NEIL SHICOFF: 40 JAHRE BÜHNE
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Chronik

Staatsoper
3. Mai 2015

Dirigent: Frédéric Chaslin


Orchester & Chor der Wiener Staatsoper
Bühnenorchester der Wiener Staatsoper

Les Contes d'Hoffmann
Prolog

Hoffmann - Neil Shicoff
Lindorf - Paolo Rumetz
Nicklausse - Stephanie Houtzeel
Andrès - Thomas Ebenstein
Luther - Marcus Pelz
Hermann - Clemens Unterreiner
Nathanael - Carlos Osuna

Pique Dame
2. Akt, 2. Bild

Herrmann - Neil Shicoff
Lisa - Krassimira Stoyanova
Gräfin - Anja Silja
Mascha - Hyuna Ko

- - Pause --

La Juive
4. Akt

Eléazar - Neil Shicoff
Kardinal Brogni - Ferruccio Furlanetto
Rachel - Krassimira Stoyanova
Eudoxie - Simina Ivan
Offizier - Martin Müller

Carmen
4. Akt

Carmen - Elena Maximova
Don José - Neil Shicoff
Escamillo - Clemens Unterreiner
Frasquita - Simina Ivan
Mercédés - Juliette Mars


Neil Shicoffs Abschied von der Staatsoper
Dominik Troger

Es ist kaum zu glauben, aber Neil Shicoff hat mit diesem Abend seinen Abschied von der Bühne der Wiener Staatsoper genommen. Noch einmal präsentierte er sich in vier ausgewählten Partien, die für sein künstlerisches Schaffen charakteristisch waren, dem Publikum.

Neil Shicoff war ein Sänger der künstlerisch angewandten Psychopathologie. Wer könnte je vergessen, wie er als Hoffmann zwischen Illusion und Realität pendelte, alkohol- und liebesdurstig; wie er als Hermann besessen und lisaopfernd nach dem Glück der drei Karten strebte; wie er als Eléazar mit selbstquälerischer Unerbittlichkeit um sein Verhältnis zu Gott und zu der ihm schutzbefohlenen Rahel rang; wie er als Don José emotional zwischen eifersüchtiger Raserei und verzehrender Liebe oszillierte, um dann den tödlichen Schlusspunkt zu setzen? An diesem Abend konnte das Publikum Shicoff noch einmal in entscheidenden Szenen aus „Les contes d’Hoffmann“, „Pique Dame“, „La juive“ und „Carmen“ erleben und sozusagen an einer konzentrierten „Werkschau“ teilnehmen, im Zeitraffer noch einmal nachvollziehen, was das Besondere von Shicoff ausgemacht hat, der im Mai 1979 in Wien als Duca debütiert hat. (Und obwohl er insgesamt rund 250 Vorstellungen in 20 Partien in Wien gesungen hat, es sollte sein einziger Herzog an der Staatsoper bleiben).

Der Abend begann mit dem Prolog aus „Les contes d’Hoffmann“. Das war ein guter Einstieg, weil er in Summe betrachtet den schwächsten Teil dieser Gala abgab. Shicoff absolvierte in der Titelpartie mit „Kleinzack“ einen „Kraftakt“ und auch das weitere sängerische Umfeld wirkte vor allem „solide“. Ganz anders gestaltete sich die Szene mit der Gräfin aus Pique Dame. Neil Shicoff und Anja Silja erzeugten eine knisternde Atmosphäre voll erotischer Spannung, die sich in einem angedeuteten Liebesakt auslebte und in Siljas todeslüsternem Aufschrei und Shicoffs verzweifelter Enttäuschung kulminierte.

