik, auf das Barometer seiner Stimmungen so schlecht sich versteht, - um, den geeigneten Augenblick zu einem vielleicht halbwegs erträglichen Produzieren verpassend, erst dann die Flügel seiner lieblichen Dichterseele auszuspannen, wenn sie unter der Wucht der verzweifeltsten Langeweile zusammenschrumpfen müssen und hierdurch den unförmigen Stümpfen der Pinguine nicht unähnlich werden. Ach, welche Verbrechen, welche Gräuel hat ein Landregen in der Einsamkeit nicht auf dem Gewissen! Wie bringt er den Menschen herab, wie entstellt er ihn.- Aber (und das wollt ich eigentlich nur sagen) ich will lieber mit dem Teufel einen Pakt eingehen oder mich zeitlebens unter die Traufe stellen, als einen ganzen Opernabend hindurch Koloraturen anhören. So graziös, so anmutig sie aus der Kehle der Frau L'Allemand hervorquellen mögen, auf die Dauer bekommt mans satt. Hingegen spielt Frau L'Allemand allerliebst, und als Rosine wußte sie so schelmisch und kokett mit den Blicken herumzuwerfen, dem eifersüchtigen Bartolo so unschuldsvoll und dabei doch spitzbübisch in die Augen zu schauen, daß es nur eine Freude war. Ausgezeichnet, wie in allen komischen Partien, war Herr Mayerhofer (Dr. Bartolo). Sein würdiger Bundesgenosse Basilio (Herr Reichenberg) war bei einer fast üppigen Laune. Respekt vor seiner Leistung. Herr Horwitz hat kein Talent zur Komik, daher sein Figaro ziemlich frostig ausfiel. In der »Regimentstochter«
sang Frau L'Allemand die Marie mit derselben Bravour, wie vorher die
Rosine im »Barbier«. Wiederum war es ihre Darstellung,
namentlich ihr Mienenspiel, das mir an der Leistung des Gastes als
das beachtenswerteste däuchte. Die rauhe Herzlichkeit des Sergeanten
Sulpice fand in dem Vortrage des Herrn Reichenberg ein gutes. Echo.
Auch Herr Schittenhelm (Schweizer) fand sich mit seiner Rolle gut
ab. Schließlich sei dem 2. Regimente für seine stramme
Haltung dem wehrlosen Schweizer gegenüber noch ein summarisches
Lob gespendet. In »Mignon « verabschiedete sich Frau L'Alle
mand von unserem Publikum. Eine glücklichere Wahl, als die Rolle
der Philine, hätte L'Allemand kaum treffen können. Wie reizend
sah sie aus, wie kokett! Ist die Philine unter den übrigen krüppelhaften
Figuren des schauderhaften Sujets die einzig-natürliche, so war
sie uns infolge der vortrefflichen Darstellung der Frau L'Allemand
geradezu tröstlich. Die Leistungen unseres Sängerpersonales
in dieser Oper sind dem Publikum ohnehin bekannt. 15. März 1885 »Tannhäuser« von Richard Wagner. Frau Papier sang zum ersten Male die Elisabeth und wie wir gleich hinzufügen wollen, mit großem Erfolg. Die Vorzüge, aber auch die Schwächen dieser so sehr begabten Sängerin traten, traten diesmal deutlicher denn je hervor, sie hielten sich sozusagen die Wage, so weit überhaupt ein Kompromiß zwischen dem einerseitigen Hervortreten des gesanglichen und dem anderseitigen Zurückbleiben des mimischen Ausdruckes als möglich angesehen werden kann,- ohne einen unbefriedigenden Eindruck auf den Zuschauer zu hinterlassen. Ein bemerkenswerter Übelstand dünkte uns die ganz wunderliche Zerstreutheit in Blick und Miene, in die Frau Papier bei der ergreifendsten Wiedergabe des musikalischen Ausdruckes zuweilen verfiel. Wir müssen darin einen fühlbaren Mangel an schauspielerischer Befähigung erkennen. So sehr Frau Papier ihre Rolle musikalisch beherrscht, so unsicher trat sie derselben als Darstellerin entgegen. Mit geschlossenem Auge ihrem Gesange folgend wird Frau Papier auf jeden Zuhörer überzeugend wirken. So aber meint man mitunter nur