CARLTHEATER 1869
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Oper in den Wiener Vorstadttheatern Das
Gastspiel Heinrich Sontheims am Wiener Carltheater im August 1869
1.Kurze theaterhistorische Vorbemerkung Das an der Praterstraße in der Leopoldstadt gelegene Carltheater war 1847 an Stelle des vormaligen Leopoldstädter Theaters errichtet worden. Architekten des Neubaues waren die späteren Erbauer der neuen Hofoper, Eduard van der Nüll und August Siccard von Siccardsburg. Der Neubau fasste an Logen und „Fauteuils“ knapp über 800 Besucher. Dazu kamen noch die dritte Galerie (Sitze auf Holzbänken) und die Stehplätze, beides Bereiche, die ziemlich vollgestopft werden konnten. Initiiert hatte den Neubau eine der schillerndsten Wiener Theaterpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, Carl Carl (1789-1854). Er hatte bereits 1838 das Leopoldstädter Theater erworben und führte dank seiner administrativen Begabung ein strenges, aber erfolgreiches Direktorium (u.a. hatte er sich der Mitwirkung Johann Nestroy’s versichern können.) Nach dem Tod Carls infolge eines Schlaganfalles 1854, übernahm bis 1860 Nestroy selber die Direktorenschaft. Bereits unter Nestroy bewegte sich das Carltheater weg vom Volksstück hin zur Operette. Ihm folgten – glücklos – der Nürnberger Gustav Brauer (bis 1862) und Moritz Lehmann, einer genialsten Dekorationsmaler Wiens seiner Zeit, der aber als Theaterdirektor bereits nach wenigen Monaten im Frühjahr 1863 Konkurs anmelden musste. Nach Carl Treumann (bis 1866) kam dann Anton Ascher auf den Direktorssessel des Carltheaters, den er bis 1872 inne haben sollte. Ascher (1820-1884) – aus Dresden gebürtig und vormaliger Medizinstudent– hatte es auf die Bühne und nach Wien verschlagen. Er forcierte am Carltheater wieder Volksstück und Operette, die hier vor allem das Markenzeichen des am Theater verpflichteten Franz von Suppé 1819-1895 trug. Nun war die finanzielle Situation dieser Vorstadttheater gewissermaßen durchwegs eine „prekäre“ – und die Direktoren waren immer auf der Suche nach Publikumsmagneten in Form von Stücken, Schauspielern, Sängern oder am besten gleich alles zusammen. 2. Heinrich Sontheim – Eine biographisch-künstlerische Notiz Ascher, selbst Schauspieler und gewiefter Praktiker, gelang nun für diesen Sommer des Jahres 1869 ein fast genialer Coup. Er konnte den Königlichen Hof- und Kammersänger der Württembergischen Hoftheater in Stuttgart, den allseits bewunderten Tenor, Heinrich Sontheim (1820-1919), für ein Monat nach Wien ans Carltheater verpflichten. Während von Mitte Juli bis Ende August das Opernleben in Wien ruhte, weil die Hofoper geschlossen war, und die Hofopernsänger urlaubten oder Gastspielreisen unternahmen, sollte das Carltheater diese „saure Gurkenzeit“ mit einem besonderen Leckerbissen auffüllen. Wien war schon damals ganz gierig auf Stars... Sontheim stammte aus einer jüdischen Familie des Städtchens Jebenhausen und zählte seit Beginn der 50er Jahre zu einem der strahlendsten Tenorgestirne des deutschen Raums. Er hatte seine gesangliche Karriere in der heimatlichen Synagoge begonnen – und eine seiner Glanzpartien solle auch später der Eleazar in Halevy’s „Jüdin“ sein. Vom Gesangsstil her wurde Sontheim von seinen Zeitgenossen unter die „Heldentenöre“ gereiht: „Er ist der tenoristische Repräsentant der Schwaben. Etwas eckig, etwas unbeholfen, nicht bebend und nicht anmuthig, aber innerlich kerngesund, ein Mann von echtem Schrot und Korn.