DAS GASTSPIEL VON AMALIE FRIEDRICH-MATERNA AN DER HOFOPER IM JAHR 1869
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Das Gastspiel von Amalie Friedrich-Materna an der Hofoper im Jahr 1869
Dominik Troger

Amalie Friedrich-Materna hat ihren fixen Platz im Sängerinnenolymp des 19. Jahrhunderts. Ihre Anfänge an der Wiener Hofoper und der eigentliche Beginn ihrer großen Karriere fallen in das Jahr 1869. Sie gab ihr Hausdebüt am 2. April 1869 als Selica in Meyerbeers „Afrikanerin“, am 14. April folgte die Amelia in Verdis „Maskenball“ und am 27. April die Leonore im „Fidelio“.

Die Sängerin Amalie Friedrich-Materna wurde 1844 (nach einigen Quellen 1847) im steirischen Sankt Georgen an der Stiefing geboren. Sie reüssierte zuerst im Kirchenchor, betrieb Gesangsstudien und hatte erste Auftritte in Graz, ehe sie mit ihrem Mann, dem Schauspieler Karl Friedrich, nach Wien ans Carltheater wechselte. Der Sprung von der Vorstadt auf die Bühne der Hofoper war mutig, aber auch gut vorbereitet. Materna hat bei den Hofkapellmeistern Heinrich Joseph Esser und Heinrich Proch studiert. Schließlich wurde ihr vom Hofoperndirektor Franz v. Dingelstedt im Frühjahr 1869 ein Gastspiel ermöglicht.

Wie man einer (etwas rührseligen) biographischen Skizze entnehmen kann, die DIE DEUTSCHE SCHAUBÜHNE (Heft 12/1867) veröffentlicht hat, wurde seitens der Sängerin konsequent auf dieses Ziel hingearbeitet. Sie habe bereits fast alle Repertoire-Opern studiert, lässt der Verfasser der biographischen Skizze seine Leser wissen und gibt sich ganz zuversichtlich, dass sie bald der Operette Adieu sagen werde, um dank ihrer hohen Begabung die Stufenleiter des Erfolgs noch weiter hinaufzusteigen. Amalie Friedrich-Materna war beim Publikum offensichtlich beliebt und auch die Kritik stand ihr prinzipiell positiv gegenüber, wie sich auch aus den Zeilen, die anlässlich der genannten Gastauftritte an der Hofoper erschienen sind, herauslesen lässt.

Das FREMDEN-BLATT (3. April 1869) sprach es direkt an, nämlich dass dieser Sprung von der Vorstadt direkt auf die Hofopernbühne „kühn“ sei, aber auch Achtung einflöße: „Und die von Natur tüchtig ausgestattete Frau durfte ihn wagen. Sie besitzt ein kräftiges, durchdringendes Organ, nur ein wenig verschleiert in der Tiefe, und in der Höhe ein wenig scharf. Der lyrische Wohllaut mangelt dieser Stimme, dafür ist sie für dramatischen Ausdruck vortrefflich geeignet. Frau Friedrich-Materna ist vorwiegend Naturalistin, aber ein glücklicher Instinkt läßt ihr bis auf einen gewissen Grad fast alles gelingen, was sie versucht.“

Es ist schon festzuhalten, dass die Rezensionen versuchten, der Sängerin ihre soubrettenhafte Vorstadt-Karriere „nachzutragen“, um daraus aber einen positiven Ausblick auf eine günstige Zukunft abzuleiten: „Bei der jugendlichen Kraftfülle und dem regen Eifer der Dame darf man indessen mit gutem Fug auf eine fortschreitende Vermehrung ihrer Vorzüge und wesentlichen Minderung ihrer Mängel hoffen.“ (MORGEN-POST, 3. April 1869) Oder: „Die liebenswürdige Soubrette des Carl-Theaters – Frau Friedrich-Materna hat gestern Größeres gewagt und zum ersten Male die Bühne unseres Hof-Operntheaters als „Selica“ in der „Afrikanerin“ betreten. Der äußere Erfolg war entschieden günstig.“ (NEUES FREMDEN-BLATT 3. April 1869) In dieser Rezension werden ihre prächtige Stimme und blendende Höhe gelobt, aber ihre „Vorstadt-Manier“ wird getadelt: „(...) ein stereotypes Zerren und Herabziehen der Töne wird mitunter lästig. Fehler der Intonation bemerkten wir auch im zweiten Akte, (…).“

Die WIENER ZEITUNG (3. April 1869) bezeichnete Friedrich-Materna als „üppige, gesundheitsfüllige Tochter der Steiermark“ und bemerkte: „Ihre Stimme ist weitaustönend, kräftig und üppig, von einem gewissen sinnlichen Glanz, mehr leidenschaftlich als lyrisch-kosend; sie war der schweren Aufgabe der Selica zum größten Theil gewachsen; die Intonation ist rein, die Aussprache deutlich; die Höhe zwar klang zuweilen etwas spitz, die Tiefe weniger markig; im Gesange wie im Spiel wäre bisweilen mehr Adel zu wünschen.“