eine Komödie zu erleben. Da wir in der Oper nun einmal den Sänger von dem Schauspieler nicht zu trennen vermögen, dem ersteren vor dem letzteren aber nicht den allergeringsten Vorrang einräumen, schöne, volle, üppige lockenhelle, kristallreine Stimmen (und wie man sie sonst noch zu nennen pflegt) für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Opernsängers nur in zweiter Linie gelten lassen können: so darf nur derjenige Ansprüche auf Vollkommenheit erheben, dem die Kunst des Vortrages in demselben Maße zu eigen geworden, als die der Darstellung. Nicht, daß wir gegen schöne Stimmen eingenommen wären - - o ganz im Gegenteile, sobald diese schöne Stimme als Mittel gebraucht wird, den musikalischen Ausdruck zu erhöhen oder ihm ein bestimmtes Kolorit zu verleihen. Gemeinhin gilt aber die schöne Stimme als die Hauptsache. Das nun heißt: ein Mittel zum Zwecke machen. Von diesem verkehrten Standpunkte ausgehend, beurteilt nun das Publikum und nicht minder die Kritik den Singsang des Herrn Sommer. Noch immer gilt ihnen eine schöne Stimme mehr als ein schöner Gesang. Und doch, wie tief steht das Verdienst des Herrn Sommer unter den soviel wie ignorierten Leistungen des Herrn Lay. Herr Lay besitzt Humor genug, in der beliebten Trinkszene im Vampyr über seine Stimme zu spotten, wenn er sagt: »Ich singe auch, aber nicht immer schön.« Wollte doch Herr Sommer nur annähernd so schön singen und hätte er auch noch im übrigen die Verdienste des letztgenannten; ich weiß es so gut, als der und jener, daß die Stimme des Herrn Lay mit der des Herrn Sommer in gar keinen Vergleich zu bringen ist; aber was Herr Lay singt, erhält sein charakteristisches Gepräge, und darin ist das eine Hauptverdienst des Opernsängers zu suchen. Frl. Schläger (Venus) überraschte uns diesmal in einem Phantasiekostüme, an dem wir aber leider etwas. auszusetzen haben. Der Schlitz auf der einen Seite ihres Kleides möge zugenäht werden. - Zu so unwürdigen Künsten kann eine verwelkte, Buhlerin greifen, um einen entnervten Lebemann zu reizen - einer Venus ziemen sie nicht. Auch ist Venus nicht die Göttin der Unkeuschheit, sondern der Liebe. Herrn Winkelmanns gelungenste Rolle ist ganz entschieden der Tannhäuser. Nur einige Worte über sein zu eifriges Spiel nach der Verwandlung im ersten Akte, das mir nicht gefiel. Im höchsten Erstaunen überkömmt den Menschen eine Art Erstarrung. Herr Winkelmann hat dies wohl begriffen, denn er blieb längere Zeit wie angewurzelt in verzückter Stellung. Aber war es geboten, einmal über das andere Mal die Hände in Bewegung zu setzen, um Rührung, freudiges Erstaunen auszudrücken, gibt es nur Hände, innere Vorgänge auszudrücken? und das Auge? die Mienen? die Haltung des Körpers überhaupt? Ein zaghafter, energischer, lebhafter, zaudernder Schritt nach vor-, nach rückwärts, zur Seite usf., kann er das konventionelle Händeringen nicht überflüssig machen oder doch einschränken? Da wußte sich Herr Schittenhelm, der diesmal den Walter sang, besser zu behelfen., Mit heiterer oder düsterer Miene folgte er dem Sängerkriege. Gewöhnlich lächelte er schelmisch wie die Aprilsonne, aber oft, wie gesagt, sah er auch dräuend wie gewitterschwangere Wolken der Entwicklung zu. Der ganze Sängerkrieg malte sich in seinen Mienen ab, was um so mehr sagen will, da Herr Schittenhelm nicht nur für sich., sondern auch für seine, Kollegen spielte. Der Himmel allein weiß es, ob ein Genie in Herrn Schittenhelm steckt. Margarethe (Faust) von Gounod. Herr Baer vom Hoftheater in Darmstadt debutierte auf unserer