“ Er vertrat eine moderne Gesangesauffassung und sang das hohe „C“ „im freien Ansatz als Brustton“. L.A. Zellner, Herausgeber einer zweimal in der Woche erscheinenden Wiener Musik- und Theater-Zeitung, schildert Sontheims Gesangs-Stil nach seinem Debut an der Hofoper im Jahre 1868 wie folgt: „Bewunderungswürdig ist er in der Kunst, Alles, selbst das Unscheinbarste, zum höchsten äußerlichen Effecte zuzuspitzen, wobei er zwar oft hart an die Gränze der Uebertreibung streift, ohne sie jedoch irgendwo zu überschreiten. Sein Organ ist sonor, kräftig, ohne das Frisch-Jugendliche des Klanges mehr zu besitzen; sein Athem ist kurz und das nöthigt ihn, die Phrasen zu spalten; aber er weiß dies Alles so geschickt zu umgehen, ja selbst häufig so hinzustellen, als ob es die nothwendige Folge seiner dramatischen Intention wäre. Starkes, markirtes, in den Sprachton übergehendes Declamiren bietet ihm ein wichtiges Mittel, über manche gesangliche Klippe hinwegzukommen.“ 3. Sontheim und Wien Sontheim hatte am 15. April 1868 im Kärtnertor-Theater als Eleazar debütiert und bereits bei seinem ersten Auftreten einen orkanartigen Beifall hervorgerufen. Als er sich am 8.Mai von Wien in eben dieser Rolle verabschiedete, bereitete ihm das Publikum stürmische Ovationen. Nach dem Ende der berühmten Arie im vierten Akt erhob sich das Paterre und applaudierte stehend. „Daß die Hervorrufe am Schlusse kein Ende nehmen wollten, das ist ein unumstößliches Zeugnis des spontanen und gewaltigen Eindrucks, den dieser Sänger auf seine Zuhörer auszuüben verstand.“ Sontheim kehrte dann im Sommer 1868 noch einmal an die Hofoper zurück und wiederholte seinen unglaublichen Erfolg. Am 15.August verabschiedete er sich nach der Vorstellung mit einer Rede, in der er dem Wiener Publikum versprach bald zurückkehren, wenn es ihm seine anderwärtigen Verpflichtungen erlauben sollten und dass ihm die Aufnahme, die er hier erfahren habe „ewig unvergeßlich bleiben werde.“ In Folge wurde mit einem neuen Engagement Sontheims für den November 1868 spekuliert , es kam aber keines mehr zustande. Da erkannte der Direktor des Carltheaters seine Chance und verpflichtete Sontheim für August 1869 – und die Wiener dankten es ihm mit einem vollen Haus. Die Genugtuung, die man dem gelungen Unterfangen Aschers entgegenbrachte, zeigt auch ein diesbezüglicher Kommentar der Tagespresse: „Wir freuen uns, daß Direktor Ascher gut gemacht hat, was die zarte Hand des hofräthlichen Chefs unserer kaiserlichen Oper verdorben, und wir danken dem Leiter des Carltheaters, daß er Wien wieder die Gelegenheit verschafft, einen seiner Lieblinge zu hören.“ 4. Sontheims Gastspiel am Carltheater Sontheim traf am 26. Juli 1869 in Wien ein und begab sich gleich zu den Proben ins Carltheater. Es waren ursprünglich 10 Abende mit Sontheims Mitwirkung geplant, wegen des großen Erfolges wurden dann noch zwei weitere hinzugefügt. Am 1. September musste er jedenfalls wieder zurück in Stuttgart sein. Der Spielplan des Gastspiels umfasste szenische Aufführungen von Flotows „Martha“ und Adams „Postillon von Lonjumeau“ sowie Zusammenstellungen einzelner Akte oder Szenen aus unterschiedlichen Werken (wie zum Beispiel den 4. Akt aus der „Jüdin“). Gestartet wurde mit „Martha“. Es war von vorne herein klar, dass es im wesentlichen nur darum ging, für das Gastspiel von Sontheim eine einigermaßen entsprechende Umrahmung zu finden, denn mit den Ressourcen der Hofoper konnte sich eine Vorstadtbühne natürlich nicht messen – und das war schon schwer genug. Ascher hatte sich offensichtlich bemüht, Choristen von der Hofoper zu engagieren, die ja zu dieser Zeit „Urlaub“ hatten. Hofoperndirektor Dingelstedt soll darauf mit einem Erlass reagiert haben, der es Choristen untersagte, „in der Ferienzeit auf einer anderen Bühne zu singen“. Ascher wusste sich natürlich zu helfen – und wenn dann sollte das Projekt nicht an ein paar Choristen scheitern. Trotzdem gab es