Nach der Pause folgte der vierte Akt aus „La juive“ mit Eléazars berühmter Arie, die noch einmal Erinnerungen an die Premiere im Jahr 1999 weckte, als das Publikum dank Shicoff quasi eine neue Oper entdecken durfte. Damals gelang, was fast nie gelingt: Eine Rarität plötzlich wieder ganz aktuell zu machen, sie mit einem Sinngehalt zu füllen, der die Brücke über die Jahrhunderte zu spannen vermag, mit Neil Shicoff als entscheidendem Kristallisationspunkt. Den Schlusspunkt setzte „Carmen“, und Shicoffs Tenor klang plötzlich weicher, heller, lyrischer, hatte Hermanns Düsternis und den Grimm Eléazars abgelegt, und der Sänger verwandelte sich in eine weitere Bühnenfigur, taumelte so überzeugend in den Wahnsinn von Don José, dass man als Zuseher um Carmen und Don José zu fürchten begann, weil man plötzlich den Mord für unausweichlich hielt.

Unter den Shicoff an diesem Abend begleitenden Sängerinnen und Sängern ragten neben Anja Silja Ferruccio Furlanetto (Kardinal Brogni) und Krassimira Stoyanova (Lisa und Rachel) heraus. Elena Maximova war für Agnes Baltsa als Carmen eingesprungen, was der Figur einen ganz anderen, etwas kühleren Charakter gab. Clemens Unterreiner sang einen kavaliergemäßen Escamillo, gekleidet ins optisch aufwendige Kostüm dieser Zefirelli-Inszenierung. Frederic Chaslin stand am Pult – auch in der orchestralen Begleitung war vom „Hoffmann“ bis zur „Carmen“ eine Steigerung feststellbar. Die szenische Lösung war derart, dass sich Umbaupausen von praktikabler Länge ergaben. Gespielt wurde deshalb nur mit den notwendigen Requisiten der jeweiligen Produktion, viele Kulissen wurden – etwa wie bei „Carmen“ die Arena im Hintergrund – einfach weggelassen.

Natürlich hätte man sich vor allem noch einen Ausschnitt aus „Peter Grimes“ oder „Billy Budd“ gewünscht, zwei Partien, in denen Shicoff dem Wiener Publikum Britten nahe gebracht hat, wie Staatsoperndirektor i.R. Ioan Holender in seiner Laudatio ausführte. Denn natürlich gab es nach der Gala eine Ehrung auf offener Bühne. Dominique Meyer sprach einleitende Worte und Shicoff wurde das Kostüm des „Eléazar“ als Geschenk überreicht. Danach haben sich Gäste aus Deutschland eingestellt, Jürgen Flimm (Berlin) und Thomas Wördehoff (Ludwigsburg), wobei sich Flimm als Wortführer hervortat und übervoll „rheinischen Humors“ einem großen Teil des Wiener Publikums aus Gründen inkompatibler Mentalität schon nach kurzer Zeit schwer auf die Nerven ging. Für ein dargebrachtes Ständchen „Ein Freund, ein guter Freund“, das aus mir nicht mehr nachvollziehbaren Gründen in „Ein Fred, ein guter Fred“ abgeändert wurde, gab es sogar Buhrufe.

Ioan Holender glättete die Wogen mit einer seiner launigen Ansprachen, fast frei gehalten, nur die Liste der Auszeichnungen, die Shicoff bereits in Österreich verliehen wurden, las er vom Blatt. Holender erwähnte die „Probleme“, die auch er mit dem Nervenbündel Shicoff gehabt habe (Absage „Tosca“ nach dem ersten Akt zum Beispiel) und dass es nicht leicht gewesen sei, ihn zum Eléazar zu überreden. Er würdigte ihn als großen Bühnendarsteller und meinte abschließend sinngemäß, der Jubilar habe sich viele graue Haare erspart, weil er nicht Staatsoperndirektor geworden sei. Schließlich dankte Neil Shicoff dem Publikum, beschrieb den für ihn als Sänger so wichtigen Kreislauf an Energien, der von der Bühne ins Publikum und wieder zurück flute, und bedankte sich u. a. bei seiner Frau sowie allen Mitgliedern der Wiener Staatsoper von der Bühnentechnik bis zur singenden Kollegenschaft.

Es wurde dann noch eine Zeitlang geklatscht und Bravo gerufen – und ganz unverdrossene Opernbesucher warteten nach dem Ende der Vorstellung beim Bühnentürl rund zwei Stunden lang, wie mir berichtet wurde, ehe Shicoff das Haus verließ und noch Autogramme schrieb.