Hofbühne als Faust. Der konventionelle Operntenor, nicht gut, nicht schlecht, »anständig «. In seinem phantastischen Werke »La damnation de Faust« läßt Berlioz den Helden der Legende in Ungarn, an den Ufern der Donau, verweilen - dem Rakoczy.Marsch zuliebe den Berlioz bekanntlich - oder den Herren Philharmonikern und ihrem Dirigenten auch nicht bekanntlich, in seiner genialen Art ausgearbeitet und instrumentiert und schließlich in seine Verdammung Fausts aufgenommen. Die Textverfasser der »Margarethe« konnten, da sie sich gewiß recht streng an die aristotelischen Einheitsregeln hielten, einen ähnlichen Luxus wie Berlioz sich nicht erlauben. Hingegen gelang Herrn Baer , was der besseren Einsicht der Herren Textverfasser als unstatthaft erscheinen mußte. Er klebte sich, allerdings nicht in der Absicht mit dem Einfall Berlioz' zu konkurrieren, einen wohlgewichsten, martialischen Schnurrbart unter die Nase, wodurch sein Aussehen dem eines Panduren nicht unähnlich ward. Ein Umstand, der die Textverfasser sowohl, als den Komponisten der Margarethe ziemlich ungerührt lassen dürfte, während uns Deutschen solche »Pikanterien « einigen Spaß macht. 29. Marz 1885 Ein jeder Opernsänger, der sich anschickt, auf fremden Bühnen zu gastieren, möge wohl bedenken, daß er sich in ein feindliches Lager begibt, daß er demjenigen Sänger, dessen Rollen er (der Gast) zu seinem Debüt erwählt, notwendigerweise den Krieg erklärt. Ich sage notwendigerweise, weil die wenigen Ausnahmen unter denjenigen Sängern und Komödianten, deren Charakter nicht aus Eitelkeit, Neid und Selbstliebe zusammengesetzt ist, die Regel dieser Annahme bestätigten. Da jedoch glücklicherweise ein jeder sich als (von der Regel) ausgenommen betrachtet - ob aus Eitelkeit und Selbstliebe sei einstweilen dahingestellt - so hat es weiter keine Gefahr für den Einzelnen. Nun wird kaum ein vernünftiger Mensch den andern betrügen, ohne mindestens den Wunsch oder die Hoffnung zu nähren, seine Gegner zu besiegen; hiezu kann er berechtigt oder auch nicht berechtigt sein, je nachdem ihm die Mittel und Wege zu Gebote stehen, seine Wünsche zu realisieren, seine Hoffnung in Gewißheit zu verwandeln; daher ein Schlaukopf nur dann losschlagen kann, wenn er sich hinlänglich sicher fühlt. Wird er sich dabei nur auf seine eigene Kraft und Überlegenheit verlassen? Wenn die Welt nur zwei Menschen oder zwei Nationen bevölkerten - ganz gewiß! Unter den obwaltenden Umständen wird er aber genötigt sein, auch Politik zu treiben. Das bestgeschulte, tapferste Heer unter dem heldenmütigsten, geschicktesten Anführer, - was vermag es gegen die Ränke eines verschmitzten Diplomaten, darum Politik, Politik! will man nicht zum Selbstmörder werden. Herr Ondry vom Stadttheater in Pest war unpolitisch genug, im »Hamlet« von Thomas auf unserer Opernbühne zu debütieren. Das war ein großer Mißgriff. Herr Ondry hatte sich vorher erkundigen sollen, in welchem Renommee der »Hamlet« beim Publikum, in welchem bei der Kritik stehe, er hätte daraufhin erfahren, daß »Hamlet« fast nie gegeben wird, daß das Publikum diese Oper mehr fürchtet, als die Cholera, und daß die berühmte Schulweisheit unserer Kritik es schon so weit gebracht hat, dieses Werk zu verachten. Hernach debütierte Herr Ondry in der »Margarethe« (Faust) von Gounod. Das war erst recht ein Mißgriff, da kürzlich erst Herr Baer in dieser Oper sein Gastspiel absolviert, und die Kritik somit gezwungen ward, dieses Werk zweimal in rascher Aufeinanderfolge zu Hören. Das Publikum, welches sich heute an der »Margarethe« den Magen verschlemmt, läßt sich vielleicht morgen von »Mephistopheles« wieder herstellen. Aber der Kritiker hütet sich wohl, mit dem »Mephistopheles« anzubinden, ausgenommen, wenn er muß. Auch kan mans einem Rezensenten kaum verübeln, wenn er nach zweimaligem Anhören der »Margarethe« endlich die Geduld verliert. Bei der gründlichsten Verstimmung soviel Objektivität sich zu wahren, um dem Sänger die nötige Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, seine Leistungen nach Verdienst zu beurteilen, das heißt, wenn sie wirklich gut sind, dies zu erkennen, Essig mit Honig zu genießen und dabei herauszufinden, daß der Honig von vortrefflicher Qualität sei, anstatt den ganzen Hexenrudel mit tausend Flüchen gepfeffert zum Teufel zu wünschen, wie man wohl gerne möchte - das mitzumachen ist, offengestanden, eine ekelhafte Geschichte. Wir wollen nicht annehmen, daß Böswilligkeit das Motiv war, weshalb Herr Ondry »Hamlet« und »Margarethe« (Faust) in sein Repertoire eingeschlossen, selbst nicht des Spaßes halber. Oder war es ein gesteigertes Selbstbewußtsein von seinem Können, das Herrn Ondry keine Rücksicht auf die Wahl der Opern, in denen aufzutreten er für gut hielt, nehmen ließ? Oder aber war es der gewohnte Schlendrian, wie er in den Operntheatern gehegt und gepflegt wird (diesen eigentlichen Treibhäusern des Schlendrians), der ein ernstliches Befassen mit höheren Dingen, selbst wenn es den daran beteiligten Personen zum augenscheinlichen Vorteil gereichen würde, als zweck- und fruchtlos erachtet, nur weil dabei einiges Nachdenken erfordert wird? Sei dem, wie ihm wolle. - Genug, wir können trotz aller Bedenken und Beschwerden Herrn Ondry ein ziemlich gutes Zeugnis ausstellen. Wohl ausgebildetes, dabei kräftiges Organ, etwas monoton im Vortrage, zuweilen sogar roh, manchmal aber sehr zutreffend, natürliche Bewegungen, wenn auch nicht immer der Situation angemessen, mitunter sogar recht opernhaft, zu deutsch: marionettenhaft, lebendiges Mienenspiel, meistens auch richtig und im allgemeinen eine gute Haltung - dies im kurzen eine Charakteristik der Leistung des Herrn Ondry. Dasselbe gilt von seinem Salomo in Goldmarks Königin von Saba. Die schrecklichen Anforderungen, die Goldmark an die Stimmen der Sänger stellt, wurden von unseren einheimischen Kräften fast spielend überwunden. Frau Kupfer gab die Sulamith überraschend gut; vortrefflich Herr Winkelmann den Assad. Mit etwas mehr Aufwand an innerlicher Glut, daß die Gebärde, als der greifbare Ausdruck eines wirklich empfundenen inneren Vorganges, wenigstens den Zug von Unmittelbarkeit, wenn schon auch nicht den der Schönheit gewinne, sollte Frau Papier die Königin von Saba darstellen, und sie wird ohne Rivalen in dieser Rolle glänzen. Das verklärte, schönere Bild der märchenhaft berückenden Königin duftet uns schon bei dem ersten Tone, den Frau Papier anschlägt, entgegen. Es gilt aber auch, die sinnliche Erscheinung festzuhalten, und da ist es mit der Maske allein nicht getan, so gut auch Frau Papier dieselbe gewählt, so schön sie darin aussah. Warum Frau Papier auf einem roten Streifen das Publikum um Nachsicht ersuchte, mit der Begründung, sie sei indisponiert, ist mir unerklärlich. Wenn Indisposition soviel bedeutet, als ganz bei der Sache zu sein, Stimme und Animo wie nur je besitzen, so möchte ich gerne den Abend erleben, an dem Frau Papier dem Publikum ankündigt, daß sie diesmal besonders disponiert sei. 24. Mai 1885 Lohengrin Herr VogI aus
München ist unstreitig der geistreichste Wagner-Sänger.