Mit der Leonore errang die Sängerin den größten Erfolg des Gastspiels. Sie sang die Partie am 27. April 1869 als letzte ihrer drei Gastrollen und am 7. Mai als erste Antrittsrolle ihres neuen Hofopernengagements. Das NEUE FREMDEN-BLATT (28. April 1869) schrieb über ihre erste Leonore: „Gestern hat Frau Friedrich-Materna ihren größten Wurf in Beethoven's „Fidelio“ gethan, womit übrigens noch nicht gesagt ist, daß ihr mit dieser Leonore der große Wurf gelungen. Aber die Sängerin gab sich ihrer hohen Aufgabe – wo gäbe es in der gesamten Opernliteratur eine schönere? – mit ganzer Seele hin, sowohl im Gesang als im Spiel und verdient daher Alles Lob, welches ihr das Publikum auch in wiederholtem Hervorruf spendete. Einige Unebenheiten und Schärfen hat Frau Friedrich-Materna noch auszugleichen. Am meisten befriedigte uns Frau Materna in dem herrlichen Duett „O namenlose Freude“, am wenigsten im Adagio der großen E-dur-Arie.“

Die WIENER ZEITUNG ließ selbigen Datums ihre Leserschaft wissen, dass der Sängerin mit der Leonore wohl die bedeutendste Leistung von ihren drei Gastrollen gelungen sei: „Ihre sympathische, in manchen Tönen prachtvolle Stimme übte einen Reiz, der das sehr zahlreiche Publicum zuweilen tief bewegte.“ Auch hier konnte sich der Rezensent den Hinweis auf die bisherige Karriere der Sängerin nicht verkneifen und gab seiner Überraschung Ausdruck, dass sie die Leonore so gut bewältigt habe. Einschränkend angemerkt wird eine „kleine Schwankung in der großen Arie des ersten Actes“, wobei sie die Rolle insgesamt musikalisch bewältigt und „mit Kraft und Feuer bis zum Schlusse“ durchgeführt habe. Das Fazit dieser Besprechung lautet: „Wir glauben kaum zu irren, wenn wir in Frau Friedrich-Materna eine künftige Sängergröße sehen. Alles hängt jetzt von der rationellen Verwendung der Kunstmittel ab; in reichem Maße sind sie vorhanden.“

Am 13. Mai 1869 brachte die NEUE FREIE PRESSE sogar einen Leitartikel, der sich unter anderem mit der Suche der Hofoperndirektion nach Sängerinnen für das neue Haus befasste und der detailliert auch auf Amalie Friedrich-Materna und ihre stimmlichen Möglichkeiten einging. Ein Auszug aus diesem aufschlussreichen Text sei nachstehend zur Kenntnis gebracht: „Mit dieser großen, wohltönenden, etwas dunklen und zu echt dramatischem Ausdrucke vorzüglich geeigneten Sopranstimme, die vom kleinen G bis zum dreigestrichenen C reicht, wird sich bei fortgesetzten Studien sehr viel bewerkstelligen lassen, umsomehr, da dieses prächtige Organ, nirgends angegriffen, noch von Vollkraft und Frische der Jugend strotzt und die begabte Inhaberin desselben viel musikalisches Naturell und Temperament zeigt. Zur vollendeten Sängerin fehlt heute einerseits noch das Maßhalten, daß die vollständige Acclimatisierung der Sängerin an die Temperatur der großen Oper voraussetzt, und außerdem die allseitige Beherrschung der Gesangstechnik, die vorderhand mangelt und die wirksamsten Effecte tödtet. Von diesem Gesichtspunkte aus tadeln wir weniger die Unebenheit der Register, die sich vielmehr ziemlich ausgeglichen darstellen, als die ungeschminkt hervortretende Schwerfälligkeit der Sängerin in Allem, was Passagenwerk heißt. Mit plumpen Schritten bewegt sich da die Stimme bei jeder rascheren Aufeinanderfolge der Töne und tritt die Schönheit des colorirten Gesanges rücksichtslos nieder. Frau Materna wird manche Anstrengung zu bewältigen haben, bis sie diesen Mangel (er liege nun in der natürlichen Beschaffenheit ihres Organes oder nur in seiner fehlerhaften bisherigen Ausbildung) zu beseitigen in der Lage sein wird. In allem Übrigen zeigte sich der Gast jeden Anforderungen, die man an die Sängerin einer ersten Bühne stellen darf, vollständig gewachsen. “

Das hoffnungsvolle „Schlusswort“ zu Amalie Friedrich-Maternas Gastspiel an der Hofoper soll die NEUE BERLINER MUSIKZEITUNG (23. Jahrgang, Nr. 18 vom 5. Mai 1869) sprechen. Der vom Wiener Musikgeschehen monatlich berichtende Rezensent notierte: „Eine neue dramatische Sängerin, zwar hier vom Carltheater aus bekannt, trat im Hofoperntheater in neuer Sphäre auf. Sie ging von Jaques Offenbach zu Meyerbeer und Beethoven über. Mit entschiedenem Glück. Es ist Frau Amalie Friedrich-Materna; sie besitzt ein prächtiges Organ, Energie, eine gute musikalische Fundamentalbildung und natürlichen Geschmack. Ich glaube, dass sie trotz ihrer 28 Jahre Carrière machen und eine Sängergrösse werden wird. Sie sang die Selica, die Amalie in „Ballnacht“ und --- Leonore in „Fidelio“. Die drei ersten Gastrollen auf einer grossen Opernbühne! Sie erstaunen über das Wagnis? Es gelang! Frau Materna hat ihren rechten Weg gefunden und ich signalisire Ihnen eine mächtige, gesunde, üppige Stimme, die jetzt der letzten Schulung entgegengeht. Wie wir hören, ist die Dame, eine mächtige Gestalt, mit südlichen Gluthaugen, bereits in den Verband der Hofoper aufgenommen.“