WIENER HOFOPER 1910-14
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Wiener Hofoper 1910-14
Ein Film
(Zitate und Berichte für die "Schaubühne")
Aus Paul Stefan: Der ungehörte Ruf. Erscheinungen/Erlebnisse/Fragen. Hrsg. vom Akademischen Verband für Literatur und Musik in Wien. Verlag der Schaubühne. Charlottenburg 1914.

1910: Weingartners gefährliche Zeit ist vorbei. Die Ruinen der Hofoper bedeuten nichts mehr .... Von Zeit zu Zeit kommen interessante Versprechungen- Debussys "Pelleas und Melisande E.T.A. Hoffmanns "Undine", "Benvenuto Cellini" von Berlioz. Die aufgeführten Neuheiten haben meist versagt; der Gewinn zweier langer Jahre ist"Siegfried", "Elektra', der "Barbier von Bagdad". Aber es ist alles gleichgültig ....

Herbst 1911: Im Hause nichts. In den Zeitungen das "Aktionsprogramm". Enthält die meist schon bekannten Versprechungen .... Auf einmal ist ein neuer Direktor da. Der Rat einer Berliner Konzertagentur hat das "System" geändert. Nun wird der "große" Kapellmeister gesucht. Und wenn sie ihn nicht gefunden haben, so suchen sie ihn noch heute ..... Ich hatte Weingartner angegriffen, weil ich meinte, ein Begeisterter und ein Herr müsse dort stehen, wo er stand; weil er, der beides nicht war, das Werk eines Herrn und Begeisterten zerstörte, weil er eine Kirche, nicht weil er ein Theater zertrümmerte. Weit er dieser Stadt gefährlich war, da er sie spielen ließ, statt sie zu spornen. Weil er nie Kämpfer, Feind, Führer sein konnte. Weil er alles gehen ließ, was ging, und nichts geht von selber in Wien, und weil er, was stehen geblieben war, noch lobte. Ich hatte ja recht behalten

("Brief an Gregor"): Ihre Interviews sind in Ordnung. Sie wollen Pflege jedes Genres, Befriedigung aller Ansprüche, Abschaffung des Starsystems, Friede, Ensemble; Ziel erreicht, ausgezeichnete Vorgänger, ruhmreiche Tradition, Einvernehmen mit der Presse ...... Sie können von den Fehlern dreier Jahre leben. Nur: nicht für immer ..... Die Sparbehörde vergißt den Sinn des Hoftheaters. Trotzen Sie ihr! Gluck wird immer leere Häuser bringen ..... Der Dualismus von Festtag und Alltag, den Sie verwerfen, wird kommen, ehe Sie es glauben, oder - Sie werden keine Feste haben .....

Es war schön, mit dem "Pelleas" zu beginnen, mit einem Werk, das äußere Ehren nicht bringen konnte; schön, es so aufzuführen, daß alle zum mindesten an der Aufführung ihre Freude haben durften ..... Aber man hungert nach Mozart; Fidelio ist halb zerstört, Gluck so gut wie unbekannt, Weber eine Verlegenheit, Verdi gelegentlich eine Ausstellung schöner Stimmen; und die Spieloper scheitert an dem großen Haus. Rienzi, Holländer, Tannhäuser und Meistersinger sind von Grund auf zu erneuern. Also Arbeit in Fülle, Arbeit für Jahre ....

Don Pasquale: die Regie war vorzüglich; nur kam sie aus dem Intellekt, rechnete mit Verstandesspielern und suchte die mit Humor gewissermaßen zu beizen .... Hinter den Kulissen spürte man einen, der immerzu Streichhölzer anbrennen mußte .... Fidelio in Mahlers Inszenierung - welch ein Augenblick, als man die drei Jahre lang einer Marotte geopferten Wunderbilder wiedersah! ...

Der Gaukler: Im ersten Akt besorgt Herr Gregor als Regisseur ein Volksgetümmel mit wirklichen Eseln, Ziegen und Schafen. Im zweiten besorgt er die Stimmung, die einige für Langeweile, andere für klösterliche Stille nehmen. Im dritten Akt läßt er das Bild der Madonna lebendig werden. Kein Lichtspieltheater sollte darauf verzichten; es kommt Rührung ins Haus. Die Musik ist von Massenet. Aber das schadet nichts. Man bemerkt es nicht ......

Auf einmal war ein Jahr unter Gregor um und man fragte, bei aller Hochachtung vor dem Geschäft, doch auch nach der Kunst. Wir hatten Pelleas und Melisande, Fidelio, lphigenie und Hans Heiling. Das muß uns genug sein .... Der Direktor beruft sich auf das mangelhafte Ensemble und schlägt vor, zu warten. Aber niemand, der etwas zu geben hatte, hat gewartet, und wer warten ließ, hatte wenig zu geben. Hoffentlich entscheidet sich Gregor bald ....

Bohéme: Sehen Sie denn nicht, daß der Maler, kaum daß der Vorhang in die Höhe geht, nach dem Takt des Orchesters malt (also da es gerade schnell spielt, mit rasenden Bewegungen hudelt); sehen Sie nicht, daß die Frierenden nach dem Takt der Musik von einem Bein aufs andere hüpfen, mit den Armen müllern; daß einer dem anderen auf jedes Achtel einen Schlag gibt: ist das nicht Opernregie ? In der Tat es ist das, was Hans Gregor unter Opernregie versteht. Kommt noch die Erregung eines unge- heuren Wirrwarrs in den Chorszenen hinzu, die etwa hier den Weihnachtsakt in Lärm begräbt, ein Realismus, der sich in Handgreiflichkeiten und Sinnfälligkeiten ausdrückt und ja nicht vergißt, den Gemüseverkäufern einen Esel beizugesellen, dagegen über lauter Kostümstudien und Regiebuchfolianten übersieht, daß man nicht im Ballkleid durch die Weihnacht läuft - und der Zauber ist fertig .....

1914: Künstlerischer Zusammenbruch; verschleiert durch die Kassenerfolge der Zugstücke. Diese Zugstücke sind "Das Mädchen aus dem goldenen Westen" und "Parsifal". Der Brief eines Studentenverbandes an den Direktor, in den Zeitungen veröffentlicht und mit spätem Beifall bedacht, spiegelt die Kläglichkeit des Spielplanes in Ziffern wider. Eine unernste Entrüstung entlädt sich. Warum trifft sie nun plötzlich Gregor? Warum zeigt niemand auf die Hauptschuldigen in der Intendanz? Und verdient ein Publikum, das Gustav Mahler vertreiben ließ, eigentlich etwas Besseres als seine Nachfolger?