Kein Blick, keine Gebärde, keine stimmliche Nuance, die nicht
gehörig motiviert wäre, alles an seiner Darstellung gewinnt
Bedeutung, atmet wirkliches Leben. Zuweilen allerdings konnte man
eine gewisse Absichtlichkeit in seinem Spiele bemerken, gleichsam,
als wollte Herr Vogl den Zuschauer auf eine besondere Feinheit seiner
Darstellung aufmerksam machen. Das Spiel des Mimen jedoch sei ein
Zifferblatt, innere Bewegung anzeigend, aber nicht ein Uhrwerk, daß
diese Bewegung selbst aufdecke, sagt Börne. In unserem Falle
ist die Musik das Uhrwerk, die gewiß nichts unaufgedeckt läßt,
zumal die Leitmotive den Zuhörer beständig in Atem halten,
seine Aufmerksamkeit auf die szenischen Vorgänge der Bühne
hinlenken; Herr Vogl möge sich an dem Zifferblatte genügen.
Noch eines: die Stelle: »Dein Lieben muß mir hoch entgelten«
bis »böt mir der König« usw. hat Herr VogI im
Rhythmus so scharf akzentuiert und dabei so leicht weg gesungen, daß
sie hart an den Bänkel streifte. Wenn mich überhaupt eines
an der Gesangsweise des Herm Vogl stören könnte, so wäre
es noch am ehesten das kurze Abbrechen eines Tones nach starkem Anschwellen
desselben. Diese Vortragsmanier kann unter Umständen von unvergleichlicher
Wirkung sein im Rezitativ oder in aufregenden Musikstücken heftigen
Charakters, aber nicht in der Kantilene, nicht im getragenen Gesange.
Hier muß jeder Ton abgerundet sein, d. h. dem crescendo darf
auch das diminuendo nicht fehlen. Herr VogI, der auch ein großer
Gesangskünstler ist, weiß dies besser als ich, aber er
weiß nicht immer, wann er fehlt. Auch die Erzählung zum
Schlusse der Oper hätte Herr VogI in diesem Sinne ruhiger, sanfter,
geheimnisvoller vortragen können. Er hat zuviel Leidenschaft
hineingelegt, er gab sich zu menschlich. Lohengrins Auge schwebt während
der Erzählung wie abwesend über den Kreis seiner Umgebung.
Sein Geist träumt von den Wundern Monsalvats, derweil sein irdischer
Teil noch unter den gemeinen Sterblichen weilt, um zum letzten Male
zu ihnen zu sprechen. So soll auch seine Stimme nicht anders sein,
als das Organ, das den holden Traum seines Geistes in verklärter
Weise austönt. Welcher Duft, welche Poesie des Gesanges gehört
aber nicht dazu, solche Anforderungen zu verwirklichen! Nichtsdestoweniger
verdient der Lohengrin des Herrn VogI die wärmste Anerkennung,
und wenn das Publikum ihm mit Beifall überschüttete, so
hatte es ausnahmsweise wiederum einmal recht getan. Eine gestrichene
Stelle in der Partitur ist mir ganz besonders aufgefallen; sie gereicht
der Gewissenhaftigkeit und dem Verständnis des Kapellmeisters
zur besonderen Ehre. »Nur eine ist's – der muß ich
Antwort geben: Elsa« - Strich / bis - »Vertraue mir!« 31. Mai 1885 »Tristan und Isolde« Herrn VogIs Tristan
war eine von Anfang bis zu Ende durchgeführte Meisterleistung.