gleich zu Beginn ziemliches Nervenflattern: der Prager Sänger, den man für die Partie des Plumkett engagiert hatte (Hr. Krejci) erklärte nach seinem Eintreffen, dass er diese Partie gar nicht studiert habe. Ascher gelang es kurzfristig, sich der Mithilfe eines Sängers des Stadttheaters von Baden zu vergewissern. Wohl aus Prestigegründen wurde Hr. Strehle aber auf dem Programm als Gast aus Frankfurt angekündigt (wobei man sicherheitshalber wegließ, welches Frankfurt damit gemein sei). Die erste Aufführung der „Martha“ und somit die erste Vorstellung von Sontheims Gastspiel fand am 2. August bei übervollem Hause statt. Franz von Suppé hatte ganze Arbeit geleistet und aus dem opern-unerfahrenen Orchester sowie dem Chor ein einigermaßen tragfähiges Gerüst gezimmert, auf dem sich Star Sontheim ohne allzugroßer Gefährdung produzieren konnte. Allerdings hatte man da auch von Seiten der Zuhörerschaft keine großen Ambitionen: wichtig war, dass Sontheim sang, der Rest war Staffage. Sontheim wurde jedenfalls bei seinem Erscheinen mit einem Jubel empfangen, „daß man fürchten mußte, das Haus breche zusammen.“ Sein Lyonel gefiel, allerdings entsprach die Partie nicht mehr ganz seinem Stimmcharakter: „Die syrupsüße Musik Flotow’s paßt nicht für Sontheim’s markiges Organ und sein Aeußeres und sein Spiel geben nur ein trauriges Bild von dem sentimentalen Verehrer der Lady Harriet. Doch hatte Sontheim großen, ehrenvollen Erfolg, besonders da, wo sich der Part des „Lyonel“ zum Lyrischen wendet und ins Heroische übergeht. Zerpflückt auch der Sänger durch ungeschicktes Phrasieren oft unbarmherzig den Fluß der Cantilene und streift er auch zuweilen mit rauher Hand den Schmelz von den zartesten Stellen, so war er dafür umso machtvoller Vortrage im dritten und vierten Akte, wo sich der schwache Lyonel zum Mann herauswächst. Der stürmische Applaus, denn Herr Sontheim erntete, war ein wohlverdienter, er ist mit allen seinen Fehlern ein vollendeter Künstler.“ Während beim Lobe Sontheims auch alle anwesenden Rezensenten grundsätzlich übereinstimmten, erfuhr das restliche Ensemble eine unterschiedliche Bewertung: Frl. Hänisch, Gast aus Dresden, sang die Martha. Man kritisierte ihre unfertige Technik und die kleine Stimme. Einen gewissen Erfolg verbuchte Klara Perl als Nancy, zumindest beim Publikum. Die junge Sängerin mit einer markanten Altstimme konnte zwar den gediegenen Opern-Habitue nicht wirklich überzeugen („So wird zB. Frl. Perl von Allen bewundert werden, welche für Urzustände schwärmen.“ ), so mancher wollte ihn ihr aber ein doch ungeschliffenes Talent entdeckt haben: „(...) aber der Fond ist da, aus dem sich eine treffliche Sängerin herausbilden läßt.“ Der oben erwähnte Plumkett aus Frankfurt alias Baden hielt sich – freundlich formuliert – „ganz anständig“: etwas boshafter formuliert – „Den Plumkett wollen wir gnädiglich übergehen.“ – unauffällig; kritisch formuliert – „Hrn. Strehle hielten wir anfangs für einen unschuldigen Statisten, der Stühle und Tische und Porterkrüge herbeizutragen hat, und wir waren ihm vom Herzen gewogen. Da fing der Mann zu singen und gar zu agieren an, und – weg war alles Gute, was wir für ihn empfanden. So lang er singt, werden wir schweigen, wenn er schweigt, werden wir loben.“ – für indiskutabel. „Martha“ wurde am 4. August in derselben Besetzung wiederholt, ebenfalls wieder bei vollem Hause. Bevor sich am Abend „der Vorhang öffnete“ hatte Direktor Ascher aber noch einige Schrecksekunden zu überstehen. Der Direktor des Badener Stadttheaters wollte aus seinem Leih-Bassisten nämlich Kleingeld schlagen und Strehle nur dann noch einmal für das Carltheater abstellen, wenn Sontheim eine Vorstellung in Baden gäbe. Ascher hatte alle Hände voll zu tun, um am Nachmittag des 4. August noch einen geeigneten Sänger aufzutreiben – allerdings ließ sich in ganz Wien kein brauchbarer „Plumkett“ finden. Zur Überraschung aller tauchte dann doch wieder Strehle auf. Er hatte als "Ehrenmann" das Verbot seines Direktors negiert, weil er Ascher für diesen Abend im Wort gewesen war. Die Aufführungen des „Postillon von Lonjumeau“ gingen am 7. August, 9. August und 11. August über die Bühne. Das Theater war wieder überfüllt. Die Aufführungen hinterließen insgesamt einen besseren Eindruck, und Sontheim konnte einen großen persönlichen Erfolg verbuchen, und er wurde zu vielen Wiederholungen gebeten: „Jeder musikalischen Phrase beinahe folgte Beifall, und das Postillonlied mußte Sontheim wiederholen, nachdem das Publikum sich früher nicht beruhigen wollte.“ Sontheim schien prächtig bei Stimme gewesen zu sein und er „(...)brachte wirklich sein a, b, c mit freiem leichten Anschlag und vollem frischen Klang, daß es wirklich eine Freude war, und man konnte es da dem Publicum gewiß nicht verdenken, wenn es darüber in freudige Stimmung gerieth und dieser durch massenhaften Beifall Ausdruck gab.“ Auch das restliche Ensemble (Frl. Hänisch als Madelaine, Hr. Eppich als Marquies, Hr. von Gülpen als Bijou) wurde diesmal durchwegs gelobt, wobei vor allem Eppich herausstach, während man bei Hänisch hauptsächlich ihr schauspielerisches Talent lobte : „So konnte denn die Darstellung im Carltheater den Vergleich mit der der Hofoper leichter aushalten und der Erfolg konnte somit nicht fehlen, zumal als die Aufgaben des Chores und Orchesters minder schwierig sind und auch weit mehr secundärer Natur sind, als in der „Martha“; (...)“ Die sechste Vorstellung fand am 13. August statt. Man ging jetzt zu „gemischten" Vorstellungenüber. Sontheim sang Szene und Duo des 2. Aktes aus Rossinis „Othello“ und den vierten Akt der „Jüdin“ – also seine Paraderolle, den Eleazar. Dazu steuerte noch die bereits aus der „Martha“ bekannte Clara Perl eine Arie aus Rossinis „Tancred“ bei. Zwischen beiden längeren Opernteilen wurde als „Füller“ ein einaktiges Lustspiel gegeben. Weitere Vorstellungen folgten am 15., 17., und 19. August. Sontheim konnte diesmal wieder allen Erfolg für sich verbuchen, auch wenn man seine „Kurzatmigkeit“ fast schon ein wenig als störend empfand: „Der kurze Atem spielt Herrn Sontheim arge Streiche, denn er zwingt ihn, nicht nur Zusammengehöriges zu zerreißen, sondern oft vor dem letzten Wort, vor Thorschluß, frisch einzusetzen. Im Publicum, das im Geiste mitsingt, hat die Phrase schon ausgeklungen, wenn Herr Sontheim sich vorbereitet, für den Schluß einzuholen.“ Möglicherweise war hier schon jene Indisposition im Anflug, die Sontheim dann dazu zwingen sollte, sogar eine Vorstellung abzusagen bzw. verschieben zu müssen – auch die Bemerkung „(...) sonst schien uns Sontheim schwerer denn je Atem zu holen (...)“ deutet darauf hin. Am Rundherum fanden die Rezensenten diesmal wenig Gutes, ja dieser vierte Akt der „Jüdin“ dürfte – trotz seines packenden Inhalts, ziemlich amüsant gewesen sein: Vor allem der Kardinal (Hr. Schilke) erheiterte die Gemüter – und die Prinzessin (Frl. Butschek) dürfte ihm um nichts nachgestanden haben: „Sein Anzug bestand in einem Kardinalshut, an welchem ein Paar rothe Handschuhe und ein in Bartform gekämmter Roßschweif hingen, und darin stak der Mann, der sich zwar etwas mager ausnahm, was übrigens durch den Anblick der Prinzessin mehr als ausgeglichen wurde. Um den 4. Act der „Jüdin“ möglich zu machen, griff man nach einer Unmöglichkeit, welche Frl. Butschek heißt, (...). An der Leistung dieser Dame war übrigens das Bewunderungswertheste die Leichtigkeit, mit der sie sich aus der knieenden Stellung zu erheben wußte.