Soweit aber hat es die Kunst des Darstellers noch nicht gebracht,
die Verwüstungen des Rotstiftes wettzumachen, wie sichs die Herren
Kapellmeister so gerne einreden möchten, wenn diese zu den Besseren
gehören; denn die Böseren darunter strichen aus purem Egoismus,
unbekümmert um das Werk und den Darsteller. Ich glaube sogar,
daß einen wesentlichen Teil kapellmeisterlicher Vergnügungen
das Streichen ausmacht. Nach den ausgesucht empörendsten Strichen
zu schließen, scheint dieses Vergnügen diabolischer Art
zu sein. Ein besonders wichtiges, zum Verständnisse der Handlung
unerläßlich notwendiges Motiv streichen zu können,
ist ein gefundenes Essen für biedere, ehrenwerte Kapellmeister.
Angehende Kapellmeister dürfen künftighin nicht mehr zum
Probedirigieren gelangen, um Beweise von ihren Fähigkeiten abzulegen,
man wird sie probestreichen lassen. Dann seien sie nur nicht verlegen,
verschämt, gewissenhaft. Bei Gott! es ginge ihnen übel,
und wären sie alle Genies. Nur flink und dreist den Stift geführt,
alles andere findet sich. - Bei den Indianern wird am höchsten
respektiert, der die größte Anzahl abgehäuteter Skalpe
aufweisen kann. Ganz gewiß genießt unter seinen Kollegen
auch derjenige Kapellmeister das größte Ansehen, der die
Partituren am meisten schindet, der sich rühmen kann, mit dem
Rotstift (Rotstift! wie bezeichnend! der Stift rötet sich in
dem Herzblute der Partituren, wühlt er in deren edlen Teilen)
nicht nur die Kopfhaut, sondern gleich den ganzen Kopf zusamt den
Füßen der Handlung rasiert zu haben. Die Indianer begnügen
sich mit dem Skalp und sind Wilde. Die Kapellmeister zerfleischen
ihre Opfer und sind gemeinhin Zivilisierte, ja, wollen auch Künstler
sein. Künstler! - Herr VogI also konnte auch nicht Wunder wirken.
Der geistreiche Strich, auf den der Kapellmeister nicht wenig stolz
sein kann, zwang den Darsteller, sich so natürlich als möglich
zu geben, wobei die Schuld selbstverständlich Herrn VogI nicht
trifft, dieselbe lediglich nur der Kapellmeister zu verantworten hat.
Der Strich beginnt nach der Frage Tristans »müht euch die«
und endet drei Takte vor den Worten: »war Morold dir so wert«
usw. Die Stelle »müht euch die« klingt wie leiser
Hohn auf den vorhergehenden Ausruf Isoldens »Rache für
Morold«. Was also konnte Tristan plötzlich bleich und düster
machen und, also gestimmt, ihn bewegen, Isolden das Schwert zu geben,
den rächenden Streich auf ihm zu führen? Doch nicht der
leidenschaftliche Ausbruch Isoldens »Rache für Morold!«
da er daraufhin nur mit kaltem Hohne erwidert. Hingegen erscheint
die Düsterkeit Tristans sehr begreiflich, wenn Isolde ihm die
Trefflichkeit des hehren Irenhelden, ihres Angelobten, der für
sie in den Streit zog, mit dessen Fall auch ihre Ehre fiel, - usw.
entgegenhält. Diese Auseinandersetzung motiviert allerdings die
Trauer, die Resignation in den Worten Tristans: »War Morold
Dir so wert« usw. Allein man fand es für gut, diese Stelle
nicht nur in der Partitur, sondern auch in der Dichtung zu streichen,
daß es auch darin recht düster hergehe. Nun aber liegt
es für den Kapellmeister sehr nahe, dieses Dunkel einigermaßen
zu erhellen, selbst bei Beibehaltung des Striches. Man nehme Tristan
auch noch die höhnische Antwort und lasse ihm ein wenig Zeit,
bleich und düster zu werden, so ist's gut und der Darsteller
gewinnt Muße, auf natürliche Weise ohne Kämpfe und
Grimassen den Ausdruck der Düsterheit anzunehmen. - Ob Herr VogI
nicht besser getan hätte, die Expektoration »O Worme voller
Tücke« usw. für sich zur Seite oder in den Zuschauerraum
gewendet zu singen, als dieselbe an Isolde zu richten? 20. September 1885 »Die Meistersinger von Nürnberg« Warum wohl der
Zerstörungstrieb unserer Bühnenleitung im Zerpflücken
und Zernagen sein Meisterstück gerade an der duftigsten Blüte
in dem Kranze der Wagnerschen Schöpfungen, an den »Meistersingern«
übt? Nicht genug, daß man sich's eifrig angelegen sein
läßt, alles beziehungsvolle und auch an sich kunst- und
genußreiche Detail zu beseitigen, auch auf den Gang der Handlung,
auf die Entwicklung der Charaktere erstrecken sich diese räuberischen
Eingriffe. Der giftige Stadtschreiber z. B. muß sich bequemen,
den Einfaltspinsel zu spielen. Beckmesser ist aber kein Einfaltspinsel;
er wird es erst durch die drollige Situation, in die er späterhin
gerät. Beckmesser ist ein durchtriebener Schelm und wie der Schelm
ist, so denkt er: die Szene in Sachsen Stube (Ill. Akt) spricht deutlich
genug hiefür. Aus jedem verborgensten Winkel seines galligen
Herzens flüstert der Argwohn warnende Worte ihm zu. Und erst,
als jedes Bedenken vor seiner prüfenden Zweifelsucht bestanden,
gibt er sich zufrieden. Welcher Schelm aber wäre damit nicht
mit Beckmesser dumm geworden? - In der verkürzten Szene jedoch,
wie sie bei unseren Aufführungen üblich, geht Beckmesser
wie ein Tölpel in die Falle, und die feinen Züge mit denen
Wagner diesen Charakter so reichlich bedacht, gehen unverantwortlicherweise
verloren. - Was von Seite der Mitwirkenden geschah, war für eine
dergestalt zusammengestrichene Oper fast zu gut. Den Lehrbuben - allen
voran - sei ein summarisches Lob zugedacht; der Krone derselben aber,
David, noch ein ganz besonderes. Herr Schittenhelm, dem diese Rolle
bisher zugefallen, wußte sich auf das Vorteilhafteste mit derselben
abzufinden. David, obzwar ein Lehrbube, muß doch wie ein Meister
singen können, denn die Anforderungen an den Sänger dieser
Rolle sind schwieriger, als es wohl den Anschein hat. Aber auch der
Darsteller findet Gelegenheit, auf jede Weise sich hervorzutun; Herr
Schittenhelm hat dem einen wie dem anderen in möglichster Vollendung
seine Kräfte geliehen. Wenn wir trotzdem der Leistung des Herrn
Schrödter den Vorzug geben, ist es sein treuherzig ungeheucheItes
Wesen, wohl auch der Schmelz seiner üppigen Stimme, im Vereine
mit einem glücklichen Vortrag, zwei Gaben, die sich nicht erlernen
lassen, was auch ein GesangsIehrer gegen das letztere einzuwenden
hätte. Herr Schrödter war so recht »das treue Gesicht«,
und hätte ihn hierin sein schauspielerisches und gesangliches
Vortragstalent auch nicht in so wirksamer Weise unterstützt,
er wäre doch unseres Beifalles sicher gewesen. Kurz, Herr Schrödter
scheint uns der prädestinierte David zu sein. |