“ Eine anderer Anwesender fasste das „Übel“ wie folgt zusammen: „Frl. Butschek hätte mehr Glück gehabt, wenn es ihr gelungen wäre, das Publicum etwas ernster in Stimmung zu halten. Die Herren Schilke und Simon [er war im Othello Sontheim zur Seite gestanden] erwiesen sich als Helfer in der Noth, der äußersten Noth.“ Einzig die Recha des Frl. Löscher wurde als junges Talent gewürdigt. Sontheim jedenfalls – und das zählte – gefiel: „Das Publicum, dem man die Competenz dießmal gewiß nicht absprechen konnte, stürmte und jubelte den Sänger mindestens ein Dutzend Male heraus, und sein Beifall war durchaus begründet.“ Interessant auch die Anmerkungen zu Sontheims Othello, in dem man nicht so sehr den Koloratursänger bewunderte als seine Fähigkeit, den dramatischen Vorgang bis ins kleinste Detail darzustellen: „Dagegen war alles Dramatische meisterhaft exponiert und der Uebergang von den Martern des Zweifels, der halben Vermuthung bis zur Gewißheit des an ihm begangenen Verrathes eine Kette psychologisch wahrer und treffender Nuancen, die dem Declamator wie dem Schauspieler zu hoher Ehre gereichten.“ Sontheims Vorstellung am 21. August war bereits von einer starken Indisposition geprägt. Auf dem Programm standen Ausschnitte aus Rossinis „Wilhelm Tell“ und Aubers „Frau Diavolo“. Frl. Haenisch durfte noch eine Arie aus Rossinis „Semiramis“ beisteuern. (Ein kurzes Lustspiel als Füller war auch wieder mit dabei.) Das Publikumsinteresse schien auch schon ein wenig nachgelassen zu haben – aber vielleicht hatte es auch nur „einen guten Riecher“. Sontheim kämpfte freilich tapfer – „Was er unter solchen Umständen geboten, war der höchsten Anerkennung werth.“ – aber dieser Abend war ohne Zweifel der Tiefpunkt von Sontheims sommerlichem Wien Gastspiel. Da war es nur konsequent, wenn er die Vorstellung am 23. August überhaupt absagte und erst wieder am 25. August vor dem Publikum erschien. Er sang abermals den Eleazar sowie Ausschnitte aus der „Stummen von Portici“. Die Indisposition war offenbar noch nicht ganz gewichen. Sontheim nutzte die „Stumme“, um sich für den Eleazar „aufzuwärmen.“ Das Haus war wieder voll und jubelte dem Sänger zu. Im obligaten Lustspieleinakter trat diesmal Direktor Ascher persönlich auf und sorgte für gute Stimmung und viel Applaus. Der beliebte Direktor war übrigens erst vor wenigen Tagen vom Kaiser persönlich mit einem Orden ausgezeichnet worden. Am 30. August verabschiedete sich Sontheim von Wien. (Die Aufführung wurde als Benefiz für das künstlerische Personal des Carltheaters gegeben.) Er sang noch einmal den Eleazar, Ausschnitte aus Rossinis „Othello“ und aus „Martha“: „Gleich bei seinem Erscheinen wurde der gefeierte Tenorist rauschend empfangen und mit Beifall und Blumenspenden überschüttet. Diese Ovationen wiederholten sich nach jeder Partie. Die Zahl der ihm zu Theil gewordenen Hervorrufe war eine außerordentlich große und als sich zum Schlusse der Beifall nicht legen wollte, trat Sontheim vor und richtete ungefähr folgende Worte an das Publicum: Ich danke Ihnen innigst für die liebenswürdige und liebevolle Aufnahme. Sie werden es unbillig finden, wenn ich noch einen Wunsch hege, aber ich kann ihn nicht unterdrücken, es ist der, Sie bald wieder sehen zu dürfen. (Akklamation.) Empfangen Sie nochmals meinen herzlichen Dank und leben Sie recht wohl.‘ Neuer Beifall! Sontheim mußte noch mehrmals erscheinen, endlich fiel der Vorhang zum letzten Male!“ Sontheim machte sich danach sofort auf den Rückweg nach Stuttgart. Er hatte mit den zwölf Gastvorstellungen rund 10.200 Gulden als Einnahmenanteil verdient. © Dominik Troger, Wien, Oktober 2002 |